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Mut der Verzweiflung
Rubrik

Mut der Verzweiflung Russlands LGBTI*-Aktivisten lassen sich nicht mundtot machen

ms - 16.01.2023 - 09:46 Uhr

Mit dem Mut der Verzweiflung gehen LGBTI*-Menschen jetzt in Russland gegen Machthaber Wladimir Putin vor – nachdem dieser die landesweit größte LGBTI*-Organisation aufgrund angeblicher “Agententätigkeiten für den Westen“ im letzten Jahr verboten hat, gründete sich diese jetzt neu und setzt damit ein klares Statement gegen das verschärfte Anti-Homosexuellen-Propaganda-Gesetz, das seit Ende 2022 LGBTI* überall und für alle Russen im Land verbietet. Wer über Homosexualität spricht, dem drohen bereits Geld- und sogar Gefängnisstrafen. Das neu unterzeichnete Gesetz verbietet effektiv auch "jede Handlung oder die Verbreitung von Informationen, die als Versuch angesehen wird, Homosexualität in der Öffentlichkeit, online oder in Filmen, Büchern oder Werbung zu fördern."

LGBTI*-Community will sich nicht mundtot machen lassen

Davon hat sich das Kernteam der LGBTI*-Organisation Sphere Foundation offensichtlich nicht einschüchtern lassen, sie gründeten sich in diesen Tagen neu, auch ohne offizielle Erlaubnis oder Lizenz seitens der russischen Behörden. Eingegliedert in die Sphere Foundation ist auch das LGBT-Network Russia. Die Gruppe hat bereits alle ihre Programme und Initiativen wieder aufgenommen und ist kampfesmutig und bereit, eine starke Stimme für alle LGBTI*-Russen zu sein, so Leiterin Dilya Gafurova: "Wir haben die LGBT-Bewegung in ganz Russland bereits mehr als elf Jahre lang unterstützt und einige Mitglieder unseres Teams waren bis zuletzt in der Öffentlichkeit tätig und leisteten Lobby- und Sensibilisierungsarbeit, was mit hohen persönlichen Risiken verbunden war. Nur sehr wenige haben uns verlassen, unser Kernteam hat sich selbst erhalten. Also wollen wir die Menschen weiterhin ermutigen, ihre Unzufriedenheit laut zu äußern und klarzustellen, dass die queere Gemeinschaft in Russland nicht mundtot gemacht werden kann - und dass die Art und Weise, wie die Regierung LGBT-Menschen wahrnimmt, und die Art und Weise, wie die tatsächliche russische Gesellschaft dies tut, sehr unterschiedlich sind."

Hybrider Krieg gegen LGBTI*

Gafurova betont dabei weiter, dass es durchaus in den letzten Jahren Verbesserungen innerhalb der russischen Gesellschaft gegeben habe und sich das Bild von Homosexuellen ein Stück weit ebenso geändert habe. Ein Erfolg, so die LGBTI*-Aktivistin, bedenkt man, dass das Gesetz in seiner ersten Version bereits seit 2013 LGBTI*-Themen immer dann verboten hatte, wenn Kinder mit LGBTI* in Kontakt kommen hätten können – was de facto ein Verbot von allen Prides und öffentlichen Veranstaltungen bereits zur Folge gehabt hatte.

Für Gafurova geht es inzwischen um einen rein ideologischen Kampf, den Putin mit dem Westen und dessen Werte führt: „LGBT zu sein ist in den Augen der russischen Abgeordneten das Ergebnis eines schädlichen westlichen Einflusses, eines 'hybriden Krieges', wie sie es nennen. Das neue verschärfte Propaganda-Gesetz ist dabei so vage in seiner Formulierung, dass die Regierung es nach Belieben verwenden kann, wenn sie Aktivitäten ins Visier nimmt. Was ist überhaupt 'LGBT-Propaganda'? Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die so viele Bereiche wie Medien, Buchveröffentlichungen, Streaming-Plattformen, Läden und E-Commerce betreffen, und dennoch ist 'Propaganda' nicht einmal klar definiert."

Internationale Unterstützung sicher

International wurde das verschärfte Gesetz bereits stark kritisiert, von den Vereinten Nationen über Amnesty International bis hin zu Human Rights Watch. Die Unterstützung aus dem Ausland ist, soweit möglich, der neu gegründeten Sphere Foundation sicher, obgleich Dilya Gafurova bewusst ist, dass es auch viel Gegenwind seitens der Regierung geben wird. Doch das ganze Team der neuen LGBTI*-Organisation zeigt sich kämpferisch und will auch nicht kapitulieren. Psychologische sowie rechtliche Beratung von LGBTI*-Menschen untersagt das Gesetz so beispielsweise nicht.    

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