Missbrauch bei SOS-Kinderdorf? Gründer Gmeiner soll Jungs sexuell und physisch missbraucht haben
In Österreich sorgen schwere Vorwürfe gegen den Gründer von SOS-Kinderdorf für einen landesweiten Aufschrei: Hermann Gmeiner (✝66) soll minderjährige Jungs sexuell missbraucht haben. Geschäftsführerin Annemarie Schlack von SOS-Kinderdorf Österreich erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, es lägen glaubhafte Vorwürfe zu sexuellen und physischen Übergriffen vor.
Missbrauch über mehrere Jahrzehnte
Die Übergriffe sollen zwischen den 1950er Jahren und 1980er Jahren an vier Standorten der Organisation in Österreich stattgefunden haben. Zunächst war die Rede von acht männlichen Opfern, die zum Tatzeitpunkt noch Kinder waren. Die Organisation von SOS-Kinderdorf räumte allerdings bereits ein, dass nicht auszuschließen sei, dass im Zuge der Aufarbeitung weitere Fälle bekannt werden würden. In den vergangenen Wochen haben sich bereits weitere Opfer gemeldet, derzeit gehe man 67 Hinweisen nach. Offenbar waren die Anschuldigungen schon seit Jahren bekannt, wurden aber jetzt erst im Zuge der Aufarbeitung publik gemacht. Die ersten Opfer meldeten sich demnach bereits 2013 bei der Organisation.
Gmeiner gründete die Organisation 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg und betonte immer wieder, dass er es sich zur Lebensaufgabe gemacht habe, Kindern zu helfen. „Nichts in der Welt scheint mir wichtiger, als sich den Kindern zuzuwenden“, so Gmeiner, der 1986 im Alter von 66 Jahren an einer Krebserkrankung verstorben war. Die bisher bekannt gewordenen Opfer durchliefen ein Opferschutzverfahren und haben zudem Entschädigungszahlungen sowie Therapien erhalten, so Schlack weiter. Alle acht Betroffenen sollen so bis zu 25.000 Euro erhalten haben.
Folter in den Einrichtungen
Die Wiener Wochenzeitung „Falter“ machte zuletzt mutmaßliche weitere Übergriffe von Kinderdorf-Mitarbeitern publik. Demnach haben einzelne SOS-Kinderdorfmütter die Kinder über Jahre hinweg gequält und gefoltert – unter anderem sollen die Kinder tagelang in einem Keller eingesperrt worden sein. Außerdem wurden sie offenbar unter anderem dazu gezwungen, kalt zu duschen oder bei Minusgraden nackt auf dem Balkon zu stehen. „Ich musste mit meiner Zahnbürste die Kloschüssel schrubben und sie danach benutzen“, so ein früheres Opfer gegenüber der Zeitung. Die Kommissionsvorsitzende von SOS-Kinderdorf, Irmgard Griss, spricht von einem „Super-Gau“ für die weltweit agierende Organisation, die von Spendengeldern lebt.
Die neue Geschäftsführerin Schlack betonte: „Wir müssen anerkennen, dass das System der Vergangenheit Spuren in der Gegenwart hinterlassen hat. Von dieser Vergangenheit trennen wir uns jetzt – nicht durch ein Update, sondern durch einen umfassenden Neustart. Aufarbeitung und Neuaufstellung laufen gleichzeitig. Wir öffnen unsere Archive vollständig und unterstützen die unabhängige Reformkommission bei ihrer Arbeit.“ Aktuell betreut die Organisation rund 1.800 Kinder und Jugendliche. Das SOS-Kinderdorf bittet weitere Opfer, sich an die Meldestelle via E-Mail opferschutz@sos-kinderdorf.at zu wenden.