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Angst vor Nachfolger von Boris Johnson wächst

LGBTI*-Aktivisten fordern Umdenken Fortschritt oder doch eher Rollback für LGBTI* in Großbritannien?

ms - 08.07.2022 - 12:00 Uhr
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Das Wort “Rücktritt“ kam Premierminister Boris Johnson bei seiner jüngsten Presseerklärung nicht ein einziges Mal über die Lippen, weswegen seitdem nicht nur zahlreiche Mitglieder seiner eigenen konservativen Partei sowie der Opposition, sondern auch viele LGBTI*-Aktivisten befürchten, dass Johnson unter dem Vorbehalt, man suche nach einem geeigneten Nachfolger, versuchten könnte, die Situation einfach auszusitzen. Um dieser Entwicklung bereits jetzt klar entgegenzutreten, bekräftigten heute mehrere LGBTI*-Aktivisten des Vereinigten Königreichs, wie wichtig ein neuer Premierminister gerade für queere Menschen in Großbritannien sei und forderten abermals ein radikales Umdenken in der LGBTI*-Politik. 

Gerade in puncto Konversionstherapie-Verbot, strukturell homophobes Verhalten in der britischen Polizei und der Zunahme von Hasskriminalität und sexualisierter Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen gibt es viel zu tun für einen möglichen neuen Premierminister. Die Frage ist nur – wer folgt Johnson nach? Mit Blick auf die aktuelle Kandidatenliste aus der Konservativen Partei (SCHWULISSIMO berichtete) zeigt sich, dass die Mehrzahl davon kritisch bis stark ablehnend der LGBTI*- und insbesondere der trans-Community gegenübersteht. Mehrere LGBTI*-Aktivisten erklärten dabei heute unisono, dass die Zukunft der LGBTI*-Rechte „am seidenen Faden“ hänge. Peter Tatchell, Urgestein der britischen LGBTI*-Bewegung, erklärte: "Die gesamte Führung der Torys ist Gift für unsere Community. Wir werden wahrscheinlich mit einem anderen Premierminister enden, der viel von Johnsons vorurteilsbehafteter Politik fortsetzen wird." Noch steht die Kandidatenliste für die Wahl des neuen Vorsitzenden der Konservativen Partei nicht fest, die bisherigen Namen im Spiel verheißen bis auf eine einzige Ausnahme namens Penny Mordaunt nichts wirklich Gutes für homosexuelle und queere Briten. Ein möglicher Kandidat erklärte beispielsweise, man wolle jetzt „diesen ganzen Woke-Müll loswerden", ein anderer bekräftigte, dass die Rechte für Homosexuelle schon jetzt viel zu weit gefasst seien. Joe Vinson, der nationale Sekretär von LGBT+Labour, dem offiziellen queeren Flügel der Oppositionspartei, erklärte dazu: "Es ist klar, dass LGBTI*-Menschen nicht nur einen Wechsel des Premierministers brauchen, sondern einen kompletten Regierungswechsel. Wenn man sich die Kandidaten für seine Nachfolge ansieht, habe ich kein Vertrauen, dass der nächste konservative Premierminister besser für LGBTI* Menschen sein wird. Die Torys sind nicht auf unserer Seite."

So absurd es für manchen Aktivisten klingen mag, doch Johnson gehörte mit Blick auf die LGBTI*-Community noch eher zu den wohlwollenden konservativen Spitzenpolitikern des Landes. Nachdem der neue Parteivorsitz bestimmt sein wird, können die rund 100.000 Mitglieder der Konservativen Partei auch über den nächsten Premierminister entscheiden. Die LGBT+-Konservativen, der Flügel der Regierungspartei für queere Mitglieder, betonte indes bereits, dass sie während des Wahlkampfes "neutral" bleiben werden und hoffen einfach positiv darauf, mit dem, dann neu gewählten Kandidaten im Bereich LGBTI*-Politik „gut zusammenarbeiten zu können.“ Unter LGBTI*-Aktivisten sorgt auch dieses Schweigen innerhalb der Torys für weitere Unruhe. Weitgehend Einigkeit herrscht dagegen nur über die Beurteilung von Johnsons bisheriger Arbeit für die LGBTI*-Community. Die Organisation Trans Activism UK erklärte so beispielsweise, dass Johnsons Regierung aktiv "lebenswichtige Menschenrechte und marginalisierte Gemeinschaften abgewertet" habe und er zudem Großbritannien durch eine "spiralförmige Kaskade in die Steinzeit" gestürzt habe. Bleibt die Frage offen, ob in puncto LGBTI*-Rechte die Talsohle der Steinzeit bereits durchschritten ist – oder eben noch nicht.

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