Kritik an Spaniens Transgesetz Das Selbstbestimmungsgesetz soll ohne Anhörung von Experten durchgeboxt werden
In den letzten Wochen wird die Kritik gegen das neue geplante Selbstbestimmungesetz in Spanien offensichtlich immer lauter – jetzt meldet sich auch die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, EL MUNDO, mit einer Auflage von täglich rund 330.000 Zeitungen zu Wort. Herausgeber und Chefredakteur Francisco Rosell erklärt dabei in eindringlichen Worten: „Es ist unverständlich, dass das ´Trans-Gesetz´ in Kraft treten soll, ohne dass die Regierung sich herablässt, Ärzte und Psychiater anzuhören. Es ist nicht hinnehmbar, dass eine wichtige öffentliche Diskussion unter dem Vorwand der Transphobie unterwandert wird. Die Regierung muss die umstrittensten Punkte des Trans-Gesetzes ändern, insbesondere diejenigen, die sich auf Minderjährige beziehen, da sie schwerwiegende Auswirkungen auf diese haben können.“ Anfang Oktober kam es mehrfach zu Demonstrationen aufgebrachter Ärzte und Familien, die mit Transparenten in Madrid erklärten, die aktuelle Trans-Politik lasse sich mit einer “sozialen Ansteckung“ vergleichen.
Das spanische Regierungsbündnis von Sozialdemokraten und Linken hat im Juni dieses Jahres grünes Licht für das neue Selbstbestimmungsgesetz gegeben, das es künftig Kindern ab 12 Jahren erlauben soll, ohne medizinische oder psychologische Gutachten ihr Geschlecht frei wählen und bestimmen zu können. Das neue Gesetz sieht vor, dass Erwachsene wie auch Kinder, die ihren Namen und ihr Geschlecht ändern wollen, ein doppeltes Verfahren durchlaufen müssen, indem sie binnen von drei Monaten zwei Mal bekunden müssen, dass sie ihr Geschlecht ändern lassen wollen. Kinder ab 12 Jahren sollen künftig mit Einwilligung der Eltern eine Personenstandsänderung beantragen können, ab dem 16. Lebensjahr dürfen Jugendliche dann demnächst eigenverantwortlich darüber entscheiden. In allen Fällen sind medizinische oder psychologische Gutachten nicht mehr nötig. Immer mehr Ärzte und Psychologen scheinen nach Angaben der Tageszeitung nun Alarm zu schlagen, mehrere Fachleute erklärten gegenüber von EL MUNDO auch, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens über die “angeblichen Vorteile“ einer Hormonbehandlung oder eines chirurgischen Eingriffs bei einem Kind oder Jugendlichen gäbe. Im Gegenteil sogar, die Experten warnen in weiteren Artikeln vor der Möglichkeit einer Anhäufung von Leid und Enttäuschung.
Herausgeber Rosell erklärt dazu: „Es ist eindeutig unverantwortlich, dass die Verwaltung das Kind unbeaufsichtigt lässt, oft in einem Zustand der Verwirrung (…) Das Ziel, Transsexualität gesellschaftlich zu entpathologisieren, wie es bereits bei der Homosexualität geschehen ist, ist zwar lobenswert, aber die dafür vorgesehenen Mittel sind nicht ausreichend. Es gibt zwei große Probleme bei diesem Projekt: die ´geschlechtliche Selbstbestimmung´ durch ein bloßes Register mit all den Auswirkungen auf die Rechte der Frauen in Bereichen wie Sport und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Behandlung von Minderjährigen ohne die Zustimmung eines Richters oder eines Mediziners.“ Rosell führt dazu aus, dass sowohl der spanische Staatsrat wie auch der Generalrat der Justiz dieses aktuelle Vorgehen bereits scharf kritisiert haben, selbst innerhalb des politischen Bündnisses gibt es heftige Diskussionen. Dabei verweist Rosell auch auf all jene Länder, die ähnliche Gesetze bereits erlassen haben und nun nachbessern oder direkt zurückrudern in der Gesetzgebung, beispielsweise Schweden, Großbritannien oder auch Finnland.
Experten und Fachleute bleiben ungehört
Zudem höre man nicht auf die Stimmen der Fachleute, beispielsweise der Spanischen Gesellschaft für Psychiatrie, der Madrider Ärztekammer und der Spanischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie den Leitern der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Krankenhaus Gregorio Marañón. „Ihre Analyse ist relevant und sollte berücksichtigt werden. Sie stellen unter anderem fest, dass die Möglichkeit, Jugendlichen die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung unterziehen wollen, ihnen ´viel Schmerz und Reue´ bereiten kann. Sie betonen, dass Minderjährige, die eine Geschlechtsumwandlung beantragen, in vielen Fällen durch soziale Netzwerke und eine Gesellschaft, in der die Queer-Theorie stark verbreitet ist, dazu ermutigt werden. Das eigentliche Problem besteht darin, dass ihnen eine Hormonbehandlung oder eine - oft irreversible - Operation angeboten wird, als ob es sich dabei um eine magische Lösung handeln würde, während die Angehörigen der Gesundheitsberufe, die sogar beschuldigt werden, Konversionstherapien zu fördern, wenn sie andere Alternativen anbieten, ebenfalls beiseitegeschoben werden. Welchen Sinn hat es, dass ein Bürger, der sich wegen Fettleibigkeit operieren lassen oder Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte, ein positives psychologisches Gutachten vorlegen muss, aber nicht, wenn er sein Geschlecht ändern möchte?“
Offensichtlich will Gleichstellungs-Ministerin Irene Montero das Gesetzesvorhaben schnellstmöglich durch alle Instanzen boxen, nach der Kritik von Staatsrat und Generalrat soll dem eigentlich dritten, wichtigen Beratungs-Organ bei der Verabschiedung eines neuen Gesetzes in Spanien, dem Rat des Generalstaatsanwaltes, offensichtlich gar nicht mehr die Zeit eingeräumt werden, einen Bericht einzureichen. Vor wenigen Tagen wurde der Gesetzentwurf Ende September ins Parlament eingereicht, mit Blick auf die Neuwahlen im nächsten Jahr hat Ministerin Montero ein Dringlichkeitsverfahren beantragt und auch bereits genehmigt bekommen. Konkret bedeutet dies, dass für Einwände die Fristen radikal verkürzt worden sind und es keine Anhörung von Experten oder Verbänden geben wird. In Deutschland wurde zuletzt von Seiten der Linken eine ähnliche Kritik mit Blick auf das hier geplante Selbstbestimmungsgesetz laut – es bedürfe einer offenen Debatte auch mit den Kritikern des Vorhabens. Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, dazu im SCHWULISSIMO-Interview: „Diese Debatte zu initiieren, hat Sven Lehmann leider bisher versäumt. Nach meiner Erfahrung sind solche Diskussionen mit der Zivilgesellschaft im parlamentarischen Beratungsprozess nicht in der nötigen Breite und Tiefe zu führen, deswegen sollten sie vor der Erstellung eines Gesetzentwurfes stattfinden.“ Die Grünen wie auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung lehnten zuletzt im September eine innerparteiliche Diskussion zu dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz ab.