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Homo-Heilungen durch die Hintertür

Konversionstherapien in Deutschland Die Ex-Gay-Bewegung ist nach wie vor aktiv in der Bundesrepublik

ms - 12.09.2022 - 15:00 Uhr
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Als im Jahr 2020 die Konversionstherapien in Deutschland verboten worden sind, feierte die LGBTI*-Community dies als Erfolg – fürwahr, ein wichtiges Gesetz, das allerdings dringend einer Überarbeitung bedürfte, denn es greift bis heute nur bei Minderjährigen. Junge Erwachsene dürfen nach wie vor durch solche unseriösen und menschenverachtenden Methoden von ihrer Homosexualität “geheilt“ werden. Vereine wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland fordern seit längerem, dass die Bundesregierung hier nachbessert – die Ampel-Koalition hat dies auch auf ihrer Agenda, allerdings konkret passiert ist bisher noch nichts.

Zudem scheint sich die Situation immer wieder zuzuspitzen, weil oftmals durch die Hintertür von christlichen Hardlinern und Homo-Hassern versucht wird, für die Konversionstherapien regelrecht zu werben. Jugend- und Kinderbuchratgeber sind das Einfallstor, durch dass sowohl Eltern wie auch Kinder scheinbar seriös über die Möglichkeiten einer Therapie informiert werden. Nach Angaben des LSVD ist es gerade bei Jugendlichen sehr einfach, hier nachhaltig und dauerhaft psychische Schäden zu erzeugen. Im Zentrum dieser Psycho-Attacken sind dabei homosexuelle junge Menschen, wie Hartmut Rus, Koordinator des Netzwerkes “Mission Aufklärung“ beim LSVD gegenüber SCHWULISSIMO erklärte. Einzelne Hassschriften konnten nach einem jahrelangen Kampf inzwischen auf den Index als jugendgefährdendes Medium bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz gesetzt werden. Der vernarrte Einsatz für “Homo-Heilungen“ geht dabei aktuell auch in Deutschland allerdings unbeirrt weiter. Hartmut Rus hat uns mehr über die aktuelle Szene erklärt.  

© Privat

Im Fall des niederländischen Hass-Autors Aardweg ist es jetzt gelungen, zwei Bücher auf den Index setzen zu lassen. Noch immer gibt es aber Bücher, die auch in Deutschland Werbung für Konversionstherapien machen. Wie ist die Lage aktuell?

Es geht um eine Handvoll Bücher, jedoch auch um viele Schriften, die teilweise kostenlos unter der Hand verbreitet oder aus den USA importiert werden. Die religiösen Buchläden und Buchstände in Gemeinden oder anderen Bibliotheken machen uns hier am meisten sorgen. Diese Schriften sind im Unterschied zu Online-Angeboten nicht leicht auffindbar. Die Bücher, die quasi Anleitungen zu Selbst-Konversionsbehandlungen enthalten, sind schon seit vielen Jahren auf dem Markt.

 

Das bedeutet, diese Homo-Hass-Bewegung versucht nach wie vor, durch scheinbar seriöse Ratgeber, Bücher und Schriften das Thema Konversionstherapie auch in der Bundesrepublik zu fördern?

Die Ex-Gay-Bewegung ist eine weltweite überkonfessionelle Bewegung von Organisationen und Einzelpersonen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie eint ihre zutiefst homophobe und transfeindliche Ideologie und der Wunsch, LSBT ihre erkämpften Rechte abzuerkennen. Intergeschlechtliche Menschen sind in dieser Diskussion außen vor, weil diese Kreise die biologischen Hintergründe in Teilen anerkennen. Diese überkonfessionellen Angebote aus dem Umfeld aller Religionsgruppen, dämonisieren LSBT und stellen Homosexualität als therapierbare Störung dar. Einige Menschen aus dem Dunstkreis dieser Bewegung wurden in ihrer Lebensgeschichte selbst Opfer dieser gefährlichen Therapien und Behandlungen. Neben den ideologischen Zielen spielen auch die Profitgier und die Homophobie der selbsternannten Behandler eine Rolle. 

 

Als Außenstehender denkt man sich dabei vielleicht, mir passiert sowas mit Sicherheit nicht, dabei ist die Herangehensweise dieser Ex-Gay-Bewegung eine besondere perfide.

Betroffene von “Konversionsbehandlungen“ geraten oft schleichend in diese Kreise. Es kann mit einer harmlosen Informationsveranstaltung beginnen. Dann folgen ein paar Bücher oder Schriften, die zugesteckt werden, und später nehmen die persönlichen Kontakte im privaten oder näheren sozialen Umfeld, beispielsweise bei Gemeinden, Jugendvereinen oder Verwandten zu. Es handelt sich de facto um missionarische Strategien, um die betreffende Person zu “retten“. Es wurde immer wieder durch Medien aufgedeckt, dass es besonders auch Jugendvereine, darunter Träger der freien Jugendhilfe, Pfarrer, Psychologen, Sozialpädagogen und andere Vertrauenspersonen sind, die Menschen mit ihren Ideologien schaden. In Fortbildungen und Seminaren für Eltern, Seelsorger und andere, tragen sie ihre Angebote weiter in die Gesellschaft. Ich selbst war einmal auf einer ganztägigen Homoheiler-Informationsveranstaltung mit rund einhundert Personen, darunter viele Mitarbeitende aus umliegenden Krankenhäusern, die der homophoben Ideologie unkritisch zugehört haben. Menschen, die sich dann in die Therapieangebote, oft auch als Seelsorge getarnt, begeben, werden dann von den ideologisierten Multiplikatoren beeinflusst und an entsprechende Therapeuten oder Behandler innerhalb der Bewegung weitervermittelt. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es wie bei anderen Missbrauchssituationen auch meist Jahre und Jahrzehnte dauern kann, bis sich die Betroffenen offenbaren. Die Täter wehren sich gegen Aussteiger, Zeugen und Journalisten mit allen möglichen Mitteln, um jegliche öffentliche Aufmerksamkeit oder Kritik zu vermeiden.

 

Um wirklich dagegen langfristig vorgehen zu können, reicht das aktuelle Verbot von Konversionstherapien in Deutschland also bei weitem nicht aus.  

Das Gesetz gegen Konversionstherapien adressiert diese Problematik mit einem Werbe- und Vermittlungsverbot. Wir beobachten seitdem, dass Organisationen in die Schweiz gegangen sind und dass Seminare für Jugendarbeiter in Richtung unweit der polnischen Grenze verlagert wurden. Wir müssen jetzt eine weitere wissenschaftliche Evaluierung zum Gesetz abwarten. Dass viele Online-Angebote bereits aus dem Netz genommen wurden, verdanken wir dem gesetzlichen Verbot. Ich kämpfe gegen diese LSBT-feindlichen Machwerke seit meiner Studentenzeit. Damals waren homophobe und LSBT-feindliche Haltungen weitgehend verbreiteter. Seitdem ist viel passiert. Viele der Gleichstellungsgegner in Politik und Kirchen sind in den Ruhestand gegangen. Einige haben sich aber auch weiter radikalisiert und sind in extremistische Parteien abgewandert. Von einer völligen Gleichstellung und Akzeptanz von LSBTI können wir jedoch auch heute noch nicht sprechen. Es ist noch viel mehr Luft nach oben. Verschwörungstheorien und LSBTI-feindlichen Haltungen kann besonders durch Bildung entgegengetreten werden. Das Gesetz zum Verbot von Konversionsbehandlungen sieht auch ein Beratungsangebot zum Thema “Konversionsbehandlungen“ vor. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im Rahmen des Projektes “Liebesleben“ ein entsprechendes Angebot eingerichtet. Ein professioneller und diskriminierungsfreier Umgang mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in Schule und Unterricht sowie entsprechend Informations- und Fortbildungsangebote sind fundamental wichtig, um Menschen gegen LSBTI-feindliche Ideologien zu stärken.

 

Was kann jeder selbst tun, wenn er in einer Bücherei oder einem Buchladen um die Ecke plötzlich auf ein homo-feindliches Buch trifft, das für Konversionstherapien wirbt?

Man sollte den Buchhändler auf den Verkauf von jugendgefährdenden, indizierten Materialen aufmerksam machen, wenn es entgegen der Jungendschutzvorgaben öffentlich zur Schau gestellt oder an Jugendliche abgegeben wird. Ansonsten, wenn man entsprechende Schriften oder anderes Material findet, direkt gerne Kontakt mit dem LSVD aufnehmen. Wir können dann prüfen, ob wir weitere Schritte einleiten können. Nichts zu tun, ist die falsche Alternative. Weil die reine Existenz von Büchern, die LSBT-feindliche Therapieangebote propagieren, bereits ein Druckmittel auf potenzielle Opfer sein kann. Ich kenne einige Menschen, die von ihrem Umfeld solche Bücher zugesteckt bekamen, um sie in diese gefährlichen Behandlungen zu locken. Von Online-Plattformen wie Amazon würde ich mir wünschen, dass sie sich mehr mit diesem Thema auseinandersetzen. Mich haben die positiven Bewertungen einschlägiger Bücher bei Amazon irritiert. Entsprechende kritische Hinweise meinerseits in den Kommentarleisten wurden regelmäßig gelöscht. Das Verhalten von Amazon hat mich schlussendlich zur Indizierungsanregung motiviert.

 

Und was können Eltern tun, wenn sich ihr Kind gerade als homosexuell geoutet hat und diese nun auf der Suche nach einem passenden und seriösen Ratgeber sind?

Am besten Beratungsangebote nutzen, die von staatlichen Stellen oder LSBTI-Selbstvertretungen anerkannt sind. Besonders wichtig, Eltern sollten das Material zuerst selbst lesen und prüfen, bevor sie es an ihre Kinder weitergeben. Sein Sie auch kritisch! Viele Eltern sind oft geschockt, wenn sie mit Inhalten aus weitergebenem Material konfrontiert werden.

 

Mit Blick auf diese Schriften und die Werbung für Konversionstherapien darin, wie sollte die Bundesregierung weiter verfahren?

Es ist gut und wichtig, dass wir mit dem Gesetz Minderjährige schützen konnten. Jedoch fallen besonders junge Erwachsene aus dem Schutzbereich raus. Da muss nachgebessert werden. Ich halte eine Erhöhung der Schutzaltersgrenze auf mindestens 26 Jahre für sinnvoll. Das Indizierungsverfahren ist ein Mittel, um schlimmste Verwerfungen im Jugendschutz aufzufangen und um ein Signal in die Gesellschaft zu senden. Wer solche Werke ohne notwendige Warnhinweise für Kinder und Jugendliche weitergibt, kann sich nun strafbar machen. Das Gesetz gegen Konversionsbehandlungen muss evaluiert und gegebenenfalls nachgeschärft werden. Es ist wichtig, dass auch in Schulen und in der Jugendarbeit das Thema Prävention und Schutz vor solchen fragwürdigen Angeboten thematisiert wird. Dazu gehört auch, dafür Sorge zu tragen, dass Konfessionsschulen sich diesen Lerninhalten nicht entziehen können. Viele Opfer sind vom Mainstream durch das Elternhaus oder die Religionsgemeinschaft bereits abgekoppelt. Die Finanzierung und der Ausbau staatlicher Aufklärungsprogramme durch die Bundeszentralen müssen vorangetrieben und dauerhaft finanziert werden. Wir brauchen informierte Bürger, die sich solchen Angeboten entgegenstellen. Wir werden nicht verhindern können, dass diese Bücher aus anderen Ländern bezogen werden. Deswegen arbeitet der LSVD auch mit internationalen Organisationen zusammen, um andere Länder zu sensibilisieren und bei ihren Gesetzgebungsprozessen zu unterstützen.

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