HIV in Osteuropa WHO verzeichnet Zunahme von HIV unter schwulen Männern
Eben erst hat das Robert-Koch-Institut die neusten Zahlen zu den HIV-Neu-Infektionen für Deutschland bekanntgegeben, nun veröffentlichte auch die Weltgesundheitsorganisation WHO die aktuellen Fallzahlen für den europäischen Wirtschaftsraum für das Jahr 2021. Erschreckend dabei: In Russland und in der Ukraine ist die HIV-Situation besonders dramatisch. Zudem befürchten Fachleute vor allem in jenen Ländern, in denen HIV noch immer tabuisiert oder mehrheitlich mit Homosexualität in Verbindung gebracht wird, eine besonders hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten oder unbekannten HIV-Neu-Infektionen.
Über 100.000 neue HIV-Infektionen im europäischen Raum
Insgesamt haben sich im europäischen Raum binnen eines Jahres rund 106.000 Menschen offiziell neu mit HIV angesteckt, 78 Prozent davon allein in Osteuropa. In Deutschland waren es 1.800 Personen. Die Zahl der neuen Infektionen stagniert dabei seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau, auch wenn die Verteilung unter den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Insgesamt im europäischen Durchschnitt infizierten sich etwa 12 Personen pro 100.000 Menschen im Zeitraum von zwölf Monaten neu mit HIV, in Deutschland liegt die Quote bei 2,7 Menschen. So der Durchschnitt – in Osteuropa und hierbei allen voran in Russland liegt die Quote bei über 40 Personen pro 100.000 Einwohner, dicht gefolgt von der Ukraine mit mehr als 37 Infektionen. Allein in Russland gibt es inzwischen rund eine Million HIV-positive Menschen, in der Ukraine sind es weitere rund 330.000 Personen. Zum Vergleich: In Deutschland werden derzeit 90.800 Menschen mit HIV verzeichnet.
Hoffnungslosigkeit in Osteuropa
Damit zerschlagen sich auch die letzten Hoffnungen für die Ukraine, die vor 2021 aufgekommen waren, nachdem die Zahl der Neu-Infektionen auf hohem Niveau leicht gesunken waren. Erschwerend kommt nun dazu, dass der Einmarsch der russischen Truppen den Großteil der Infrastruktur zerstört und damit auch Testmöglichkeiten, medizinische Versorgung ohne Unterbrechung und generell die ausreichende Bereitstellung von HIV-Medikamenten zunichte gemacht hat, sodass der positive Trend inzwischen definitiv gestoppt worden ist. Die meisten Gesundheitseinrichtungen wurden zerstört, die WHO hatte bereits im Mai dieses Jahres Alarm geschlagen und sprach von mindestens 3.000 Menschen, die aufgrund von fehlenden Medikamenten allein in der Ukraine gestorben sind. Die Zahl dürfte sich bis heute wahrscheinlich verdreifacht haben.
Russland ist das HIV-Epizentrum
Russland-Experten gehen davon aus, dass sich die Lage vor Ort in den nächsten Monaten noch weiter zuspitzen wird, aktuelle Zahlen von 2022 gibt es noch nicht. Das schwulenfeindliche Klima und die eben beschlossene Verschärfung des Anti-LGBT-Propaganda-Gesetzes durch das russische Parlament wird die Homophobie im Land weiter anheizen. Präsident Putin wird vermutlich noch in diesem Jahr das Gesetzesvorhaben final unterzeichnen. Damit sind jedwede Gespräche oder Informationen über Homosexualität und LGBTI* landesweit für alle Russen sowie alle Organisationen verboten, wer dagegen verstößt, dem drohen künftig hohe Haft- und Geldstrafen.
Die Arbeit von HIV-Vereinen, die aufklären und informieren wollen, dürfte damit nahezu unmöglich gemacht werden, denn immer besteht die Gefahr, auch über gleichgeschlechtlichen Sex informieren zu müssen. So stellt die WHO zudem nüchtern fest, dass viele der angeblich durch heterosexuellen Sex entstandenen Neu-Infektionen in Russland in Wirklichkeit tatsächlich höchstwahrscheinlich durch homosexuelle Kontakte entstanden sind – die Betroffenen schweigen aus Angst vor staatlicher Überwachung über die tatsächlichen Begebenheiten.
Am meisten betroffen: Heterosexuelle Männer
Mit Blick auf den gesamten europäischen Wirtschaftsraum zeigt sich, der größte Anteil der neu diagnostizierten Personen in den 46 Meldeländern war in der Altersgruppe 30-39 Jahren (38 %). Die häufigste gemeldete Art der Übertragung war heterosexueller Sex (58 %), gefolgt von 23 Prozent durch injizierenden Drogenkonsum und zehn Prozent durch Sex zwischen Männern. Im Jahr 2021 meldeten die meisten Länder einen Anstieg der HIV-Neu-Infektionen, allerdings sind die Fallzahlen trotzdem noch niedriger als in den Jahren um 2019.
Schwule Männer im Fokus
Im Vergleich zu Deutschland, wo die Zahl der Neu-Infektionen unter homosexuellen Männern zurückgegangen ist, verzeichnet die WHO europaweit auch einen Anstieg der HIV-Fallzahlen bei Schwulen. Die WHO hält dabei fest, dass somit die derzeitigen Präventions-, Behandlungs- und Pflegemaßnahmen auch für schwule und bisexuelle Männer (MSM) weiter ausgebaut und verstärkt werden müssen und die Regierungen nach wie vor eine Priorität auf die generelle HIV-Bekämpfung legen sollten. So zeige sich auch, dass der Einsatz der PrEP noch immer weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibe – ein Problem, welches auch von deutschen HIV-Ärzten immer wieder kritisiert wird. Gerade im ländlichen Raum ist die Versorgung mit der HIV-Präventionsmöglichkeit in der Bundesrepublik oftmals noch Mangelware.