Heilung von HIV?! „Es ist nicht seriös, für die Heilung von HIV eine Jahreszahl zu nennen!“
Diese Woche ist die Welt-Aids-Konferenz in Montreal zu Ende gegangen, durchaus ein wenig unrühmlich, bedenkt man, dass einige hundert Teilnehmer gerade aus Afrika gar nicht erst anreisen konnten, denn Kanada verweigerte ihnen ein Visum. Die Begründung: Die Regierung befürchtete, viele Teilnehmer aus ärmeren Ländern würden nach der Konferenz nicht mehr abreisen. Im Schatten dieses Skandals verblassten dabei die eigentlich wichtigen Forderungen der weltweit größten HIV-Konferenz ein wenig.
Ein Kernaspekt ist die Finanzierung des globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids für die nächsten drei Jahre. Die Deutsche Aidshilfe forderte eine Aufstockung auf 1,8 Milliarden Euro von der Bundesrepublik. Eine Antwort steht bis jetzt aus. Noch wichtiger als das Geld selbst, ist aber die grundsätzliche Frage: Wie sieht es mit der HIV-Forschung denn aktuell tatsächlich aus? Was sind die wichtigsten Aspekte, die jetzt zeitnah angegangen werden müssen? Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe (DAH) beantwortete SCHWULISSIMO die dringendsten Fragen.
Pharmaunternehmen und auch einzelne Ärzte sprechen immer mal wieder davon, dass HIV bis ins Jahr 2030 heilbar sein soll – das Ziel mag durch die Konzentration auf Covid in den vergangenen Jahren ins Hintertreffen geraten sein. Wie sieht es deiner Meinung nach aktuell mit den Plänen in puncto Heilung aus?
Es ist nicht seriös, für die Heilung von HIV eine Jahreszahl zu nennen. Es wird noch dauern, wie lange genau, weiß kein Mensch. UNAIDS strebt für 2030 etwas anderes an: das Ende der HIV-Epidemie als existenzielle Bedrohung für Individuen und als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Anders formuliert: Alle Menschen mit HIV sollen bis dahin Zugang zur HIV-Therapie haben, die den Ausbruch von Aids verhindert. HIV-positive Menschen können heute mit der Infektion leben wie alle anderen und haben eine fast normale Lebenserwartung. Unter Therapie ist HIV auch nicht übertragbar. Das heißt, wenn alle Menschen Zugang zur Therapie erhalten, sinkt auch die Zahl der Neuinfektionen drastisch. Diese Ziele sind noch erreichbar, aber nur, wenn jetzt massiv investiert wird. Die Staaten der Welt müssen Geld aufbringen und sich größte Mühe geben, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die bereits verfügbar sind.
Welche weiteren Probleme siehst du aktuell beim Thema HIV?
Wir leben in schwierigen Zeiten: Drei Epidemien und Krieg in der Ukraine. Und das ist ja lange noch nicht alles, was die Lage schwierig macht. Stigmatisierung von Menschen mit HIV und Diskriminierung oder sogar Verfolgung der am stärksten betroffenen Gruppen – zum Beispiel schwule Männer und Drogenkonsument*innen – ist Gift für Maßnahmen gegen HIV. Einige Gruppen erhalten immer noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie brauchen, zum Beispiel trans-Menschen, die global überdurchschnittlich betroffen sind, in Studien und Präventionsprogrammen aber oft nicht angemessen berücksichtigt werden.
Welche konkreten Schritte müssen zwingend als nächstes angegangen werden?
Wir brauchen passgenaue Prävention für die am stärksten betroffenen Gruppen. In diesen Zeiten gelten ganz besonders die Botschaften aus dieser Konferenz: Finanzieren, was bereits möglich ist! Menschen akzeptieren, wie sie sind, Schutz anbieten und Zugang zur Therapie schaffen! Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung. Also: Implementierung von Präventions- und Behandlungsprogrammen überall. Schließen von Präventionslücken – auch in Deutschland. Wir brauchen zum Beispiel endlich Zugang zu medizinischer Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere, eine bessere PrEP-Versorgung auch in kleineren Städten und ländlichen Gebieten, Drogenkonsumräume in allen Bundesländern, sterile Spritzen und Konsumutensilien in Gefängnissen.