Hand in Hand-oder doch nicht? 85 Prozent wünschen sich mehr mutige schwul-lesbische Paare, die Händchenhalten in der Öffentlichkeit
„Schatz, gib mir deine Hand, oder lieber doch nicht?“ Die Frage nach der Hand des Partners in der Öffentlichkeit ist für viele schwule Paare bis heute eine besonders bedeutsame, denn sie kommt einem stetigen Coming-Out in aller Öffentlichkeit gleich – eine eigentlich harmlose Geste, die aber schnell und auch mitunter ungewollt zu einem politischen Statement werden kann und homophobe Mitmenschen verärgern mag. Das sollte uns zwar nicht generell davon abhalten, doch natürlich stellen sich trotzdem viele schwule Männer je nach aktueller Situation die Frage, wie sinnvoll, ratsam oder sogar gefährlich ein solches Verhalten sein könnte.
Weniger Akzeptanz in der Gesellschaft
Studien der letzten Monate zeigten bereits eindrucksvoll auf, wie die allgemeine Akzeptanz von Homosexuellen in der Gesellschaft erstmals wieder gesunken ist, der Rollback scheint in immer mehr Teilen Europas und der Welt an Fahrt aufzunehmen. Dazu kommt, dass die Fälle von Hasskriminalität seit Jahren stetig steigen und immer neue Höchststände erreicht werden.
In Deutschland wurde so zuletzt eine Steigerung von 35 Prozent binnen eines Jahres verzeichnet – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Eine Untersuchung der europäischen Grundrechteagentur geht davon aus, dass rund 90 Prozent der Angriffe gar nicht erst publik werden.
Radikale Stimmung in Großbritannien
Besonders dramatisch zeichnet sich seit Jahren auch die Lage von Homosexuellen in Großbritannien ab, hier sind die Fallzahlen um ein Vielfaches höher, zuletzt verzeichnete die Polizei rund 24.000 Angriffe binnen eines Jahres, die aufgrund der sexuellen Orientierung der Opfer stattgefunden hatten. Die aggressive Stimmung wird dabei immer radikaler – mit Konsequenzen: die ersten Schwulenclubs schlossen deswegen bereits.
Händchenhalten? Lieber nicht mehr!
Wie verfällt es sich also in Großbritannien aber auch in anderen Teilen Europas, wenn das Händchenhalten des Partners bereits immer mehr zur Gefahr werden könnte? In einer britischen Studie im Auftrag von Pride Wide und Barefoot Wine gingen Forscher dieser Frage vor kurzem nach und interviewten dazu rund 1.060 Personen aus der Community. Zwei Drittel aller Schwulen und Lesben in Großbritannien (63 %) verzichten seit einem guten Jahr aus Angst auf das Händchenhalten unterwegs, wenngleich sich 85 Prozent wünschen würden, mehr homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit zu sehen, die mutig genug dafür sind.
Vier von fünf Homosexuellen (83 %) halten die Geste auch für eine machtvolle Demonstration. Selbst allerdings ein Zeichen der Sichtbarkeit zu setzen, ruft bei jeweils fast einem Drittel der Befragten Angst (30 %) oder Verunsicherung (33 %) hervor, jeder Vierte (23 %) fühlt sich generell unsicher damit.
Händchenhalten macht stolz
Dabei belegt die Studie auch, wie wichtig ein so grundsätzlich banales Handeln wie das Händchenhalten für Schwule und Lesben sein kann: 51 Prozent der Befragten fühlen sich beim Händchenhalten geliebt, 43 Prozent erleben dabei Bestätigung und ein Gefühl der Sicherheit, fast die Hälfte (48 %) ist stolz. Scott Nunn, Mitbegründer und Kreativdirektor von Pride Wide, erklärte dazu: „Händchenhalten ist so alt wie die Menschheit selbst und ist etwas, worüber viele Menschen nicht zweimal nachdenken.“ Eine „besorgniserregende Anzahl“ von Homosexuellen müsse sich aber eben doch manchmal fragen, ob sie die Hand von ihrem Partner halten sollten, so Nunn weiter.
Die Daten decken sich mit einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2020 unter 140.000 LGBTI*-Menschen in der EU, auch in Deutschland. Rund 60 Prozent der Befragten erklärten damals bereits, sie würden auf das Händchenhalten aus Angst vor Gewalt verzichten. Ganz offensichtlich hat diese Furcht in den letzten drei Jahren in der Community weiter zugenommen.