Grüne Kritik Vom Verständnis der Meinungsfreiheit und der Aufgabe der Presse
[KOMMENTAR] Einen solchen Text beginnt man heutzutage am besten damit, klarzustellen, dass man weder homophob, noch queerphob, noch transfeindlich oder rechtsradikal ist. Natürlich werden einem trotzdem binnen kürzester Zeit diverse Phobien vorgeworfen werden, aber wenigstens erlaubt die Klarstellung einen kurzen Atemzug der Ruhe vor dem (Shit-)Sturm.
Wann immer ich in den letzten Jahren Gesetzideen und Initiativen von Bündnis 90 / Die Grünen hinterfragt oder auch nur partiell nachgefragt habe, war der Vorwurf nicht weit, ein Feind zu sein. Nicht nur ein Feind der Partei, nein, ein Feind der gesamten LGBTI*-Community. Ich bin mit diesem Los natürlich nicht allein, wesentlich prominenteren Zeitgenossen, die sich zeitweise seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung und Akzeptanz für Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Menschen einsetzen, kann der eigne Lebenslauf binnen einer Sekunde aberkannt werden, denn die neuen Inquisitoren mit der scheinbar allein gültigen Interpretationshoheit lassen aktuell keine Grautöne mehr zu. Entweder bist du demütig nickend für uns und für alles, was wir beschließen, oder du bist das ultimative Böse und natürlich rechtsextrem. Bemerkenswert ist, dass in all den Jahren journalistischer Tätigkeit und verstärkt seit der neuen Ampel-Koalition dieser Vorwurf immerzu nur von Vertretern einer Partei kommt, die selbst dafür einsteht, die Vielfalt hochzuhalten. Nur nicht die Vielfalt der Meinungen eben, Pluralität ist anscheinend nur gewünscht, wenn sie bunt ist und auf ein Pressefoto passt, nicht wenn sie verbal ist und Fragen stellt.
Und immer wieder schwingt dann auch dieser eine Satz mit, mal direkt im Gespräch geäußert oder auch gerne via Twitter in die Welt geschrieben: Wie kann ein schwuler Journalist oder ein LGBTI*-Medienunternehmen es wagen, kritische Fragen zu Gesetzesvorhaben von Bündnis 90 / Die Grünen zu stellen? Sind das nicht allesamt dann Nestbeschmutzer? Vielleicht muss man es noch einmal klarstellen, einfach nur, damit es gesagt worden ist: Die Grünen sind nicht die LGBTI*-Community und die LGBTI*-Community sind nicht die Grünen. Klingt simpel, ist es aber offensichtlich für viele nicht. Ja, die Partei hat viele Errungenschaften für Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Menschen vorangetrieben und das ist großartig und auch nicht klein zu reden. Darf sich eine Partei deswegen trotzdem nicht auch einmal verrennen? Können deswegen nicht auch Gesetzesvorhaben vorangetrieben werden, die vielleicht in letzter Konsequenz nicht ausreichend durchdacht sind? Und dürfen deswegen kritische Stimmen außerhalb wie innerhalb der Partei gar nicht erst nachfragen? Wer immer noch behauptet, Cancel Culture gäbe es nicht, kann sich gerne die letzten internen Diskussionen der Grünen um das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz zu Gemüte führen. Der Bitte sowie dem darauffolgenden Antrag einer grünen Delegierten, darüber noch einmal demokratisch offen zu diskutieren, sachlich und ohne Diffamierung wohlgemerkt, folgte ein verbales Gemetzel, in dem 70 Grünen-Delegierte als “Rassisten mit Rechtsdrall“ beschimpft wurden. Ihr Vergehen? Sie wollten über ein geplantes neues Gesetz diskutieren, das noch viele offene Fragen aufwirft und immer mehr Menschen in Deutschland auch Angst macht, darunter Frauen und Jugendliche. Das zu sagen, ein solches Gespräch zu erbitten, ist nach Aussagen anderer Grüner transphob, menschenfeindlich, Nazi-Slang und wird mit den Worten goutiert: Fuck off! Darauf mehrfach angesprochen, reagiert weder die Pressestelle der Partei noch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann – und über Nacht sind plötzlich alle Hassbotschaften kommentarlos gelöscht.
Warum nur ist das so? Immer wieder wird dann an dieser Stelle auch gerne angemerkt, wie wichtig es doch ist, dass die Community vereint zueinandersteht, denn nur so könne man sich den Problemen der Zeit entgegenstellen. Das stimmt wahrscheinlich durchaus, doch vielleicht noch einmal zur Klarstellung: Die Community ist nicht die Partei. Und vielleicht, nur vielleicht, ertönen kritische Stimmen über diverse Gesetzesvorhaben für die LGBTI*-Community, nicht deswegen, um Schwulen, Lesben, Bisexuellen und queeren Menschen zu schaden, sondern, um sie langfristig vor Schaden zu bewahren. Aber, richtig, vielleicht liegen doch auch all die kritischen Stimmen einfach nur falsch. Doch selbst dann hätten sie in einer Demokratie und in einer demokratisch orientierten Partei eine Diskussion verdient. Und zwar eine, die nicht in internen Zirkeln unter Gleichgesinnten erstaunlicherweise zu gleichen Ergebnissen kommt, sondern eine, die sich öffentlich, laut und sachlich auch dem Fegefeuer der kritischsten Stimmen stellt und bestehen kann – durch Argumente und nicht nur Beleidigungen.
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz darf hinterfragt werden, auch als LGBTI*-Mensch, und wird es ja auch zum Beispiel von nicht gerade wenigen trans-Menschen, die es doch im Kern betreffen soll. Aber diese kritischen trans-Menschen reden inzwischen zumeist nur noch hinter vorgehaltener Hand oder werden nach öffentlichen Statements abermals als Nestbeschmutzer definiert. Die neuen Richtlinien in der bisher angedachten Form greifen in das Leben sehr vieler Menschen ein, die bis heute davon oftmals gar nichts wissen und sich verständlicherweise zumeist eher mit steigenden Nebenkosten, Corona-Ängsten oder dem Ukraine-Krieg beschäftigen. Die Marketingmaschine läuft indes unbeirrt weiter: Ein neues Gesetz für mehr Vielfalt, klar, da sind wir dafür – ein genauer Blick in den Gesetzestext ist für viele zu anstrengend oder zeitraubend. Genau deswegen bedarf es einer breiten und öffentlichen Debatte, unabhängig davon, ob sich innerhalb der grünen Partei bereits alle einig sind beziehungsweise die Zweifler wie aktuell anscheinend immer wieder mundtot gemacht werden sollen. Ich würde mir wünschen, dass wir die Menschen durch Argumente überzeugen, kritischen Fragen ebenso mit Fakten begegnen können und nicht mit dem Vorwurf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ich wünsche mir von politischen Vertretern aller Parteien (!) keine Dogmen, die nicht hinterfragt werden dürfen, sondern Ideen, die bestenfalls jeder kritischen Prüfung standhalten. Und es ist die Aufgabe von Politikern, die in Ämtern für Familien platziert worden sind, auch die Ängste und Bedenken von Frauen ernst zu nehmen und sie nicht als radikale Feministinnen zu brandmarken. Vielleicht, ja, vielleicht irren sich auch diese Frauen, vielleicht sind ihre Ängste wirklich unbegründet, wie oftmals pauschal abgetan. Man kann solche Ängste mit Fakten begegnen oder man erklärt einfach einmal mehr pauschal wie Bundesfamilienministerin Paus “Trans-Frauen sind Frauen!“. Das Dogma ist gesetzt, doch beantwortet es keine einzige offen kommunizierte Befürchtung von Menschen. Gerade wir als LGBTI*-Community sollten dabei eines verstehen: All die Errungenschaften unserer Zeit, von der Streichung des Strafgesetz-Paragraphen 175 über die gleichgeschlechtliche Ehe bis zum Diskriminierungsschutz, haben wir erreicht, indem wir die Mehrheit der Gesellschaft von dem Nutzen und der Wichtigkeit unseres Anliegens überzeugt haben. Jetzt wollen einige selbstgewählten Vertreter unserer Community offensichtlich von oben herab bestimmen, was gut sein soll – und wer dagegen ist oder nachfragt, richtig, ist scheinbar schon ein Nazi.
Dabei sollten wir gerade dies sofort unterlassen, jeden dieser unsäglichen Nazi-Vergleiche. Wir führen diesen Vergleich durch die inflationäre Verwendung nicht nur ad absurdum, gerade wenn wir solche Menschen damit anklagen, die ihr Leben lang für linke Ideale und LGBTI*-Rechte eingestanden sind, nein, wir nehmen dem Rechtsradikalismus auch sein tatsächliches Gefahrenpotenzial. Wenn jeder binnen Sekunden rechtsradikal geframt werden kann, hören wir irgendwann nicht mehr hin, wenn eine wirklich rechtsextreme Person spricht. Wer leichtfertig andere Menschen als rechts und radikal beschimpft, betreibt nicht nur Geschichtsfälschung, er relativiert auf eine dermaßen perfide und gefährliche Weise, dass er jeder LGBTI*-Bewegung automatisch mehr Schaden als Nutzen zufügt. Wer heute indes erneut Sprachverbote erteilt, der Auffassung ist, LGBTI*-Medien oder Redakteure dürften nicht, auch schmerzhaft kritisch nachfragen, wenn es um neue Gesetzespläne für eine LGBTI*-Community geht, der versteht den Wert der freien Presse und das wesentliche Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht. Der pervertiert es. Wenn heute Organisationen, Vereine oder Aktivisten verlangen, man dürfe mit gewissen kritischen Stimmen aus dem demokratischen Spektrum gar nicht mehr reden und man dürfe nur noch pro-positiv zu einer Thematik berichten, leistet dies weder einen Dienst für das ursprüngliche Anliegen, noch für die LGBTI*-Community. Es verengt nur den Diskurs ins fanatisch diktatorische und vergisst, dass in einem solch engen Kontext kein Platz für Meinungsvielfalt, Pluralität und letzten Endes auch nicht für Demokratie oder menschliche Vielfalt ist. Am Ende solcher Entwicklungen bedarf es dann nur noch eines politischen Wechsels, sodass der Wind sich dreht und dieser allen LGBTI*-Menschen plötzlich brutal ins Gesicht fährt. Wir erleben diese Entwicklungen bereits in Polen, Ungarn oder auch in Florida und Texas. Wenn wir zulassen, das kritische Stimmen unterdrückt und Sprechverbote en vogue werden, haben wir als Community verloren.