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Ende der Meinungsfreiheit?

Ende der Meinungsfreiheit? Wird ein Gesetzentwurf gegen Hass zum Bumerang für LGBTIQ+ in Kanada?

ms - 01.10.2025 - 16:00 Uhr
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Gesetze, die sich gegen Hass und Hetze richten, mögen vom Grundsatz her gut gemeint sein – in Kanada könnte ein solches Bestreben jetzt aber fatale negative Auswirkungen haben und viel zu weit reichen. Immer mehr queer-freundliche Verbände und Bürgerrechtsvereine warnen vor dem Gesetzentwurf C-9, der die Meinungsfreiheit massiv bedrohe. 

Weitreichendes neues Gesetz 

Das erklärte Ziel der kanadischen Regierung ist ein neues Gesetz, das Hassreden bekämpfen und unter Strafe stellen soll. Dazu sollen neue Straftatbestände eingeführt werden, die bis zu lebenslanger Haft für hassmotivierte Handlungen vorsehen. Die Richtlinien wären weitreichend und verbieten beispielsweise sowohl die Zurschaustellung von Symbolen, die mit Hass in Verbindung gebracht werden, wie auch bereits Einschüchterungsversuche von Menschen. 

Dazu kommt, dass mögliche Klagen radikal vereinfacht werden sollen – bisher war für ein Verfahren wegen Hasspropaganda die Zustimmung eines Generalstaatsanwalts nötig. Dieser Schritt soll künftig ganz entfallen. Ein weiterer schwieriger Aspekt: Der neue Gesetzentwurf hat eine sehr weit gefasste und doch nur vage Definition davon, was „Hass“ konkret ist. Je nach Auslegung könnte das bedeuten, dass auch normale Meinungsäußerungen, kritische Aussagen oder friedliche Proteste bereits als Hass eingestuft werden können.  

Dem nicht genug, werden auch „hasserfüllte Symbole“ neu und weitrechend definiert, wenn das Vorhaben tatsächlich Gesetz wird. So würde beispielsweise auch die historische kanadische Flagge der 1950/60er Jahre auf dem Index landen, weil diese heutzutage auch von Extremisten benutzt wird. Im Umkehrschluss würde das aber auch bedeuten, dass unter anderem Museen die Fahne entfernen müssten und damit einen Teil der Geschichte des Landes versteckt wird.   

Massive Kritik an neuen Hass-Richtlinien

Immer mehr Organisationen gehen jetzt in den Widerstand und fordern ein Ende von C-9 in seiner aktuellen Ausgestaltung, darunter sind queere Aktivisten wie auch LGBTIQ+-freundliche Verbände wie die Canadian Civil Liberties Association (CCLA) oder Bürgerrechtsgruppen wie die Canadian Constitution Foundation (CCF). Das neue Gesetz sei eine Bedrohung der Meinungsfreiheit und könnte beispielsweise friedliche Proteste unter Strafe stellen und unter dem Vorwand der Bekämpfung von Hass Zensur durchsetzen – davon betroffen können dann auch LGBTIQ+-Personen und Gruppen sein. Auch Vertreter der Polizei äußern sich inzwischen kritisch, denn gänzlich unbeantwortet ist die Frage, wie die Polizei dann vor Ort tatsächlich damit umgehen sollte. Sollen Polizisten Menschen verhaften, die beispielsweise friedlich an einer Demonstration teilnehmen, nur weil die Forderungen anderen Bürgern vielleicht nicht gefällt? Das wäre in der Konsequenz auch das Ende jeder Pride-Parade im Land.  

Kriminalisierung von friedlichen Protesten

Anaïs Bussières McNicoll, Direktorin des Programms für Grundfreiheiten bei der CCLA, erklärte dazu: „„Wir müssen alle zusammenarbeiten, um Hass zu bekämpfen und eine integrativere, gleichberechtigtere Gesellschaft aufzubauen. Wir dürfen jedoch auch nicht vergessen, dass das Strafrecht nicht die Lösung für jedes soziale Problem ist. In seiner jetzigen Form birgt der Gesetzentwurf C-9 die Gefahr, dass bestimmte Formen der geschützten Meinungsäußerung und friedlicher Proteste – zwei Eckpfeiler einer freien und demokratischen Gesellschaft – in Zehntausenden von Fällen in Kanada kriminalisiert werden. Der neue Straftatbestand der Einschüchterung beispielsweise ist weitaus umfassender als bestehende Verbote und könnte friedliche Proteste allein deshalb unter Strafe stellen, weil sie als störend empfunden werden.“ 

Die Grenzen eines Gesetzes 

Und Howard Sapers, Geschäftsführer der CCLA, ergänzte: „Der Großteil des Gesetzentwurfs C-9 schließt keine Gesetzeslücke. Die derzeitigen Straftatbestände wie Sachbeschädigung, Einschüchterung, Drohungen und Belästigung geben der Polizei bereits die notwendigen Instrumente an die Hand, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.“ Queere Aktivisten erklärten indes online: „Für die LGBTIQ+-Community, die täglich um Sichtbarkeit und Respekt kämpft, ist der Gesetzentwurf C-9 ein Warnsignal hinsichtlich der Grenzen der Gesetzgebung gegen Hass. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass der Kampf gegen Diskriminierung nicht zu einem Mechanismus zur Einschränkung grundlegender Rechte wie der freien Meinungsäußerung und der offenen Debatte wird.“

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