Eine Chance auf Gerechtigkeit? Hassverbrechen im Fokus australischer Sonderkommission
Es ist eine letzte Chance auf Gerechtigkeit, die eine Sonderkommission in Australien jetzt ermordeten homosexuellen Männern zukommen lassen möchte. Die Untersuchung blickt dabei auf die Morde von insgesamt mindestens 88 schwulen Männern, die zwischen 1976 und dem Jahr 2000 in Sydney stattgefunden haben und bis heute unaufgeklärt sind. Der Grund dafür ist so banal wie erschreckend: Das homophobe Verhalten der polizeilichen Ermittler verhinderte die Aufklärung der Fälle.
88 Morde im Fokus der Ermittlungen
Viele Angehörige, Freunde, ehemalige Partner und die ganze australische LGBTI*-Community legt viel Hoffnung auf die Untersuchungen, die heute im Bundesstaat New South Wales (NSW) starteten. Unter der Leitung von Richter John Sackar begann die Sonderkommission zur Untersuchung von Hassverbrechen am Mittwoch mit ihrer ersten Anhörung. In den 1980er Jahren erreichten während der Aids-Epidemie die Morde an homosexuellen Männern ihren Höhepunkt, wobei die tatsächliche Zahl der ermordeten Schwulen geschätzt viel höher liegen dürfte. Bei den jetzt belegten 88 Fällen von Mord will die Sonderkommission nun versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Hass und Angst befeuerten die Täter
Die Gründe für diese Welle von tödlichen Hassverbrechen sind vielfältig: Zum einen wurde Homosexualität generell bis in die 1990er Jahre hinein noch kriminalisiert, zum anderen kanalisierte sich in den gewalttätigen Taten auch die Angst und Ablehnung vor HIV und Aids. Erst 1994 wurde in Australien Homosexualität legal, seit Januar 2018 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Die Stimmung und Einstellung gegenüber Homosexuellen sind indes bis heute sehr unterschiedlich ausgeprägt, vor allem in ländlichen und stark religiös geprägten Regionen ist der Hass auf Schwule und Lesben noch stark präsent. Viele Bildungseinrichtungen sind bis heute zudem unter christlicher Führung, die in den Schulleitlinien bis heute Homosexualität ablehnen.
Sonderkommission sichtete 100.000 Dokumente
"Gerechtigkeit in diesen Fällen wurde lange hinausgezögert und lange erwartet. Dies könnte die letzte Chance sein, die Wahrheit über einige dieser historischen Todesfälle ans Licht zu bringen. Wir brauchen jeden, der uns dabei helfen kann", so Peter Gray, der leitende Rechtsberater der Untersuchung, zu den ungelösten Mordfällen in der Vergangenheit. Die größte australische Gesundheitsorganisation für Sexualität, ACON, hatte dafür bereits so gut wie möglich alle Mordfälle sowie die zur Verfügung stehenden Fakten katalogisiert. Die meisten Homosexuellen waren mit Messern erstochen, stranguliert oder erschossen worden. Einige Fälle weisen besonders grausame Tötungen auf, allesamt seihen sie höchstwahrscheinlich durch “Schwulenhass“ motiviert gewesen.
In den vergangenen fünf Monaten hat ein Team aus unabhängigen Anwälten, Notaren und Ermittlern insgesamt mehr als 100.000 Dokumente aus 40 Jahren Polizei- und Gerichtsarbeit durchforstet. Auslöser der Untersuchung war ein Beschluss des Parlaments aus dem Jahr 2019. Der Bericht hielt auch klar fest, dass die Polizei von Sydney sowie dem ganzen Bundesstaat New South Wales ihrer Verantwortung für eine ordnungsgemäße Untersuchung der Hassverbrechen gegen Homosexuelle nicht nachgekommen war. Ein Jahr zuvor hatte die Polizei selbst eingeräumt, in der Vergangenheit versagt zu haben. Im Juni 2023 sollen die Sonderkommission jetzt ihren fertigen Bericht dem Gouverneur vorlegen.