Die stille Revolte für LGBTI*s Was ist wichtiger? Die Parteilinie oder die eigne queere Lebensrealität?
Über die Hälfte der US-Bundesstaaten arbeitet aktuell an Gesetzentwürfen, die das Leben von LGBTI*-Menschen beschneiden und mal indirekt, mal ganz direkt diskriminieren und herabsetzen. Stets umgesetzt dabei von Mitgliedern der Republikanischen Partei. LGBTI*-Organisationen sind sich einig, dass 2022 zum queerfeindlichsten Jahr in der Geschichte Amerikas werden wird, und dass, obwohl im Weißen Haus ein Befürworter der Rechte für LGBTI*-Menschen sitzt.
Wie lässt sich diese Diskrepanz überhaupt erklären? Es zeigt sich, dass jede große Bewegung auch eine Gegenbewegung fördert. Nach Barack Obama ist Joe Biden der zweite Präsident, der sich massiv für die Gleichstellung und die Akzeptanz der LGBTI*-Community einsetzt. Konservative, fundamentale Gläubige und politische Hardliner fanden kurzfristig zwar in Donald Trump eine beinahe schon gottgleich verehrte Person, die ihre Werte in die Zukunft trägt.
Doch nach dem Verlust der Präsidentschaft fühlen sie sich im Stich gelassen und ihre Partei, die Republikaner, versuchen seitdem alles, diese Wählerstimmen erneut hinter sich zu scharren.
So ist es verständlich, dass sie ausgerechnet die queere Community zu ihrem neuen Hauptangriffsziel erklärt haben – das Unwissen und Unverständnis von Lebensweisen abseits der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft lässt sich wunderbar und leichtfertig zu Angst und Hass weiterentwickeln, noch dazu, wenn immer wieder argumentativ mit Pädophilie und Kindesmissbrauch gespielt wird. So wenig die Republikaner landesweit derzeit politisch ausrichten können, desto mehr funktioniert ihr Angriffsspiel auf Queers auf bundesstaatlicher Ebene. Im Zentrum des Kulturkampfes stehen mehr denn je die Schulen, in denen die “naiven, verletzlichen Kinder Amerikas“ nach ihrer Erklärung mit der “bösen LGBTI*-Welt“ indoktriniert werden.
Glauben das die meisten Republikaner wirklich? Das sei dahingestellt, doch sie haben erkannt, dass sich das Thema bestens dafür eignet, Wählerstimmen für die so wichtigen Zwischenwahlen im November zu gewinnen. Ein starker Zugewinn der Republikanischen Partei könnte praktisch zu einer massiven Blockade-Politik im White House führen. Doch wie gehen queere und homosexuelle Republikaner mit der aktuellen Situation um? Schämen sie sich nicht für Gesetze wie jene in Florida, die LGBTI*-Themen gänzlich verbieten oder wie in Texas Jagd auf die Eltern von trans-Jugendlichen machen und ihre Fürsorgepflicht mit Kindesmissbrauch gleichsetzen?
Während die einen queeren Republikaner in feinster Politikersprache versuchen, die jeweilige Situation schön zu reden und selbst die wirrsten Gesetze mit Blick auf ihre eigene politische Karriere noch gutheißen, entwickelt sich anderenorts inzwischen eine Art von stiller Revolte. Explizit brodelt es derzeit bei den Log Cabin Republicans (LCR), eine queere, den Republikanern nahestehende Organisation. In einem beinahe revolutionären Akt erklärte der Präsident der Gruppe, Charles Moran, jetzt im Gespräch mit der Washington Post, dass einige dieser Gesetzentwürfe tatsächlich gefährlich seien und man sie hoch offiziell ablehnen werde.
Eine bemerkenswerte Aussage, wenngleich diese die queerfeindlichen Aktionen der Organisationen aus der Vergangenheit deswegen noch lange nicht unvergessen macht. Die Gruppe verglich selbst gerne LGBTI*-Aktivisten mit Pädophilen, will ebenso trans-Jugendliche vom Schulsport verbannen und wollte Sexualkunde als Unterrichtsstoff generell streichen lassen – nur einige der bemerkenswerten Aktionen der letzten Jahre. Ansonsten schwieg die LCR beharrlich in den letzten Jahren und nutzte die Chance auch nicht, innerhalb der Partei ein wenig mehr Einsicht in puncto LGBTI* zu erzeugen. Die LCR steht im konservativen queeren Lager dabei allerdings nicht alleine mit der Kritik an der aktuellen Politik der Partei da, auch die Gruppe Conservatives Against Discrimination äußerte sich inzwischen mehrfach kritisch gegenüber Anti-LGBTI*-Gesetze wie beispielsweise jenes aus Florida.
Offiziell anerkannt als Support-Gruppe innerhalb der Republikaner werden beide Organisationen nicht, trotz bisheriger guter Zusammenarbeit. Nach dieser kleinen Revolte dürfte dieser Schritt auch jetzt in die ferne Zukunft gerückt sein. Ähnlich wie nach dem Abgang von Trump aus dem Weißen Haus wagen es bis heute viele Republikaner nicht, kritisch mit Trump oder dem jetzigen Kulturkrieg gegen LGBTI*s umzugehen – die Angst vor einem frühzeitigen Karriereende scheint so groß sein, dass einige der Republikaner dafür auch bereit sind, ihre eigene Homosexualität oder Queerness vor sich selbst zu verleugnen.