Die digitale Welt Neue Studie der ILGA World spricht von einer „digitalen Kluft“ in der weltweiten LGBTI*-Community
Wie wirkt sich der Zugang zur digitalen Welt des Internets auf Minderheiten wie die LGBTI*-Community aus, besonders dann, wenn dieser eingeschränkt ist oder gänzlich fehlt? Mit dieser Frage beschäftigte sich erstmals jetzt eine Studie der ILGA World.
LGBTI*-Menschen und die digitale Kluft
Die internationale LGBTI*-Organisation spricht dabei von einer „digitalen Kluft“, von der in besonderer Weise Schwule und Lesben betroffen sind. Es ist die erste Studie dieser Art, erarbeitet von dem gemeinnützigen Verband The Engine Room unter Einbeziehung von Daten und Erfahrungsberichten von Menschenrechtsaktivisten aus allen Regionen der Welt.
„LGBTI*-Menschen empfinden den digitalen Raum als revolutionär. Es kann eine Gemeinschaft schaffen, Aktionen und Bewegungen bündeln und Instrumente bereitstellen, mit der man besser Gehör findet – gerade auch in sehr feindseligen Umgebungen“, so Daniele Paletta, Kommunikationsmanager bei ILGA World und Herausgeber des Berichts. „Allerdings sind diese Möglichkeiten jedoch nicht für alle gleichermaßen verfügbar. Bis heute sind 2,6 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt offline. Für den Rest der Weltbevölkerung hängt der Zugang zu digitalen Ressourcen von der Überwindung von Barrieren ab.“
Ein Studienteilnehmer aus Uganda berichtet so: „Der Zugang zu einer Gemeinschaft ist das, was den meisten von uns Kraft gibt. Die Gewissheit, dass man nicht allein ist und dass es jemanden gibt, der mit einem auf diesem Weg zusammenarbeitet, gibt uns die meiste Kraft.“ In dem afrikanischen Land trat im letzten Jahr eines der schlimmsten Anti-Homosexuellen-Gesetze in Kraft, das auch die Todesstrafe für Schwule beinhaltet.
Pragmatische und besondere Probleme
Ganz pragmatisch hat der Zugang zum Internet natürlich etwas mit der generellen Verfügbarkeit, der digitalen Infrastruktur und den Kosten zu tun. LGBTI*-Menschen erleben dabei allerdings weitere spezifische Schwierigkeiten, die den Zugang erschweren oder unmöglich machen können – dazu gehören neben einer feindlichen Gesetzgebung auch eine gesellschaftliche Stigmatisierung. Dazu kommen je nach Land auch Filter diverser Plattform-Anbieter, die je nach Wunsch alle LGBTI*-Themen direkt entfernen.
Angst und Hass
Auch das Thema Angst spiele eine große Rolle, denn die Anonymität im digitalen Raum ist vielerorts nicht gegeben, was für Homosexuelle in Ländern mit homophoben Gesetzen eine besondere Gefahr darstellt – ein zuletzt sehr bekanntes Beispiel ist die Fahndung nach Schwulen in Ägypten über Dating-Apps.
Überdies stellen auch Aspekte wie digitale Hass-Gewalt und Online-Belästigung ein Problem für viele LGBTI*-Personen dar, besonders dann, wenn es im jeweiligen Land kaum oder keinen rechtlich wirksamen Schutz dagegen gibt. Die ILGA hält im Bericht weiter fest, dass gerade auch LGBTI*-Sexarbeiter durch die oftmals ausgrenzende Politik zunehmend mit gefährlichen Situationen, Überwachungen sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu kämpfen haben.
Teufelskreis der digitalen Welt
„Die Online-Konnektivität hat unsere Arbeit als LGBTI*-Organisationen und unsere Präsenz als Einzelpersonen verändert. Aber sie schafft auch einen Teufelskreis: Diejenigen, die am verletzlichsten und wirtschaftlich benachteiligt sind, sind auch am schwierigsten zu erreichen und zu unterstützen. Sie sind gleichzeitig am stärksten von Online-Zensur, Sperrung und Belästigung betroffen, was sie der entscheidenden Möglichkeiten beraubt, für ihre Rechte einzutreten und eine Gemeinschaft aufzubauen“, so Julia Ehret, Geschäftsführerin von ILGA World.
Bis heute haben nach Angaben der LGBTI*-Organisation mindestens 54 UN-Mitgliedsstaaten Gesetze und Verordnungen geschaffen oder angewendet, um das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf die sexuelle Orientierung zu beschränken In 61 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gibt es derzeit Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Strafe stellen.
Dazu kommt, dass die Angriffe gegenüber LGBTI*-Menschen im digitalen Raum weiter zunehmen, wie im letzten Jahr bereits die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) festhielt – dabei sorgen gezielte Anti-LGBTI*-Falschinformationen zu einem gesteigerten Hass auf die LGBTI*-Community
Widerstandsfähigkeit der Community
Allerdings belegen die gesammelten Berichte in der Studie auch eindrucksvoll, dass sich viele LGBTI*-Menschen nicht unterkriegen lassen und eine „unglaubliche Widerstandsfähigkeit“ erreicht haben, wie die zwei Ko-Generalsekretärinnen der ILGA World, Luz Elena Aranda und Tuisina Ymania Brown, berichten: „Wir stehen an vorderster Front bei der Förderung der digitalen Inklusion für alle - sei es durch die Förderung des ländlichen Zugangs zu Internetdiensten und Schulungen zur digitalen Sicherheit, Mobilisierung im Kampf gegen feindliche Gesetzgebung, die Übersetzung von LGBTI*-bezogenen Materialien in lokale Sprachen, oder die Nutzung der relativen Sicherheit von Online-Räumen für die LGBTI*-Arbeit sowie zur Möglichkeit, die Community zu versammeln.“
Die Hoffnung sei groß, die digitale Kluft zu verringen, sodass künftig gerade jene LGBTI*-Menschen eine Stimme bekommen, die bisher ungehört bleiben. „Diejenigen zu erreichen, die systematisch an den Rand gedrängt werden, bleibt der Kern des Versprechens, niemanden zurückzulassen!“, so Aranda und Brown abschließend.
Die ILGA World ist ein weltweiter Zusammenschluss von mehr als 1.900 Organisationen aus über 160 Ländern und Territorien, die sich für die Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intersexuellen Menschen einsetzen.