Debatte übers Grundgesetz Erneut emotionale Debatte mit würdelosen Aussagen der AfD
Nachdem Ende September der Deutsche Bundesrat den Berliner Antrag zur Änderung des Grundgesetzes Artikel 3 um die „sexuelle Identität“ in einem ersten Schritt positiv beschieden hat, debattierten heute Vormittag die Abgeordneten im Bundestag über den dazu kurzfristig eingebrachten, entsprechenden Gesetzentwurf von Bündnis 90 / Die Grünen. Im Anschluss an die Debatte wurde die Vorlage nun zu weiteren Beratungen an die Ausschüsse überwiesen.
Gesetz gegen steigende Gewalt
Konkret geht es dabei um den Artikel 3 Absatz 3 im Grundgesetz, der Begriff der „sexuellen Identität“ soll dabei in den Text eingebaut werden, um so den besonderen Schutz von LGBTIQ+-Menschen zu stärken. In der Begründung verwies die Partei auf die Benachteiligungen, Anfeindungen und gewaltsamen Übergriffe, denen Homosexuelle und queere Menschen bis heute in Deutschland ausgesetzt sind sowie auf die steigenden Fälle von Hasskriminalität gegen die Community. Seit über 30 Jahren wurde immer wieder versucht, die Ergänzung einzubringen, bisher scheiterte das Vorhaben immer an der nötigen Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat.
Grüne betonen besondere Verantwortung
Die Debatte startete mit der Grünen trans*-Politikerin Nyke Slawik, die die staatliche, jahrzehntelange Diskriminierung der deutschen Nachkriegszeit betonte und die Verantwortung des Bundestages herausstellte. Es gäbe keinen Grund, weiter zu warten. Die Verfassung müsse allen Menschen zeigen, dass sie dazugehören. Es bedürfe jetzt Haltung in einer Demokratie und eines starken Zeichens für Menschlichkeit. „Im Artikel 3 klafft eine Lücke. Eine historische Wunde, ein bedrohliches Schweigen“, so Slawik.
Auch Parteikollege Helge Limburg bekräftigte, wie wichtig das Vorhaben sei. Man müsse gemeinsam die Kraft finden, ein starkes Signal gegen Homo- und trans* Feindlichkeit zu setzen. Mit Blick auf Aussagen der AfD, nach Ungarn oder in die sozialen Medien gebe es zudem bis heute einen starken Bedarf, Schwule, Lesben und queere Menschen stärker zu schützen. Heterosexuellen Menschen wie ihm würde dabei nichts weggenommen, so Limburg weiter: „Diskriminierungsschutz wird für alle mehr, wenn wir ihn ausweiten. Wir gewinnen mehr gegenseitigen Respekt, mehr Achtung. Wir gewinnen eine diskriminierungsfreie Gesellschaft und damit eine freiere Gesellschaft für uns alle!“
Union sieht keinen Grund für Gesetzänderung
Martin Plum von der Union sagte, dass LGBTIQ+-Menschen bis heute von Extremismus, Gewalt und Populismus bedroht sind. Das Grundgesetz schütze allerdings bereits heute alle Menschen, auch LGBTIQ+-Personen. Eine Ergänzung des Artikels 3 sei daher eher Symbolpolitik. Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu ändern, sollte es nicht geändert werden, so der Union-Politiker weiter. Die Würde des Menschen werde bereits allumfassend geschützt: „Jeder Mensch ist wichtig. Jeder Mensch ist wertvoll. Jeder Mensch verdient Achtung und Respekt. Dieses Versprechen ist das Fundament unseres Zusammenlebens!“ Den Grünen ginge es allerdings mehr um Symbolpolitik, so Plum weiter: „Wer ernsthaft das Grundgesetz will, der muss das Gespräch suchen und nicht die Konfrontation, denn dafür braucht es eine breite Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Wer stattdessen einfach einen Vorschlag macht, dem geht es mehr um politische Effekthascherei.“
Ähnlich positionierte sich auch Unionskollege Ansgar Heveling. Die mangelnde Sichtbarkeit von LGBTIQ+ im Grundgesetz allein reiche nicht aus, das Grundgesetz deswegen zu ändern. Zudem lasse sich durch eine Ergänzung nicht besser oder anders gegen Hasskriminalität vorgehen. Christian Moser von der Union betonte ebenso, dass es für ihn keinen Grund für eine Ergänzung gebe, LGBTIQ+-Menschen würden bereits umfassend gesetzlich geschützt werden. Es bedürfe hingegen mehr „Law and Order“, um gegen Hasskriminalität besser vorgehen zu können. Tigen Ataoglu von CDU/CSU bekräftigte dann ebenso noch wie Kollege David Preisendanz, LGBTIQ+-Menschen hätten juristisch bereits vollen Schutz im Grundgesetz. Es gehe nicht um eine Schutzlücke, sondern um eine Klarstellung und ein Signal an queere Menschen, wie Preisendanz trotzdem weiter hervorhob – persönlich sei er daher für eine Ergänzung.
Würdelose Statements der AfD
AfD-Politiker Fabian Jacobi verglich den Antrag der Grünen mit der Spiegelwelt aus dem Märchen „Alice im Wunderland“. Die Ergänzung des Artikels 3 würde dabei auf das „Herz der Realität“ zielen. Des Weiteren kritisierte Jacobi das beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Der Wunsch nach der Erweiterung des Grundgesetzes solle daher nur erschweren, Gesetze wie das SBGG wieder zu korrigieren – Jacobi sprach von „ideologischer Verwirrung“ und kritisierte überdies die Zustimmung einzelner CDU-Politiker zur Grundgesetzänderung. Kollege Ulrich von Zons sprach von „ideologisch verblendeter Politik“ und brachte Personen ins Spiel, die sich „als Hunde definieren“. Beatrix von Storch wetterte erneut gegen „Gender-Gaga“ und beteuerte, es gäbe nur zwei Geschlechter. Männer, die bei falscher Pronomen-Ansprache „herumheulen“, seien auch nicht wehrfähig. Das echte Problem seien allerdings nicht die Grünen, sondern die „Mehrheitsbeschaffer“ der Union, so von Storch.
Stefan Brandner ging noch weiter und nannte den Antrag „grünen Mist“, der die Bevölkerung nur noch langweile. Das Gesetzesvorhaben sei zwischen „Quatsch und Mumpitz“ anzusiedeln. Des Weiteren brachte Brandner auch Pädophile und Zoophilie erneut ins Gespräch, eine Grundgesetzänderung sei eine Gefahr und ein „links-grün-woker Unsinn“. Schlussendlich griff Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ein und erklärte gegenüber Brandner: „Menschen mit unterschiedlicher Sexualität lächerlich zu machen, gehört sich nicht für dieses Haus!“ Mehrfach kam es bei den Reden der AfD-Politiker auch zu „Schämt euch“-Rufen anderer Abgeordneter im Bundestag.
SPD betont Zusammenhalt der Gesellschaft
Carmen Wegge von der SPD betonte, wie wichtig der kleine Einschub der „sexuellen Identität“ für viele Menschen in Deutschland wäre. Es ginge im Kern so um eine „freie, gerechte und solidarische Gesellschaft“. Kritik übte Wegge ebenso wie Plum an dem aktuellen Vorstoß der Grünen – die Partei sei dabei auf Konfrontationskurs: „Wer unser Grundgesetz ändern will, muss das mit Sorgfalt tun, mit Gründlichkeit und Weitblick – und auch mit der Bereitschaft, Mehrheiten zu schaffen. Einfach einen Entwurf ins parlamentarische Verfahren zu bringen, ohne den Dialog mit den anderen demokratischen Fraktionen zu suchen, ohne vorher abzustimmen, wie man gemeinsam vorgeht, das ist kein Ausdruck von Entschlossenheit, das ist ein Schnellschuss.“ Die Grünen widersprachen diesen Vorwürfen, die SPD habe vorab kein Interesse an Gesprächen gehabt.
SPD-Kollege Hakan Demir blickte in seiner Rede auf frühere starke Allianzen der Community mit anderen gesellschaftlichen Gruppen am Beispiel der Zusammenarbeit mit streikenden Bergarbeitern in der Thatcher-Ära Großbritanniens. Ein solches Bündnis aus der Breite der Gesellschaft brauche es auch heute wieder. Helge Lindh von der SPD ging auf die AfD ein und betonte, dass die Aussagen der Politiker viel über die „merkwürdigen Fantasien“ der Redner offenbare. Es gehe hier um Menschenrechte, nicht um eine Ideologie, so Lindh – frühere LGBTIQ+-Generationen hätten um die Rechte von allen Menschen gekämpft, auch für die Rechte von der lesbischen AfD-Politikerin Alice Weidel beispielsweise. Die AfD sei ein „wandernder Altherrenwitz“ und müsse sich schämen.
Linke blickt auf Verhalten der Union
Der queer-politische Sprecher der Linken, Maik Brückner, beteuerte, dass die Idee einer Grundgesetzänderung nicht neu sei. Dabei appellierte er an die Union, es hänge nun allein an den Politikern von CDU/CSU, ob das Vorhaben klappe – explizit benannte Brückner dabei auch den schwulen CDU-Politiker Jens Spahn. Die Union müsse jetzt „den Rücken gerade machen“ und „endlich mal ins Machen“ kommen. Zudem befürworte die Linksfraktion, dass auch die geschlechtliche Identität Einzug ins Grundgesetz finde – und der Begriff „Rasse“ dafür gestrichen werden sollte.
Politische Verantwortung
Queere Vereine wie der LSVD+ betonten im Vorfeld die „politische Verantwortung“ des Bundestages. „Die Demokratie zu schützen, muss auch den expliziten Schutz von LSBTIQ* einschließen“, so Alexander Vogt aus dem Bundesvorstand. Kritik kam von der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit dgti*, für die der Begriff "geschlechtliche Identität" fehlt, da trans*, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen mit sexueller Identität nicht ausreichend geschützt würden.