Direkt zum Inhalt
Berlin wählt!
Rubrik

Berlin wählt! CDU könnte stärkste Kraft werden, auch im schwul-lesbischen Kiez

ms - 11.02.2023 - 09:00 Uhr

Am Sonntag wählt Berlin nach der Pannenserie 2021 erneut – die letzten Umfragen seitens des Meinungsforschungsinstituts Forsa sehen die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl mit rund 26 Prozent der Stimmen klar vorne. Sowohl die Grünen wie auch die SPD inklusive der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey verlieren Stimmen. Die FDP muss sogar um den Einzug ins Abgeordnetenhaus zittern, die Partei lag zuletzt bei fünf Prozent. Doch was würde ein Wechsel an der Spitze für die LGBTI*-Community bedeuten?

Patzer, Pannen, Politik

Klar ist, dass die derzeitige rot-rot-grüne Regierung kaum Patzer und Pannen ausgelassen hat, auch nicht, wenn es um queere Politik geht. Selbst bei der jetzigen Wiederholungswahl kam es bereits zu Pannen, so befanden sich im Vorfeld auf einzelnen Stimmzetteln Kandidaten, die gar nicht teilnehmen. So dürfte die spannendste Frage jetzt sein, ob die Berliner Regierung überhaupt im zweiten Anlauf eine Wahl hinbekommt.

Die Frage nach der selbst erklärten “Regenbogenhauptstadt“ sorgt bei vielen LGBTI*-Berlinern indes für ein müdes Achselzucken, immer wieder ließ die Regierung die Community im Stich, zuletzt erst in diesem Januar, als die Berliner Gesundheitsverwaltung unter Leitung von Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) versäumt hatte, rechtzeitig die Versorgungsverträge für den Affenpocken-Impfstoff mit den Krankenkassen zu verlängern. Hunderte Impftermine von schwulen Männern mussten über eine Woche lang abgesagt oder verschoben werden, der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sprach von einem verachtenden Verhalten gegenüber der queeren Community. Nach Wochen ohne Neuinfektionen kam es kurz darauf wieder zu ersten neuen Fällen von Affenpocken in Berlin.

Kleine erste Schritte für LGBTI* geglückt

Zudem attestierte der LSVD jüngst der gesamten bundesweiten Ampel-Koalition ein eher durchwachsenes Zeugnis nach einem Jahr an der Regierung, gerade viele LGBTI*-Projekte verzögerten sich. Dafür kann die Berliner Politik zwar wenig, wurde aber sicherlich ein Stück weit in Sittenhaft für die ebenso rot-grüne Regierungsbeteiligung genommen. In einigen kleineren Aspekten konnte die rot-rot-grüne Regierung in Berlin zwar durchaus punkten, beispielsweise beim Thema Wohnungslosigkeit von LGBTI*-Personen – hier wurde eine weitere geforderte Krisenwohnung eingerichtet – doch spürbare Verbesserungen für eine Mehrheit der LGBTI*-Berliner gab es nicht.  

Pannenserie bei der Hasskriminalität

Das wichtigste Kernthema der Community ist aber die steigende Hasskriminalität, die allein in Berlin um rund 20 Prozent binnen eines Jahres zugenommen hat. Offiziell kommt es so im Durchschnitt zu mehr als zwei Angriffen auf LGBTI*-Personen jeden Tag in Berlin, sowohl die Polizei wie aber auch LGBTI*-Verbände gehen dabei allerdings von einer weit höheren Dunkelziffer aus, weil viele Opfer gar nicht erst Meldung bei der Polizei erstatten.

Bis jetzt hat der Berliner Senat nichts vorgelegt, was dem wirklich entgegenwirken könnte. Schlimmer noch, auf Rückfrage seitens der Stadtpresse, wirkten die Verantwortlichen zumeist eher ratlos. Verständlich, dass in puncto Sicherheit derzeit mit Blick auf die Umfragen die CDU punkten kann, selbst im schwul-lesbischen Kiez rund um den Nollendorfplatz stehen die Chancen nicht schlecht, dass erstmals ein CDU-Bezirksbürgermeister gewählt wird.

Frust bei LGBTI*-Geschäftsleuten

Auch in puncto Community selbst gibt es immer wieder Kritik, unterhält man sich mit einzelnen Geschäftsleuten aus der Szene. Viele Lokalbetreiber und Szeneläden konnten sich nur mit Müh und Not durch die Pandemiezeit retten, teilweise unterstützt von Förderungszahlungen, die nun stellenweise zurückverlangt werden. Zwar unterstützte die Stadt im letzten Jahr nach massiven Forderungen von queeren Vereinen tatsächlich auch finanziell öffentliche Veranstaltungen wie beispielsweise einzelne LGBTI*-Straßenfeste, doch für viele ist das nicht genug. Immer wieder hört man in den Straßen im Kiez, dass deutlich mehr getan werden müsse, ansonsten würden weitere Safe Spaces verschwinden.  

Viele Projekte noch unbearbeitet in der Pipeline

In anderen Aspekten ist es noch zu früh, eine Bilanz über die bisherige Berliner Regierungsarbeit zu ziehen, denn Punkte wie der Ausbau einer “Initiative für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“, die in sich rund 90 Einzelmaßnahmen bündelt, sollten schrittweise erst ab diesem Jahr umgesetzt werden. Ob das Vorhaben die aktuelle Regierung retten kann, ist fraglich – deren Auswirkungen wären zudem zumeist sowieso nicht zeitnah spürbar.

Das zentrale Anliegen in Berlin scheint so tatsächlich die Frage der Sicherheit zu sein, denn selbst innerhalb des Epizentrums in Schöneberg fühlen sich immer weniger LGBTI*-Menschen noch sicher. Immer öfter hört man im Freundeskreis den Satz, dass man abends lieber nicht mehr alleine ausgehe und auch zu zweit jenseits der schwulen Stammkneipe lieber nicht mehr Händchen halte. Gewisse U-Bahnlinien sowie ganze Stadtbezirke in Berlin werden, wenn möglich, vor allem nachts inzwischen von vielen gemieden. Kein gutes Zeugnis für eine Stadt, die sich selbst zur deutschen Regenbogenhauptstadt erklärt hat.

Auch Interessant

Haftstrafe für Neonazi

Attentatspläne auf Community

2022 wurde ein schottischer Extremist gefasst, nun endlich folgte die Verurteilung. Der Neonazi wollte LGBTI*-Menschen "mit Blut bezahlen" lassen.
Schutz für LGBTI*-Jugendliche

Paris Hilton feiert neue US-Gesetz

Jahrelang hat sich Paris Hilton für einen besseren Schutz von Jugendlichen in Heimen eingesetzt, jetzt wurde das Gesetz im US-Kongress verabschiedet.
Schwulenhass in Michigan

Attentat auf Homosexuelle geplant

In einer Massenschießerei wollte ein 22-Jähriger Amerikaner so viele Homosexuelle wie möglich töten, durch Zufall konnte er vorab verhaftet werden.
Krisenmodus Weihnachten

US-Verbände warnen vor Problemen

US-Gesundheitsexperten warnen vor einer Krise: Ablehnung im Kreis der Familie erleben LGBTI*-Menschen besonders stark zur Weihnachtzeit.
Appell an Joe Biden

Queere Verbände gegen Militärgesetz

Queere Verbände kritisieren scharf das neue Bundesgesetz des US-Militärs: Werden Militärangehörige und ihre Regenbogenfamilien künftig diskriminiert?
Kritik an der Drogenpolitik

Zu wenig Zusammenarbeit landesweit

Es gibt erste positive Schritte, doch insgesamt zu wenig Zusammenarbeit bei der Drogenpolitik. Ein rapider Anstieg von Überdosierungen ist denkbar.
Gewalt in Berlin

Attacken auf LGBTI*-Menschen

Die Gewalt in Berlin gegen LGBTI* nimmt weiter zu: Über 90% der mutmaßlichen Täter sind junge Männer, die Opfer sind zumeist Schwule und Bisexuelle.
Niederlage vor Gericht

Anti-Homosexuellen-Gesetz in Ghana

Der Oberste Gerichtshof in Ghana schmetterte Klagen gegen das geplante Anti-Homosexuellen-Gesetz erneut ab - wann tritt das Verbot jetzt in Kraft?