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Kalkulierte Eskalation: Deadnaming im Bundestag
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Beatrix von Storch ist transphob Kalkulierte Eskalation: Deadnaming im Bundestag

ms - 18.02.2022 - 10:41 Uhr

Es war eine geplante und kalkulierte Eskalation, als die stellvertretende AfD-Bundessprecherin Beatrix von Storch an diesem Mittwoch gezielt die Gender-Politik und im Speziellen die transsexuelle Politikerin Tessa Ganserer angriff. Der Fall hatte zuvor schon das Magazin Emma beschäftigt, auch hier folgte eine heftige Welle der Kritik. Um gezielt zu verletzen, war sich von Storch dabei auch nicht zu schade dafür, mehrfach Deadnaming zu betreiben, also den früheren männlichen Vornamen der trans-Politikerin zu nennen.

Hintergrund der gesamten Diskussion war dabei der bevorstehende internationale Frauentag Anfang März. Von Storch beschimpfte die Politiker des deutschen Bundestages als „Frauenabschaffer“, erklärte, die „trans-Ideologie ist totalitär“ und führte dabei weiter aus, dass jeder, der die biologische Natur leugne, auch die Wahrheit selbst zum Verbrechen erkläre. Die Positionen der AfD sind in puncto LGBTI* und insbesondere mit Blick auf die trans-Community klar und insofern auch nicht weiter verwunderlich – von Storch selbst nutzte ihre Redezeit so abermals, um auch gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz zu wettern.

Die erste Reaktion kam sogleich von der Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, die die Aussagen der AfD-Politikerin als "abscheulich" bezeichnete: "Das, was die Abgeordnete Storch sich gerade in diesem Haus erlaubt hat, ist niederträchtig, bodenlos, es ist homophob und zutiefst menschenverachtend. Tessa Ganserer ist eine von uns." Niemand habe das Recht, darüber zu richten oder zu entscheiden, wie die trans-Frau Ganserer ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehme. Mitglieder aller Fraktionen meldeten sich seitdem zu Wort. Jürgen Lenders, der FDP-Sprecher für LGBTI*, erklärte: „Frau von Storch hat von sexueller Identität und geschlechtlicher Vielfalt keine Ahnung.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach von einer „Schande“ und der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, beteuerte über Twitter: „Trans-Frauen sind Frauen und Tessa Ganserer ist eine Frau! Was Frau von Storch heute im Bundestag von sich gegeben hat, ist menschenfeindliche Hetze. Aber das wird die Ampelkoalition garantiert nicht daran hindern, das Transsexuellengesetz abzuschaffen. Jetzt erst recht!"

© IMAGO / Future Image
© IMAGO / Future Image

Von Storch war in der Vergangenheit immer wieder negativ aufgefallen – ganz gleich, ob es dabei um LGBTI*-Menschenrechte oder auch den Klimawandel handelte. Dass die Politikerin abermals eine solche geplante und medienwirksame Welle der Empörung auslösen konnte, zeigt indes die angespannte Lage der Gesamtsituation. Von Storch bezog sich in ihrer Rede auch auf den Artikel in der Emma, die über die Initiative „Geschlecht zählt“ berichtet hatte – die Initiative hatte Einspruch gegen die Wahl Ganserers eingelegt. Der Knackpunkt dabei ist die Tatsache, dass Ganserer über die Frauenquote in den Bundestag gekommen ist, und das, obwohl die trans-Politikerin weder rechtlich noch biologisch aktuell eine Frau ist. Ganserer verweigert aktuell eine rechtliche Geschlechtsanpassung, da sie das derzeitige Transsexuellengesetz als menschenverachtend ablehnt. Streng juristisch gesehen ist die Sachlage also eine äußerst problematische, die erst mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz geändert werden kann – dieses ist allerdings nicht vor 2023 zu erwarten. In den sozialen Medien formiert sich seitdem abermals die gleiche verhärtete Front: Besorgte Frauen, die ernsthaft Angst vor dem Verlust von Schutzräumen haben, treffen auf queere Aktivisten, die das Recht der persönlichen Selbstbestimmung jenseits aller aktuellen Gesetze als einzige Richtskala ansetzen. Beleidigungen und Beschimpfungen auf beiden Seiten nehmen zu – der perfekte Nährboden für eine Partei wie die AfD.

Von Storch sagte an einer Stelle in ihrer Rede: „Ohne Biologie gibt es keine Frauen, und ohne Frauen keine Frauenrechte.“ Ein Satz, dem sicher auch viele Feministinnen wie beispielsweise Verlegerin und Autorin Alice Schwarzer zustimmen würden. Um eine Lösung in dem, immer wieder mit Leidenschaft und oftmals ohne die nötige Sachlichkeit geführten Streit zu finden, bedarf es der Möglichkeit, Probleme und Ängste von beiden Seiten offen ansprechen zu dürfen, ohne sofort beschimpft oder abgelehnt zu werden. Momentan entfernt sich die Diskussion davon aber erneut. Was dann bleibt ist die derzeitige Situation, in der man das Feld Parteien wie der AfD überlässt, die sich als mutige und vernünftige Opposition aufspielen kann, welche als einzige anscheinend bereit ist, die „Wahrheit“ frei auszusprechen. Wenn wir jetzt also erneut unbedacht in schnelle Empörungswellen hineingleiten, schaden wir nicht nur der Debatte selbst, wir stärken auch noch jene, die queere Lebenswelten in weiten Teilen gänzlich ablehnen. Wollen wir das wirklich? 

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