Angriffe auf LGBTI* wegen Ukraine-Krieg Bundeskriminalamt berichtet über allgemeinen Anstieg
Das Bundeskriminalamt (BKA) verzeichnet aktuell jede Woche rund 200 Straftaten im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine – das geht aus einem aktuellen Tagesspiegel-Interview mit BKA-Präsident Holger Münch hervor. Ob diese Zahlen in den kommenden Wochen dabei weiter steigen oder sinken werden, sei stark davon abhängig, wie sich der weitere Verlauf des Krieges entwickeln werde, so Münch weiter.
Klar sei, dass die reine Anzahl der Fälle derzeit stetig ansteigt, wobei sich die Delikte mehrheitlich gegen russischstämmige aber auch mitunter gegen ukrainischstämmige Personen richten würden. Vorrangig handelt es sich dabei um Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen. Seit Beginn der Kämpfe in der Ukraine sind rund 350.000 Flüchtlinge in Deutschland angekommen, darunter mindestens auch 25.000 queere Flüchtlinge. Die Behörden gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen deutlich höher liegen dürften.
Insgesamt rechnet der LGBTI*-Aktivist und Direktor der europäischen LGBTI*-Organisation Forbidden Colours, Rémy Bonny, mit mindestens 600.000 queeren Flüchtlingen aus der Ukraine, die sich derzeit auf mehrere Länder Europas verteilen. Gerade für transsexuelle Frauen, die aufgrund eines offiziell männlichen Personenstandes als wehrpflichtig eingestuft werden und deswegen ihr Land nicht verlassen dürfen, ist die Flucht ein oftmals lebensgefährliches Unterfangen. Aber auch homosexuelle Männer erleben während der Flucht oftmals Gewalt und Anfeindung, wenn sie beispielsweise als Paar erkennbar sind. In Deutschland angekommen, sind die Probleme deswegen nicht sofort vorbei - noch immer herrscht teilweise ein Mangel an adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten, speziell für queere Menschen.
Der allgemeine Anstieg von Gewalt in Deutschland gegenüber Menschen aus der Ukraine und vor allem aus Russland macht die Lage für queere Menschen besonders dramatisch. Gerade queere Ukrainer und queere Russen, zumeist aus denselben Gründen – der Angst vor Verfolgung und Gewalt von Seiten Putins – aus ihrer Heimat geflüchtet, erleben diese Bedrohung als doppelte Stigmatisierung.
Gegenüber Schwulissimo erzählt beispielsweise ein junger Russe, der seit einigen Jahren in München lebt und anonym bleiben möchte: „Ich bin aus Russland geflohen, weil sie mich als Schwulen totschlagen wollten. Und das war auch für meine Familie kein Problem, sie stehen voll hinter dem Propaganda-Wahnsinn von Putin! Jetzt werde ich hier in Deutschland von anderen schwulen Männern in der Szene aber auch Wildfremden zum Beispiel beim Einkaufen angefeindet, sobald sie erkennen, dass ich aus Russland komme. Dabei kann ich nichts für den Krieg. Mich verbindet hundert Mal mehr mit den Geflüchteten aus der Ukraine als mit meinen Landsleuten aus Russland!“
Um nicht immer wieder innerhalb wie außerhalb der LGBTI*-Community angefeindet zu werden, lügt der junge Russe inzwischen, wenn es um seine Herkunft oder auch seinen russischen Vornamen geht.
Am Ende macht es für die Betroffenen wahrscheinlich keinen großen Unterschied, ob sie aufgrund ihrer Nationalität oder wegen ihrer Sexualität angegriffen werden. Der Anstieg der Gewalttaten zeichnet sich dabei auch im Bereich Hassverbrechen gegenüber LGBTI* ab – offizielle Zahlen des Bundesinnenministeriums verzeichnen eine Steigerung von rund 50 Prozent binnen eines Jahres. Da die Dunkelziffer extrem hoch ist, lassen sich die tatsächlichen Zahlen nur anhand der offiziellen Meldungen geschätzt hochrechnen. Realistisch gesehen dürfte es so wahrscheinlich zu mehr als 10.000 Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen binnen eines Jahres in Deutschland kommen.