Amoklauf Colorado Springs "Wir werden überall in diesem Land abgeschlachtet und entmenschlicht!“
Mit eindringlichen und sehr emotionalen Worten haben mehrere Überlebende des Amoklaufs im Gay-Nachtclub Q im Bundestaat Colorado jetzt bei einer Anhörung im US-Kongress die Gewalt geschildert, die sie erlitten haben – Schuld daran sei vor allem die hetzerische politische Rhetorik in den Vereinigten Staaten von Amerika.
LGBTI*-Themen sind Menschenrechte
Matthew Haynes, der Besitzer des Nachtclubs Q in Colorado Springs, erklärte: "Wir werden überall in diesem Land abgeschlachtet und entmenschlicht, in Gemeinschaften, die zu schützen Sie einen Eid geschworen haben!“ Dabei bekräftige Haynes weiter mit starker Stimme: "LGBTI*-Themen sind keine politischen Themen. Es sind keine Lebensstile. Es sind keine Überzeugungen oder Wahlmöglichkeiten. Es sind grundlegende Menschenrechte!"
Details aus der Horrornacht
Ebenso zu Wort meldete sich bei der Anhörung vor dem U.S. House Oversight Committee Michael Anderson, er arbeitete in jener Nacht am 19. November als Barkeeper im Club Q, als der Schütze den Nachtclub betrat und zu schießen begann: "Ich sah meinen Freund auf dem Boden liegen, blutend, und wusste, dass er wenig bis gar keine Chance hatte, die Schusswunde zu überleben."
Auch James Slaugh überlebte die Horrornacht und schilderte gegenüber dem Komitee die Ereignisse so: "Mehrere Knallgeräusche ertönten, und ich spürte sofort einen stechenden Schmerz in meinem Arm. Ich fiel auf den Boden und wusste, dass ich in meinen rechten Arm getroffen worden war. Ich sah alle auf dem Boden, die zerbrochenen Glasscheiben und das Blut, das aus meinem Arm und meiner Brust lief, wo die Schrapnells eingedrungen waren. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn der Schütze in dieser Nacht nicht ausgeschaltet worden wäre."
Anklage in 305 Fällen
Der mutmaßliche Täter Anderson Lee Aldrich war mit einem Sturmgewehr gegen Mitternacht in den Club marschiert und hatte fünf Menschen erschossen, 25 weitere Personen wurden teilweise schwer verletzt. Aldrich war von einem ehemaligen US-Soldaten, der zufällig als Gast im Club war, überwältigt und zu Boden gerungen worden. Die Polizei konnte den 22-Jährigen daraufhin festnehmen. Die Staatsanwaltschaft hat Anfang Dezember offiziell Anklage gegen Aldrich erhoben, der sich selbst als nicht-binär definiert. Aldrich (22) wurde des Massenmords in 305 Fällen angeklagt, darunter im Detail Mord, versuchter Mord sowie auch Körperverletzung und Hassverbrechen.
Mehr Einsatz gegen Hass und Gewalt
Für die Überlebenden ist klar, dass die massiven Gewalteruptionen in den USA endlich ein Ende haben müssen. Anderson erklärte so weiter gegenüber dem Komitee im Kongress: "Dieser Schütze betrat unseren sicheren Raum und unser Haus mit der Absicht, so viele Menschen wie möglich zu töten. Er benutzte eine militärische Waffe, die nur dazu da ist, andere Menschen zu töten, und begann, uns zu jagen, als ob unser Leben nichts bedeuten würde. Ich kann das schnelle Abfeuern der Kugeln noch heute hören. Das ist ein Geräusch, das ich nie vergessen werde.“ Während Anderson überlebte, starben zwei seiner Bar-Kollegen, Daniel Aston und Derrick Rump. Alle drei geladenen Überlebenden forderten dabei unmissverständlich, dass die Vereinigten Staaten deutlich mehr gegen Hassreden und Waffengewalt in den USA tun müsse.
Wir wollen einfach nur leben…
Ebenso geladene LGBTI*-Experten betonten während der Anhörung auch, dass die Stimmung gegen homosexuelle und queere Menschen in den USA immer mehr angeheizt werden würde, als Beispiel nannten sie auch das berüchtigte “Don´t Say Gay“-Gesetz aus Florida, das seit dem Sommer dieses Jahres alle Gespräche über LGBTI* an Schulen verbietet. Brandon Wolf, ein Aktivist und Überlebender der Schießerei im schwulen Nachtclub Pulse in Florida im Jahr 2016, bei der 49 Menschen getötet und 69 verwundet wurden, sagte gegenüber dem Komitee: "Wir wollen einfach nur leben. Ist das so viel verlangt?"
628 Schießereien in einem Jahr
Nach den jüngsten Massenschießereien in Uvalde (Texas) und Buffalo (New York) hatte Präsident Joe Biden zwar im Juni ein Gesetz zur Waffensicherheit unterschrieben, doch die tatsächlichen Regelungen haben kaum Auswirkungen auf die Situation in den USA. Nach Angaben des Gun Violence Archive gab es in diesem Jahr bisher 628 Massenschießereien in den Vereinigten Staaten. Dabei bestätigte das Williams Institute an der UCLA School of Law zudem, dass LGBTI*-Personen fast viermal so häufig Opfer von Gewaltverbrechen werden wie heterosexuelle Menschen.
Keine Chance gegen automatische Waffen
Anderson erklärte weiter gegenüber den Ausschussmitgliedern: "Hassreden werden zu Hasstaten, und Hasstaten haben mir mit 25 Jahren fast das Leben genommen. Viele in unserer Regierung sagen, dass nichts getan werden kann. Dass diese Epidemie von Gewalt einfach etwas ist, für das wir bezahlen müssen... Das ist eine Lüge. Zu den Politikern und Aktivisten, die LGBTI*-Personen beschuldigen, sie würden Kinder verführen und missbrauchen, sage ich: Schämt euch. Wir müssen endlich das Leben von Kindern und Erwachsenen über unsere ungesunde Besessenheit von Sturmgewehren stellen. Als ich in den Lauf dieser Waffe starrte, wurde mir klar, dass ich gegen eine Waffe mit dieser Leistung, dieser Magazinkapazität und der automatischen Feuerkraft keine Chance hatte."
Mehr Schutz für LGBTI*-Menschen
Slaugh forderte zudem die Politiker auf, "ihre Worte bewusster zu wählen. Hass beginnt mit der Sprache. Die hasserfüllte Rhetorik, die wir von gewählten Politikern gehört haben, ist die direkte Ursache für die schreckliche Schießerei im Club Q." Und Club-Besitzer Haynes erklärte abschließend, wie groß die Bedeutung von sicheren Räumen wie dem Club Q für die LGBTI*-Community ist: “Wir brauchen sie mehr denn je! Und wir brauchen Sie als unsere Führer, um uns zu unterstützen und zu schützen."
Höhepunkt im Anti-LGBTI*-Extremismus
Der Ausschuss im US-Kongress war mit dem Ziel gegründet worden, den massiven Anstieg von Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen in den USA zu bekämpfen – allein in diesem Jahr gab es allerdings mehr als 340 Anti-LGBTI*-Gesetzesvorhaben in den USA. Die Ausschussvorsitzende Carolyn Maloney erklärte den Anwesenden, dass sich die Zahl der gegen LGBTI* gerichteten Gesetzesentwürfe in den letzten vier Jahren verdreifacht habe. "Allein 48 Gesetzesentwürfe in mehr als 20 Bundesstaaten haben die Abschaffung oder Unterdrückung von LGBTI*-Menschen und ihrer Geschichte in den Lehrplänen der Schulen in Betracht gezogen. Diese Maßnahmen sind der Höhepunkt von jahrelangem Anti-LGBTI*-Extremismus, der in den Staatshäusern im ganzen Land begann und sich auf Social-Media-Plattformen ausbreitete, bevor er in den Gemeinden, denen wir vorstehen, überkochte."
Jeder zweite LGBTI*-Amerikaner hat Angst
Sarah Kate Ellis, die Geschäftsführerin der LGBTI*-Organisation GLAAD, berichtete den Anwesenden außerdem, dass 48 Prozent der LGBTI*-Amerikaner aufgrund des politischen Umfelds in den USA derzeit um ihre Sicherheit fürchten. Gerade in den sozialen Medien habe der Hass enorm zugelegt, beispielsweise das Wort “Groomer“ für einen Homosexuellen, der angeblich Kinder verführe, habe einen Zuwachs von 406 Prozent binnen eines Jahres erlebt.
Wir dürfen keine Angst haben!
Die letzten Worte sprach der Überlebende James Slaugh: „Es ist an der Zeit, sich als eine Gemeinschaft zusammenzuschließen. Hassvolle Menschen wollen uns zurück in die Kerker treiben, damit wir unser Leben in Angst leben, aber wir dürfen keine Angst haben! Keine Kugel wird uns davon abhalten, stolz darauf zu sein, wer wir sind. Und keine Kugel wird der Unterstützung und der Liebe, die es in unserer Gemeinschaft gibt, etwas anhaben können!“