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Francesco // © vvg
Rubrik

Leserumfrage Family-Affairs

vvg - 29.12.2024 - 14:00 Uhr

Ich hatte schon sehr früh Schwierigkeiten in meiner Herkunftsfamilie, besonders mit der Familie von Seiten meines Vaters gab es viele tiefgreifende Konflikte. Als Kind habe ich mich zwar noch nicht als queer identifiziert, aber gerade von meinem Vater wurde mir schon sehr früh meine Existenz abgesprochen. Es gab oft Konflikte, wo geäußert wurde, dass ich nicht dem Bild des gewünschten Sohnes entspreche. Die Italiener - so auch mein Vater - waren ja die ersten Gastarbeiter in Deutschland, so bin ich selbst in Oberhausen geboren und aufgewachsen. Mein Vater war allerdings sehr konservativ, sehr religiös und kam nicht gerade aus einer gebildeten Familie. Als Kind ging es immer nur darum, dass ich nicht ins Bild passte, dass ich ja nicht anecken und auffallen durfte. Ich sollte einem Idealbild entsprechen, was ich nicht erfüllen konnte. Meine Eltern haben sich dann scheiden lassen. Nicht wegen mir, aber ich war mit ein ausschlaggebender Faktor.

Ich wohnte dann bei meiner Mutter, die Beziehung zum Vater wurde immer angespannter und von seiner Familie gab es nur noch abwertende Kommentare - was bis heute anhält. Daraus folgt wiederum, dass ich keine Beziehung mehr zu meiner Familie väterlicherseits habe, weil es immer nur üble Nachreden gab. Ich wurde ignoriert und hätte nie eine emotionale Beziehung zu ihnen aufbauen können. Ein Grund, dass ich mich, als ich 15 Jahre alt war, von ihm und seiner Familie getrennt habe und nie wieder Kontakt gesucht habe. Mein Vater lebt inzwischen nicht mehr; ich habe aber erfahren, dass er vor seinem Tode pflegebedürftig war. Das wurde mir nicht von seiner Familie mitgeteilt, um eine mögliche Aussprache und Klärung bewusst zu verhindern.
Francesco aus Oberhausen
 

Daniel // © vvg

Meine Eltern leben in Rumänien und ich bin seit acht Jahren in Deutschland. Hier lebe ich teilweise offen schwul, weil ich weit entfernt bin von meiner Mutter, meinem Vater, zwei Schwestern und einem Bruder. Sie wissen alle nicht, dass ich schwul bin und ich habe große Angst, mich bei ihnen zu outen. Ich weiß nicht, was passieren wird; wie meine Eltern reagieren. In Rumänien geht man nicht offen mit diesem Thema um, man ist eher konservativ bis zu den Extremen, wie es Putin propagiert. Ich weiß, dass meine Mutter mich liebt, aber sie würde mich aus gesellschaftlichen Zwängen verstoßen. Es ist bei uns immer wichtiger, was die Nachbarn über einen denken, als dass man zur Familie steht, auch wenn sie nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Da steckt sicherlich noch viel von der Ideologie der Ceausescu-Diktatur in den Menschen, auch wenn heute eher die Kirche die Menschen indoktriniert und ihre Ideologien predigt. Akzeptiert wird nur die Familie aus Mann und Frau. Ich kenne niemanden, der in Rumänien offen mit seiner Homosexualität umgeht, alles läuft versteckt ab.

Ich weiß nicht, ob ich dieses Thema für mich und meine Familie lösen kann. Vielleicht kann ich erst frei leben, wenn meine Eltern nicht mehr da sind.

Derzeit ist es ein Tabu, dass ich über mein Leben spreche. Hier in Deutschland habe ich Freunde kennen gelernt, bei denen ich mich geöffnet habe und mit denen ich auch gemeinsam CSDs besuche. Aber auch in meinem Privat- und in meinem Arbeitsumfeld in Thüringen wissen das nur wenige über mich. Deswegen möchte ich auf keinen Fall mit einem erkennbaren Bild in eurem Magazin erscheinen. 
Daniel aus Thüringen
 

Gabriel // © vvg

In der Regel hatte ich nie Streitigkeiten mit meiner Familie, sogar mein eigenes Outing lief recht entspannt. Dafür, dass ich in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt aufgewachsen bin und wahrscheinlich der einzige geoutete Schwule im Dorf war, kann ich mich da nicht beschweren. Noch ein wenig Background zur Story: Ich habe zwei Geschwister, einen Bruder, der zwei Jahre älter ist und ein fünfzehn Jahre jüngeres Geschwisterkind. Geschwisterkind sage ich, weil - auch wenn ich die „queere“ Tür sozusagen geöffnet habe - in meiner Familie mein Geschwisterkind sich nicht als Cis-Gender identifiziert. Darum drehte sich der größte Streit, den ich mit meiner Familie hatte. Zu Weihnachten vor zwei Jahren war ich mit meinem Partner bei ihnen zu Besuch. Ich wusste mein Geschwisterkind benutzt geschlechtsneutrale Pronomen und einen anderen Namen. Als guter großer Bruder respektiere und unterstütze ich dies natürlich. Meinem Stiefvater gefiel es nicht so gut und er forderte mich auf "they" zu misgendern und zu deadnamen. Das habe ich nicht gemacht und mich verteidigt. Es eskalierte in der Folge und ich wurde des Raumes verwiesen. Ich erzählte das meiner Mutter und nach etwas hin und her, vertrat auch sie den Standpunkt meines Stiefvaters.

Es gab den größten Streit, den ich je mit meinen Eltern hatte und ich bin mit meinem Partner in der Nacht um 21 Uhr noch abgereist und sechs Kilometer zum nächsten Bahnhof gelaufen. Mein Geschwisterkind verteidige ich bis heute vor allem bei diesem Thema leidenschaftlich. Ich weiß, wie es ist, mit wenig Unterstützung allein dazustehen, für they bin ich gerne ein positives Beispiel, auch wenn es Streit mit meinen Eltern bedeutet.
Gabriel aus Potsdam
 

Justus // © vvg

Ich bin in Hoyerswerda - einer Stadt zwischen Dresden und Chemnitz - geboren und aufgewachsen und lebe seit zwei Jahren in Köln. 

Die erste Person, der ich gesagt habe, dass ich anders bin, war meine Oma, die meine engste Bezugsperson war. Sie sagte, das hat sie schon geahnt, weil ich immer ein besonderes Kind war. Ich habe nie Fußball gespielt oder rumgeschraubt. Ich habe eher gemalt oder mit Barbies gespielt, aber auch mit Matchboxautos. Ich habe mich zuerst als BI gelabelt und meine Oma hat das so akzeptiert. Sie erkundigt sich immer, wie es ausschaut an meiner Dating-Front.

Meine Eltern haben mich öfter gefragt, ob ich mich nicht zwischen Mann und Frau entscheiden könnte und ich habe ihnen gesagt, dass ich einfach ein Mensch bin, der den Menschen liebt. Lediglich mein anderthalb Jahre jüngerer Bruder, hat mich immer aufgezogen und beschimpft. Wir hatten aber auch schon vor meinem Outing immer ein angespanntes Verhältnis, was wohl typisch ist für gleichgeschlechtliche Geschwister mit geringem Altersunterschied. Letztens hat er mir gestanden, dass BI auch für ihn ein überlegenswertes Label sei. Meine kleine Schwester hat als Viertklässlerin sehr cool reagiert: „Eigentlich habe ich drei Geschwister - zwei Brüder und eine Schwester - zwei davon bist Du!“

Da ich androgyn wirke, werde ich oft gefragt, wie man mich ansprechen soll. Da sage ich: mit meinem Namen. Ich bin halt in meiner Fluidität so gefestigt, das ich gerade so bin, wie die Situation ist. Da habe ich gar kein zweites Outing nötig. Wenn ich nach Hoyerswerda fahre, fühle ich mich bei meiner Familie sicher, wenn ich auf die Straße gehe, bleibe ich schon selbstbewusst, nehme mich aber optisch zurück.
Justus aus Köln
 

Tiko // © vvg

Was meine Familie angeht, war die - im Gegensatz, was ich über andere Eltern höre - immer sehr unterstützend. Mit 12 Jahren fragte ich mich, ob es schlimm wäre, einen Jungen zu küssen. So sah ich zuerst mein inneres Coming Out als bisexuell an. Nachdem ich im Internet mit Freunden - darunter auch ein Transmann - Videospiele gezockt und viele unterschiedliche Gespräche geführt hatte, stellte ich mir die Frage, wie ich denn eigentlich leben möchte.

Ich habe mit 14 Jahren mein Coming Out subtil in ein Gespräch einfließen lassen, worauf natürlich die Frage „Halt, was war das?“ kam. Meine Mutter nahm es von Anfang an gut auf; sie fuhr mich zu CSD-Veranstaltungen und schminkte mich sogar. Mein Vater wusste anfangs nicht so richtig, wie er damit umgehen sollte, für ihn war es ein komplett neues Thema. Es kamen allerdings nie blöde Kommentare. Und vom „plötzlich Neuem“ ging es schnell über zu etwas, was „einfach dazu gehörte“. Das war für mich sehr angenehm in meiner Coming-Out-Phase.

Meine Familie stammt aus Costa Rica, meine Großeltern leben immer noch dort und meine Eltern sind wieder zurückgekehrt. Zwischendurch lebten sie in Landsberg, einem kleinen Dorf in der Nähe von Halle. Dort habe ich mein Coming Out – außer bei Eltern und Freunden - lange Zeit verschwiegen. Gegenüber meinem Gymnasium in Landsberg befand sich die Sekundarschule und dort gab es eine Gruppe Neonazis. Das war der Hauptgrund, mein Coming Out für mich zu behalten. Trotzdem gab es brenzlige Situationen, weil ich auch offen gegen rechts war. Einmal standen zehn von denen vor mir und ich konnte mich glücklicherweise aus dieser Situation retten und in unsere Bibliothek flüchten.
Tiko aus Landsberg/bei Halle
 

Tom // © vvg

Ich komme aus Berlin und bin mit 30 Jahren nach NRW gezogen. Ich komme aus sehr behüteten Familienverhältnissen, da ich bei meiner Oma großgeworden bin. Meine Mutter war zum Zeitpunkt der Geburt selbst noch ein Kind mit 16 Jahren, mein Vater war ebenso alt. Da gab es nur die Alternative zur Großmutter oder in ein Heim. Meine Oma hat das sehr gut gemanagt, sie war alleinstehend, da mein Opa schon verstorben war. Sie hat es geschafft, aus mir einen passablen selbstbewussten jungen Mann zu machen, der mit seinem Schwulsein nie hinterm Berg halten musste.

Meine Eltern hingegen waren da ganz anders. Für sie war Schwulsein „Bäh“. Mein Vater war inzwischen Profifußballer und für ihn gab es nur Fußball und Frauen. Als er erfuhr, dass ich schwul bin, war sein Statement: „Tot wärst du mir lieber!“.

Als meine Großmutter krank wurde, war ich 16 und musste so wider Willen zu meinen leiblichen Eltern ziehen. Es gab niemals familiäre Bindungen. Wir haben diese Zeit schweigend nebeneinander gelebt und sind uns aus dem Weg gegangen. Allerdings gab es Dinge, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben. Sobald ich volljährig war, konnte und musste ich dieses Haus verlassen. Zu meinem 18 Geburtstag habe ich meine eigenen Wege eingeschlagen und habe meine Eltern seitdem nie wiedergesehen.

Als ich meinen ersten - heute EX-Ehemann - geheiratet habe, nahm ich seinen Nachnamen an, um auch die letzte Verbindung zu meiner Familie abzureißen.

Heute ist meine Familie der Kreis von Freunden, guten Bekannten und meinem Partner und auch von Geschäftspartnern. Heute bin ich sehr stolz darauf, dass ich rückblickend als Jugendlicher charakterlich schon so stark war.
Tom aus Köln

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