Leserumfrage Das geht mir am Arsch vorbei…
Mir geht am Arsch vorbei, was die Leute über mich denken oder was sie allgemein über Schwule denken. Viele glauben noch immer das Homosexualität krank sei und wir wären dumm, kriminell und Kinderschänder.
Ich stamme aus Polen und bin nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland gekommen, weil ich glaubte, dass es hier nicht so eine Homophobie gibt, wie in Polen. In Polen konnte ich gar nicht offen schwul sein, obwohl ich das schon vor meinen 18. Geburtstag wusste. Ich wollte frei sein, mein Leben leben und niemanden belügen oder gar eine Freundin haben, vielleicht zwangsverheiratet werden. Meine Eltern haben davon nichts gewusst, nur meine Großmutter. Sie hatte eine Gastronomie und mein erstes Mal mit einem Mann, war mit einem Kellner, der bei ihr arbeitete. Als ich mich bei meinen Eltern outete, hat meine Mutter mich verstoßen, während mein Vater sagte: „Du warst mein Sohn, du bist mein Sohn und du wirst mein Sohn bleiben!“ Mein Mutter war hoch katholisch und es hat sich um 180° gedreht, als sie meinen Freund Jürgen kennenlernte. In den war sie dann richtig vernarrt.
Heute ist es auch in Polen nicht mehr so extrem, es gibt aber - wie hier in Deutschland auch - immer noch Geister von vorgestern.
Inzwischen bin ich über Fünfzig und heute ist mir das egal, ich lebe mein Leben und werde mir da von niemanden mehr etwas vorschreiben lassen. Ich bin stolz GAY zu sein und stehe offen damit in der Gesellschaft. Ich habe noch keine direkte Diskriminierung meiner Person in Deutschland erfahren, vielleicht, weil ich heute als gestandener Mann wahrgenommen werde, aber schräge Blicke gehen mir am Arsch vorbei.
Adrian aus Münster
Wir waren im Dezember 2017 das erste gleichgeschlechtliche Paar, das in Engelskirchen geheiratet hat, worüber das Fernsehen live berichtet hat. Das hat alles von Seiten der Ämter wunderbar geklappt, da gab es keinerlei Schwierigkeiten oder Anfeindungen.
Wir haben uns beide aber auch bei der freiwilligen Feuerwehr im Ort engagiert und hatten uns beide vom normalen Feuerwehrmann zum Oberfeuerwehrmann hochgearbeitet und ganz normale Einsätze mit absolviert. Das hat eigentlich gut funktioniert, aber klar: man versteht sich nicht mit allen gleich gut, denn auch bei der Feuerwehr gibt es schwarze Schafe. So gab es dann einige dumme Sprüche: „Mit den beiden auf einem Zimmer, da werde ich gleich mit dem Arsch zur Wand liegen“. So etwas macht mich nicht sprachlos, sondern ich halte dagegen und konterte mit der Antwort: „Kein Problem, du schläfst ja eh mit offenem Mund!“ Damit hatte ich die Lacher auf meiner Seite. Wer austeilt, sollte auch einstecken können. Ein weiterer Spruch kam vor einem Einsatz. Da kommt man dann zusammen und zieht sich voreinander um; es zählt ja jede Sekunde. Da hörte ich dann, dass man sich neben uns nicht umzieht; dabei gibt es kaum Dinge, die wir noch nicht gesehen haben.
Zu unserer Hochzeit kamen nur vier Kollegen. Üblich ist eigentlich, dass die ganze Mannschaft Spalier steht und verschiedene Aktionen durchführt. Die Kollegen, die dabei waren, legten auch Wert darauf, nicht von den Fernsehkameras aufgenommen werden. Wir haben die Wehr daraufhin verlassen und als wir uns in Gummersbach bewarben, nahm man mit der alten Wehr Kontakt auf und bekamen dadurch hier eine ablehnende Reaktion. Heute bin ich beim THW und die Feuerwehr geht mir am Arsch vorbei.
Christian und Fabian aus Gummersbach
Es gibt zwei Ebenen, wo mir Dinge am Arsch vorbeigehen. Ich habe subjektiv den Eindruck – ich kenne keine Statistiken – dass Menschen im Alltag immer weniger wahrnehmen. Sie stehen irgendwo zum Beispiel an einer Treppe und unterhalten sich. Sie stehen so im Weg, dass keiner vorbeikommt, sie machen aber auch keine Anstalten, wenn jemand kommt, aus dem Weg zu gehen. Ich habe mich jahrelang darüber aufgeregt, aber irgendwann – dass ist der Vorteil am Alter – habe ich mir gedacht, dass es doch unsinnige Energieverschwendung ist. Sobald ich merke, dass mich so etwas aufregt, versuche ich ruhig durchzuatmen und denke, es geht mir doch am Arsch vorbei. Ich lächle und bitte, dass ich vorbeigehen kann.
Nächstes Thema: E-Roller mitten auf dem Gehsteig. Ich denke nur, wie kann man da absteigen und den Roller quer auf dem Bürgersteig stehen lassen. Derjenige muss doch in einer Blase leben und nichts mehr von seiner Umgebung und von anderen Menschen mitbekommen.
Dasselbe erlebe ich oft bei Müttern mit Kinderwagen, dann noch ein Handy am Ohr oder mit einer zweiten Mutter mit Kinderwagen nebeneinander … Atmen und Energie sparen.
Was mir an der Szene am Arsch vorbei geht, liegt an meiner Tagesform und Kampfesstimmung. Der heterosexuelle Mensch denkt, dass Schwule tolerant sind, weil sie ja auch toleriert werden möchten. Was aber innerhalb der Szene an Ausgrenzungen und Intoleranz herrscht, finde ich immens, nicht unbedingt dem Einzelnen gegenüber - aber unter den Sub-Szenen - Alt und Jung, Fetisch oder kein Fetisch - das möchte ich nicht, brauche ich nicht. Ich mag die Vielfalt innerhalb der Szene und mag es, auf unterschiedliche Menschen zu treffen, so wie in Hannover.
Martin aus Hannover
Mir geht am Arsch vorbei, was andere über meine Sexualität denken - auch in meinem Beruf als Lehrer. Insbesondere möchte ich als Lehrer Vorbild sein, dass sich niemand rechtfertigen muss, wen man liebt. Deswegen mache ich mir nichts daraus, wenn jemand sagt: Das ist voll schwul.
Es gibt an der Schule einmal die Seite der Lehrerkollegen und die Seite der Schüler. Die Schüler sind mir auf jeden Fall dabei wichtiger, weil sie ja viel weniger Berührungspunkte überhaupt mit Sexualität haben, gerade an so einer dörflichen Schule, wo ich unterrichte. Ich will dabei gar nicht die Funktion haben, dass ich aufkläre, sondern ich möchte einfach vorleben, was normal ist. Ich stelle mich auch nicht hin und oute mich vor der Klasse. Ich denke, es wissen die Schüler, die schon länger bei uns sind und die anderen bekommen es mit und können auch fragen. Ich empfinde es dabei aber als negativ, wenn ein Gossip daraus gemacht wird und dann einige zu mir kommen, um sich die Bestätigung von mir zu holen. Da frage ich mich, warum ist das immer noch keine Selbstverständlichkeit?
Es gibt aber auch Schüler, die anders fragen und bei denen ich merke, dass da Interesse an meiner Person besteht oder sie selbst auf der Suche sind. Andererseits versuche ich auch das Schimpfwort „Schwul“ vor allem als Klassenlehrer zu bekämpfen.
Ich habe bisher noch keine Probleme mit meiner Homosexualität gehabt, habe mir eher zu viele Gedanken gemacht, ob in der Familie, im Freundeskreis oder auch bei der Arbeit, jemand damit Probleme haben könnte. Durch die positiven Reaktionen habe ich heute die Stärke gefunden, sagen zu können: das geht mir am Arsch vorbei, was andere darüber denken.
Matthias aus Frankfurt a. M.
Generell ist meine Philosophie, dass man vom Punkt aus, an dem man sich befindet, das verbessert, was einen stört. Das kann man meist auch nicht mit nur einem Schritt umsetzen, sondern man muss über die Zeit mit den Mitteln und der Position, die man hat in die richtige Richtung gehen, um ans Ziel zu kommen. Das, was mich stört, geht mir dann eben nicht am Arsch vorbei, aber ich habe etwas unternommen, dass es mich weniger beschäftigt und keinen so negativen Einfluss mehr auf mich hat.
Ich denke da z.B. an mein Arbeitsumfeld. Wenn man in einer großen Firma arbeitet, geschieht es oft, dass man sich ständig beschwert, was alles Scheiße ist. Es wird alles falsch gemacht und immer haben die anderen daran die Schuld. Wenn man aber immer nur meckert, wird sich nichts ändern, also muss man selbst die Sache angehen, um etwas zu ändern. Ich habe inzwischen eine Rolle, wo ich etwas mehr angehen kann, bin natürlich nicht das größte Rad im Getriebe. Auch, wenn ich nur einen kleinen Teil beitragen kann, etwas Großes zu verbessern, versuche ich nicht gleichgültig zu sein, auch nicht bei Problemen, die ich vielleicht nicht sofort und nicht allein lösen kann.
Was mich stört, aber mir inzwischen egal ist– ich bewege mich vor allem in der Bärenszene und höre immer wieder die Frage: Wann ist ein Mann ein Bär? Hat man zu wenig Haare, ist man zu dünn oder ist man zu dick, wer definiert das denn und wer legt die Schubladen fest? Seid doch alle mal lockerer und wenn jemand kein Bär ist, aber auf Bären steht, warum soll er sich denn nicht in der Bärenszene bewegen dürfen?
Matthias aus Ulm
Mir geht inzwischen die Arroganz der schwulen Männer in der Szene am Arsch vorbei. Wenn man es von außen mal objektiv betrachtet, ist es doch nur noch ein Schaulaufen. Jeder will der Schönste, der Beste, der Geilste, der Größte sein. Auf der einen Seite kann ich das verstehen, wir sind alle jung und jeder will das Beste aus seinem Leben machen. Ich gebe zu, mir gefällt es auch, wenn ich einen trainierten Body sehe, weil jemand genügend Zeit hat, um ins Fitnessstudio zu gehen.
Die Schwulen haben aber verlernt, höflich eine Ablehnung zu geben, egal ob es in der Sauna ist oder auf den diversen Dating-Portalen. Wenn es nicht passt, es ist ja mal nun nicht jeder jedermanns Typ, geht doch die Welt nicht unter, aber man kann es freundlich formulieren. Und wenn der andere es nicht verstanden hat, kann man es bestimmter aber immer noch höflich mitteilen. Aber diese Arroganz, die einem das Gefühl vermittelt: ich bin besser als du und gebe mich nur mit Gleichwertigen ab. Auch wenn man sie über ihre Reaktion anspricht, wollen sie nicht verstehen, worum es mir eigentlich geht, sie steigern sich nur noch mehr in ihre Arroganz und stolzieren davon. Und ein Gespräch suchen die wenigsten noch, nur nonverbalen Sex und Tschüss.
Lange habe ich mich daran gestört, inzwischen ist es mir egal. Ich frage mich nur, wenn wir verlernt haben, miteinander gut umzugehen, wie können wir dann von der Gesellschaft verlangen, dass sie mit uns und anderen Minderheiten umgeht? Diskriminierung und Ausgrenzung in unserer Szene untereinander ist stark verbreitet und da kann die Gesellschaft nichts dran ändern, das muss jeder einzelne selbst mit sich ausmachen.
Rene aus Kall/Eifel