Life Sommer, Sonne, Urlaubsstress?
Jetzt ist die Zeit, es krachen zu lassen – oder doch nicht? Wie wir unseren Urlaub stress- und streitfrei erleben können
Sommerzeit, Urlaubszeit – endlich wieder raus in die Natur, Sonne tanken und einfach einmal nur das Leben genießen. Am besten zusammen mit seinem Liebsten. Vielleicht noch vor einer wunderschönen Urlaubskulisse inklusive Strand, Meer und einem kühlen Drink in der Hand. Gibt es etwas Schöneres? Abends kann man es dann nach Lust und Laune bei einer Party krachen lassen, doch irgendwie neigen wir oftmals dazu, dass es bereits schon vorher kracht – und zwar in der Beziehung. Statistisch gesehen trennen sich die meisten Paare in der Urlaubszeit zwischen Mai und August. Aber warum ist das so? Und was können wir dagegen tun?
Der Kernaspekt bei dieser Frage hat schlicht mit Zeit zu tun. Wenn wir von einer Stunde auf die andere plötzlich viel mehr Zeit für uns haben, haben wir auch mit einem Schlag mehr Zeit für Streit und für all die unausgesprochenen Dinge, die vielleicht seit Wochen oder Monaten die Beziehung schrittweise vergiften, ohne jemals verbalisiert worden zu sein. Es fehlte bis dato ja schlicht die Zeit dafür und oftmals kann so aus der sprichwörtlichen Mücke dann ein Elefant werden, der zwischen euch auf dem Badetuch am Strand sitzt und im Sonnenschein einen überdimensionalen Schatten wirft. In unserem alltäglichen Leben müssen wir funktionieren und wir schlüpfen zumeist jeden Tag in verschiedene Rollen – im Job, beim Einkaufen, unterwegs, gegenüber Freunden und dem Partner, immer funktionieren wir scheinbar reibungslos. Dabei ist genau dies ein Trugschluss, denn ein wenig Reibung, ein wenig Abnutzung, ein wenig Mindfuck erleben wir immer auf die eine oder andere Art, zumeist zum Glück Banalitäten, doch wenn wir diesen trotzdem nicht den Raum und die Aufarbeitungsmöglichkeit geben, die sie einfordern, lassen wir sie wachsen und mächtiger werden, als sie es eigentlich sind. Wenn dann unsere inneren Aggregate im Urlaub plötzlich sozusagen von einhundert Prozent auf nahezu Null zurückgefahren werden, schaffen sich all die kleinen Mikroaggressionen und Mikroerregungen Raum und Luft, jetzt ist ja scheinbar genau die richtige Zeit, um darüber nachzudenken, oder? Diese Aufarbeitungsorgie in unserem eigenen Gehirn ist keine besonders schöne und oftmals gesellen sich dazu Emotionen von Wut oder auch gerne lange unterdrückte Minderwertigkeitsgefühle. Warum habe ich dem Kollegen damals vor drei Monaten nicht gleich gesagt, dass seine Aussage mich verletzt hat? Wieso reagiere ich immer so schweigsam, wenn meine Eltern besorgt anzweifeln, ob ich mich wirklich gut ernähre? Warum verteidige ich mich nicht mehr, wenn ich einmal wieder gefragt werde, ob mein Job wirklich eine vernünftige Berufsplanung ist? Ach, und warum hat mein Partner neulich so seltsam reagiert, als ich kurz nach seinem Smartphone gegriffen habe, um nach einem Foto von uns zwei zu suchen. Er wird doch nicht…?!
Willkommen in deiner persönlichen Brainfuck-Abendshow. Das Perfide an diesem stillen Sinnieren ist dabei zum einen die Tatsache, dass Probleme im Nachgang oftmals größer erscheinen als sie es in der Wirklichkeit tatsächlich waren, und zum anderen, dass zumeist die betroffene Person fehlt, um aufgestaute Dinge vielleicht tatsächlich schnell, kurz und zeitnah klären zu können. Was dann entsteht, ist Frust und Wut. Darüber, wie man selbst in einer solchen Situation gehandelt hat. Darüber, wie andere mit mir umgegangen sind. Abermals können wir unsere Wut nicht fokussieren oder klären, sie bleibt als diffuses Gefühl in uns und es reicht eine kleine, leichtfertige Nachfrage unseres Partners, und wir explodieren: “Geht es dir nicht gut?“ – “Doch, alles bestens!“ – “Aber du klingst nicht so!“… und los geht der Zoff. Hinzu kommt noch das eigene Wissen um die Lächerlichkeit unseres Gedankenkarussells, denn oftmals ist uns durchaus bewusst, wie unsinnig unsere Frustration eigentlich ist, abstellen können wir es trotzdem oft nicht. Und unser Partner reagiert verständlicherweise ebenso gereizt und aggressiv, wenn er aus seiner Sicht grundlos angegangen wird, obwohl er nur liebevoll nach dem Befinden gefragt hat.
Der Weg raus aus dieser Spirale kann und sollte bereits vor dem Urlaub angelegt werden, damit es in den “schönsten Tagen des Jahres“ gar nicht erst soweit kommt: Schaffe dir auch in deinem stressigen Alltag Zeit und Raum, um dich mit Problemen und Problemchen zeitnah zu beschäftigen. Nicht immer ist es ratsam, im ersten Überschwall von Emotionen, verletzten Gefühlen oder bei Wut und Frust sofort zu reagieren, weil wir zumeist die Vernunft, die Rationalität und vor allem auch unsere nüchterne sachliche Bewertung einer Situation schnell über Bord werfen. Trotzdem ist es sinnvoll, nach einer Bedenkzeit von ein paar Stunden oder Tagen die Sache zeitnah auf den Tisch zu bringen. Zum einen gibt dir das die Möglichkeit, deine Worte bewusst zu wählen, ohne dein Gegenüber leichtfertig und vielleicht auch versehentlich zu verletzen, egal ob es sich dabei um deinen Partner oder beispielsweise um den Kollegen handelt, der einen dummen Schwulenwitz gerissen hat. Zum anderen stellst du so aber auch rechtzeitig deine Sicht der Dinge dar, ohne dass die Situation bei deinem Gegenüber bereits komplett in Vergessenheit geraten ist und somit gar nicht mehr realistisch sinnvoll überdacht werden kann. Diese Zeit solltest du dir immer nehmen, auch im stressigen Alltag.
Doch es gibt noch weitere Gründe, warum wir im Urlaub gerne aneinander geraten – einer davon ist unsere eigene Erwartungshaltung. Monatelang haben wir viel gearbeitet, waren vielleicht viel unterwegs, haben Freunde getroffen oder steckten anderweitig gefühlt über sehr lange Zeit dank Covid im Home Office und zu Hause fest. Nun soll alles aber großartig werden! Besser als großartig. Einzigartig. Immerhin erwarten wir von ein paar Urlaubstagen, dass sie uns für all den Stress der vergangenen Monate belohnen. Unsere Erwartungshaltung ist schlicht zu hoch, wie soll ein Urlaub auch alles toppen: das Essen, den Sex, die Abenteuer, die Liebe zwischen euch? Das kann am Ende nur scheitern. Das Mittel dagegen ist einfach: Akzeptiere, dass dein Urlaub nicht perfekt werden mu ss. Lasse dich auf Erfahrungen ein, ohne mit zu hohen Erwartungen ranzugehen und erfreue dich an Kleinigkeiten. In puncto Erwartungen solltet ihr vor eurer Urlaubsbuchung auch direkt miteinander sprechen: Will der eine von euch einfach nur Ruhe, Chillen und die Batterien auftanken, während der andere Party, Kultur oder Abenteuer sucht, werdet ihr zwangsweise in Streit geraten. Dann solltet ihr euren Urlaub so planen, dass jeder von euch stundenweise auf seine Kosten kommt.
Der Urlaub kann auch deswegen zum ultimativen Beziehungs-Survival-Abenteuer werden, weil plötzlich viel Zeit für die ganz großen Fragen da ist: Wie wollen wir künftig zusammenleben? Wo wollen wir hinziehen? Stadt oder Land? Monogamie oder offene Beziehung? Sind wir wirklich zufrieden mit unserem Leben, unserem Job? Welche Wünsche und Ziele haben wir noch im Leben? Auch hier gibt es eine ganz einfache Faustregel: Klärt solche Fragen vorab! Nehmt euch die Zeit, beispielsweise einmal im Halbjahr und besprecht dort, ob eure Lebenseinstellungen noch kompatibel sind oder wie sie das wieder werden können. Es gibt abschließend noch einen weiteren Urlaubsmiesmacher: Die gemeinsame Zeit zu zweit. Das klingt erst einmal paradox, doch plötzlich seid ihr im Urlaub 24/7 zusammen, vom Aufwachen am Morgen bis zum Bettgehen abends. Meistens verbringen wir in unseren Beziehungen allein schon aus beruflichen Gründen nicht durchgehend so viel Zeit miteinander. Eine so schlagartige Ausweitung eurer gemeinsamen Zeit kann zwangsläufig dazu führen, dass man plötzlich “nervige“ Eigenheiten seines Partners bemerkt (“Er kaut so komisch und laut!“) oder man von der hundertprozentigen Verfügbarkeit seines Mannes einfach mental überrannt und überfordert ist, denn auch gegenüber unseres Partners schlüpfen wir gerne einmal in eine Rolle, vielleicht eine etwas bessere Version von uns selbst – so findest du dich im Urlaub wieder, willst entspannen und kannst dabei gefühlt ganztags nicht einmal du selbst sein. Auch hier lässt sich relativ einfach gegenregulieren, sobald du dir die Situation bewusst gemacht hast: Gönne dir Zeit für dich allein genauso wie für deinen Partner. Ihr müsst auch im Urlaub nicht immer aufeinandersitzen, sondern könnt auch einmal allein unterwegs sein, ein Buch lesen, spazieren gehen oder einfach unbeobachtet den eigenen Gedanken nachhängen. Abschließend übrigens sei gesagt, zwei Drittel aller Paare streiten sich mindestens einmal im Urlaub, also selbst wenn es passiert, nicht gleich die ganz große Frage nach dem Sinn eurer Beziehung stellen. Durchatmen, zur Ruhe kommen, und wieder aufeinander zugehen. Sex soll auch helfen, habe ich gehört. Mit etwas mehr Ruhe, Vorbereitung und Entspannung steht so eurem gemeinsamen und wunderschönen Urlaub nichts mehr im Weg.