Homosexualität und die Bibel Gott liebt Schwule und Lesben
Es bleibt immer ein Zwiespalt für denjenigen, der Mitglied in der christlichen Kirche ist, seinen Glauben auf die Lehren in der Bibel stützt und gleichzeitig einen gleichgeschlechtlichen Menschen liebt. Das unbehagliche Gefühl des „Nicht dazu gehören“ oder ein sündiges Verhalten an den Tag zu legen sind stets Probleme, dem gläubige Homosexuelle gegenüberstehen. Wie kann ich an eine Religion oder ein Buch glauben, das mich selbst als Person jedoch nicht akzeptiert. Die schlimmste Konsequenz dieser Diskrepanz wäre, dass man sich selbst und seine Sexualität verleugnet. Und auch für alle anderen Schwulen, Lesben, Bisexuelle und Transgender kommt im Leben einmal die Frage, wo man sich selbst positionieren möchte. Sieht man sich selbst als einen Menschen, der an Gott, an Jesus Christus und die daraus resultierenden Schriften des Alten und Neuen Testaments der Bibel glaubt und sie befolgen möchte oder wendet man sich von dieser Religion und ihren Glaubensfragen ab. Viele entscheiden sich für einen Mittelweg, aber es bleibt immer ein Unbehagen, das durch diesen Zwiespalt zwischen Homosexualität und Kirche hervorgerufen wird. In einer Gesellschaft, die kirchlich geprägt ist, ist es kaum möglich, ein Leben zu führen, das frei von religiösen Mustern und Traditionen ist – überall tauchen Feiertage, biblische Vergleiche und Glaubensbilder im Alltag auf. Sei es der Nachbar, der Metzger oder die eigene Großmutter, ein jeder hat in seinem Bekanntenkreis und unter den engsten Mitmenschen jemanden, der konform ist mit den Aussagen der Bibel. Ein ständiges und Jahrtausende altes Thema ist die Vereinbarkeit von Homosexualität und dem christlichen Glauben. Doch was ist eigentlich dran an der ewigen Diskussion um Textstellen aus der Bibel, die besagen, dass die gleichgeschlechtliche Liebe verboten sei?
In der tatsächlichen Auseinandersetzung mit der Bibel und den Aussagen, die über Homosexualität getroffen werden, wird schnell klar, dass es sich lediglich um eine Handvoll Textstellen handelt, die direkt dieses Thema behandeln. Die reine homophobe Ablehnung der Liebe zwischen gleichen Geschlechtern basiert auf sieben kleinen Textpassagen.
Ein fundamentalistischer Blickwinkel, der eben solche Stellen der Bibel als wörtlich verbindlich ansieht, aber wiederum andere Stellen nicht als ebenso wörtlich verbindlich und genauso wichtig akzeptiert. Doch die Auswahl, welche Passagen für einen selbst wichtig sind, wird aus den eigenen Vorurteilen getrieben und hat wenig mit einer objektiven Auseinandersetzung mit den Inhalten der Bibel zutun. Denn viele Weltreligionen verurteilen Homosexualität nicht. Oft sind es deren Interpretationen und ihre moderne Umsetzung in der Gesellschaft, die ein homophobes Verhalten hervorrufen. Es ist ein typisches Problem der jüdisch-christlichen Tradition, in der sich viele Theologen und Bibelforscher über die sieben Passagen der Bibel streiten, die dazu herangezogen werden, Homosexualität zu verurteilen. Dabei ist es eindeutig, dass Jesus nie etwas über Homosexualität gesagt hat und Gott alle Menschen, sowohl Sünder als auch Feinde, liebt. Und er ruft uns ebenso zur Nächstenliebe auf. Dies schließt Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender genauso mit ein. Allerdings verurteilen einige Bibel-Passagen bestimmte Arten sexuellen Verhaltens, wie Scheidung, vorehelichen Sex, Masturbation und Geburtenkontrolle. Aber wir können nicht blind einem Buch folgen, das Jahrtausende alt ist. Mit Reflexion und Verstand haben Religionen oft ihren Horizont mit den veränderlichen gesellschaftlichen Begebenheiten erweitert.
Im 17. Jahrhundert beispielsweise wurde der italienische Physiker Galileo für seine Thesen, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Universums, von der katholischen Kirche verurteilt und eingesperrt. Im 19. Jahrhundert wurde ein weiterer berühmter Wissenschaftler, Charles Darwin, verurteilt, weil er die „blasphemische“ Theorie lehrte, dass der Mensch vom Tier abstamme. Und es gibt viele weitere Beispiele, die zeigen, dass die Kirche sich häufig dreht und wendet, je nachdem, wie der Wind gerade weht. Vor dem Bürgerkrieg verteidigten viele Kirchen die Sklaverei auf der Basis, sie sei von der Bibel befürwortet. Heute gibt es schon viele Religionen, die die vollen bürgerlichen Rechte für Lesben und Schwule fordern und fördern. Religion wird immer dann zu einem fundamentalistischen Standpunkt, wenn man sich einzelne Passagen rauspickt und sie für alleingültig ansieht, sie aus dem Kontext herausgelöst betrachtet oder sie gänzlich missinterpretiert.
Bei der Thematisierung von Homosexualität im Kontext der Kirche ist es immer erforderlich, einen offenen Geist und Horizont zu haben, denn es bleibt immer die Frage, ist jedes Wort der Bibel normierendes Gotteswort oder sind auch Aussagen der Bibel zeitgebunden? Es ist ja schließlich eindeutig, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe, die auf Säulen ruht. Strikte Gegner der Homosexualität berufen sich häufig auf Gottes Worte, wobei diese für ihre Vorurteile entfremdet und missbraucht werden. Die Texte des Alten und Neuen Testaments sind als Worte Gottes zu verstehen, die an ganz bestimmte Menschen zu ganz bestimmten Zeiten gerichtet waren. Diese Menschen machten Gotteserfahrungen und schrieben diese auf. Die Bibel ist eine Sammlung dieser Niederschriften. Es müssen immer die Genese dieser Geschichten und die Funktion der jeweiligen Aussage mitbedacht werden. Auffällig ist, dass das Thema Homosexualität in der Bibel nur eine beiläufige Erwähnung findet und weder bei den Propheten des Alten Testaments noch bei Jesus erwähnt wird.
Im Alten Testament findet man vier Textpassagen: In Genesis 19,4–13 bekommt Lot, der in Sodom wohnt, Besuch von zwei Boten Gottes (Engeln), die er in seinem Hause aufnimmt. Die Sodomiter stehen jedoch bald schon vor den Türen des Hauses und fordern Lot auf, die beiden Männer zum sexuellen Verkehr mit ihnen herauszuschicken. Doch Lot rät von diesem Frevel ab und bietet seine „zwei Töchter, die noch keinen Mann erkannt haben“, an. Ebenfalls Richter 19,24 erzählt von einer ähnlichen Geschichte. In beiden Erzählungen geht es jedoch um die Übertretung von Recht und Sitte. An erster Stelle steht die Verletzung des Gastrechts, dann folgen Gewalt, Notzucht und Mutwillen mit Menschen, die Gott bestrafen wird. Eine Fehlinterpretation dieser Textpassagen kann neben einer homophoben Aussage ebenso den Aufruf verstehen, dass ein Vater seine Töchter zur freien Verfügung für die Unzucht der männlichen Dorfbevölkerung hergeben kann. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Aussagen stets objektiv gelesen werden müssen und nicht mit dem gezielten Auge einen Beweis für das Verbot von Homosexualität darstellen.
In Leviticus 18,22 und 20,13 lassen sich deutliche Worte gegen die gleichgeschlechtliche Liebe finden. Die theologische Grundlage für diese hebräischen Gesetzgebung – das Heiligkeitsgesetz – ist die Ermahnung an Israel, dass es ein heiliges Volk und ebenso wie sein Gott Jahwe heilig ist (Lev. 20,26). Unter den vielen Gesetzen, die Israels kultische und moralische Reinheit regeln, gibt es zwei, die die Praxis männlicher Homosexualität zum Inhalt haben. Das Gesetz lehnt die homosexuelle Praxis ab, es belegt sie mit der Todesstrafe (Lev. 18,22 „Du darfst mit einem Manne keinen geschlechtlichen Umgang haben wie mit einer Frau; es wäre ein Gräuel.“). In der Vorstellung der Israeliten war Homosexualität zwingend mit der anrüchigen Praxis der Tempelprostitution verbunden. Diese war eine ständige Bedrohung des israelitischen Kults. Heutzutage bedroht Homosexualität kein Volk mehr. Das Verbot homosexueller Praxis in Lev. 18 ist ein Gebot in einer langen Ausführung von Regeln, die den richtigen Umgang mit der Sexualität zum Thema machen. Hier werden Ehebruch, Inzucht, Unzucht mit Tieren und männliche Homosexualität verurteilt. Der gleiche Text erlaubt aber Polygamie, verbietet den Verkehr mit einer Frau während der Menstruation und sagt nichts über weibliche Homosexualität. Geneigte Interpretationen könnten ebenfalls sein, dass hier die Unzucht an sich verurteilt wird und nicht die Liebe zwischen zwei Männern, da Homosexualität mit der Prostitution verknüpft ist. Und von der gesellschaftlichen Aussagekraft dieser Textzeilen ganz abgesehen; die Ansicht, dass ein Mann sich einen Harem an Frauen halten darf, ist sicherlich schon einige Jahre überholt.
Im Neuen Testament befinden sich drei Textstellen, die sich mit der Homosexualität befassen: Römer 1,18–27 (im Zusammenhang mit Römer 1,18–3,20) handelt von der generellen Bestandsaufnahme des Zustands der Menschlichkeit. Alle Menschen stehen schuldig da vor Gottes Gerechtigkeit. Der Mensch, der nicht glaubt, unterliegt dem Zorn Gottes. Die Verfehlung der Gotteserkenntnis wird hier im Zusammenhang mit sexueller Lasterhaftigkeit und Götzendienst gebracht. Von diesem Kontext her gilt also Homosexualität als ein Handeln, das der Gotteserkenntnis widerspricht. Doch wie kommt Paulus dazu, den Götzendienst sofort mit sexueller Lasterhaftigkeit – und da insbesondere mit der Homosexualität – in einen Zusammenhang zu bringen? Das Verfehlen der Erkenntnis Gottes wird im Götzendienst, also im Verfehlen des ersten Gebotes, manifest. Aber wie kommt es, dass der Götzendienst sofort mit dem sexuellen Bereich verknüpft wird? Paulus partizipiert hier in aller Selbstverständlichkeit an seiner jüdischen Tradition, dass Götzendienst und Unzucht ein radikal abzulehnendes Gesamtes bilden. In diesem Zusammenhang wird die Homosexualität als solche mit der Unzucht gleichgesetzt. Paulus bezeichnet weiter Homosexualität als widernatürlich und Heterosexualität als natürlich. Der Begriff „Natur“ wird aber nicht eindeutig bei Paulus verwendet, denn auch hier gilt etwas als natürlich, was sich lediglich als eine bestimmte Konvention entpuppt (vgl. 1. Kor. 11,14f.). Wer ist also Paulus, dass er über die Natürlichkeit von Homosexualität urteilen kann? Im griechischen Kulturbereich wurde von manchen Schriftstellern Homosexualität genauso als natürliche Veranlagung erklärt wie Heterosexualität. Und Paulus sagt ebenso in Römer 1,26 f., dass als natürlich zu betrachten ist, was als das Schöpfungsmäßige erkannt werden kann. In anderen Worten: Das von Gott, dem Schöpfer, Geschaffene ist das Gewollte und Natürliche. Und wir wissen ja alle, dass wir im Sinne des Glaubens alle von Gott geschaffen wurden.
Paulus begründet den frevelhaften Charakter der Homosexualität mit der falschen Annahme, dass sich Homosexuelle entscheiden, von dem „natürlichen Weg“ abzukommen. Homosexualität sei die Entscheidung, nicht heterosexuell veranlagt zu sein und somit der Fortpflanzung und Liebe zwischen Mann und Frau abzusagen. Aber auch dieser Teil der Bibel wurde wie die Theorie der Erdscheibe von der modernen Wissenschaft widerlegt. Homosexualität ist keine Entscheidung, sondern ist genetisch festgelegt. Mit diesem Wissen ist die Entscheidung von Homosexuellen, einen anderen Menschen gleichen Geschlechts zu lieben, nicht widernatürlich, sondern genau seiner Natur entsprechend, die eben homosexuell und nicht heterosexuell ist. Die anderen beiden Textpassagen im neuen Testament (1. Kor. 6,9–10 und 1. Timotheus 1,9–10) sind eine Art Lasterkatalog, in dem „Lustknaben“ und „Knabenschänder“ verurteilt werden. Die Homosexualität wird damit auf eine Ebene mit Habsucht, Trunksucht oder Lästerei gestellt. Dass Homosexualität – genauso wie Heterosexualität – ein wesentlicher und genuiner Teil einer Person ist, wird hier nicht zur Kenntnis genommen.
Eine einseitige Handhabung der biblischen Stellen führt dazu, dass mögliche Texte in der Bibel wie unumstößliche Aussagen zur Homosexualität behandelt werden. Das Gesetz im Alten Testament zielte darauf ab, die Gemeinschaft des Volkes in seiner Ganzheit und seiner Heiligkeit zu erhalten. Wir haben heute eine andere Vorstellung von „Heiligkeit” als im alten Israel. Eine zeitgenössische Relativierung und moderne Ausrichtung der Interpretationsweise der Bibel machen deutlich, dass Gott Homosexuelle nicht verurteilt und es genauso viele Textstellen gibt, die den fundamentalistischen Homo-Gegnern die Glaubwürdigkeit und Beweiskraft nehmen. Wir können als Homosexuelle ohne Zweifel sagen, dass Gott uns liebt und wir lediglich von Menschen, die die Heilige Schrift missinterpretieren, diskriminiert werden.