Halloween und LGBTIQ+ Warum war das Geisterfest früher so wichtig für die Community?
Die Geschichte von Halloween reicht bis zu den alten keltischen Bräuchen zurück, bei denen der Übergang zum Winter und die Rückkehr der Toten gefeiert wurden. Um böse Geister abzuwehren, entzündeten die Kelten Feuer und trugen Kostüme. Irische Einwanderer brachten den Brauch im 19. Jahrhundert in die USA, wo er zur alljährlichen Megaparty wurde und seit einigen Jahren auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet – eine Nacht vor dem christlichen Feiertag Allerheiligen. Was jedoch die wenigsten wissen: Halloween und die LGBTIQ+-Community haben eine besondere Verbindung.
Die einzigartige Freiheit von Halloween
In den Vereinigten Staaten von Amerika war jene besondere Nacht am letzten Oktobertag früher die einzige Chance für sehr viele Homosexuelle und queere Menschen, sich frei und offen ausdrücken zu dürfen – Kostüme, Makeup, extraordinäres Flair, alles war erlaubt, ohne kritisch beäugt zu werden oder die Polizei auf den Plan zu rufen zu einer Zeit, als Homosexualität noch eine Straftat war. In der Nacht der Kostüme konnten sich Schwule, Lesben und trans* Menschen verkleiden und unter die Menge mischen, um so vorübergehend den Gesetzen und Diskriminierungen zu entkommen.
Aus diesem Gedanken heraus entstand vor 55 Jahren im Jahr 1970 in der Halloween-Nacht die UpStairs Lounge in New Orleans, die binnen kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Orte der amerikanischen Schwulenkultur wurde und doch nur drei Jahre überlebte, bevor sie aufgrund eines homophoben Brandanschlags abbrannte und 32 schwule Männer dabei umkamen. „Es war die einzige Zeit im Jahr, in der sich jeder ohne Konsequenzen als jemand anderes verkleiden konnte“, so Joey Hardy Gray und Ryan Killian Krause, die mit ihrem Podcast „The Fire UpStairs“ diesen besonderen Aspekt der Community-Geschichte ehren wollen.
Im Laufe der Jahre wurde Halloween für die Community dann zu einem regelrechten „Initiationsritus“, wie die beiden Historiker weiter berichten: „Generationen von jungen LGBTIQ+-Menschen haben gerade an Halloween ihre ersten Schritte in Richtung ihrer Identität gemacht.“ Ganz gleich, ob junge Schwule das erste Mal eine Gay-Bar besuchten oder Männer das erste Mal als Drag-Queen in die Öffentlichkeit gingen.
Grausames Massaker
Warum die Bedeutung von Halloween selbst in der queeren Community der USA heute vielerorts vergessen ist, liegt an dem Umgang mit dem Attentat. Nachdem die Stadtväter mitbekommen hatten, dass „nur“ schwule Männer dabei ums Leben gekommen waren, unterbanden sie jede öffentliche Beerdigung oder Trauer. Die Familien der Opfer weigerten sich überdies aus Scham, ihren schwulen Söhnen die letzte Ehre zu erweisen. „Es ist eines der schmerzhaftesten und am meisten vergessenen Kapitel unserer Geschichte. Jahrzehntelang hat niemand darüber gesprochen“, so die beiden Podcast-Autoren.
Diese besondere Verbundenheit zwischen der frühen Gay Community und Halloween schien alsbald ganz in Vergessenheit zu geraten, bis die beiden schwulen Historiker darauf aufmerksam wurden: „Ich fragte mich, wie es möglich war, dass mir niemand davon erzählt hatte. Niemand in meiner Community wusste etwas von dem, was passiert war. Wir haben erkannt, wie wenig wir über unsere eigene Geschichte wissen. Diese Geschichten zu erzählen bedeutet auch, unser kollektives Gedächtnis zurückzugewinnen“, so Krause. So ist der Podcast nicht nur eine historische Erzählung, sondern auch eine Aufforderung, das Gedächtnis früherer LGBTIQ+-Generationen zu bewahren. „Unsere Geschichten gehen mit der Zeit leicht verloren, wenn sie nicht weitergegeben werden“, so Gray, der aktuell zusammen mit seinem Partner plant, einen Kinofilm über die UpStairs Lounge zu drehen.
Appell an die junge Generation
Als Appell an alle Halloween-Begeisterten in der Community ruft Krause daher allen homosexuellen und queeren Menschen zu: „Niemand wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht tun. Wir müssen damit weitermachen, besonders jetzt, wo historische Wahrheiten umgeschrieben oder ausgelöscht werden. Wir alle haben die Verantwortung, unsere Geschichte am Leben zu erhalten und sie mit den neuen Generationen zu teilen.“ Wenn wir uns heute also als Vampire, Mumien und sexy Teufelchen verkleiden, dürfen wir dabei einen Moment lang durchaus jener jungen Menschen vor über fünfzig Jahren gedenken, für die die Nacht der Geister die einzige im Jahr war, in der sie sich zeigen durften, wie sie wirklich waren – in der sie so sein durften, wie sie sind.