Intersex Awareness Day Zu wenig Sichtbarkeit für intergeschlechtliche Menschen
Am kommenden Sonntag (26. Oktober) feiern wir den Intersex Awareness Day – bis heute werden intergeschlechtliche Menschen viel zu wenig beachtet, auch innerhalb der queeren Community. SCHWULISSIMO fragte nach bei Billy Eichler vom Trans Healthkit Projekt.
Billy, magst Du uns über deinen Lebensweg erzählen?
Sehr gerne. Ich habe mit etwa 13 Jahren die Verdachtsdiagnose bekommen, meiner Mutter wurde damals aber erzählt, dass ihr Kind das nicht haben wird. Deshalb hat sie sich nicht weiter darum gekümmert. Bis heute wird von meinen Eltern das Thema leider ignoriert. Hätte ich früher gewusst, dass ich intergeschlechtlich bin, hätte es mir eindeutig die Jugend erleichtert. So musste ich mich mit 18 Jahren selbst darum kümmern, alle medizinischen Berichte zu kriegen und weitere Untersuchungen über mich ergehen lassen. Für mich hat die Gewissheit mein Wohlbefinden verbessert, weil ich die ganzen Jahre vorher immer dachte, dass etwas mit mir falsch ist, was zu starken Depressionen geführt hat. Für mich bedeutet Intergeschlechtlichkeit, endlich ein Wort dafür zu haben, wie mein Körper ist und wie ich bin. Dass daran nichts falsch ist, nur weil es von der Norm abweicht. Mein Körper ist richtig, so wie er ist.
Im Akronym unserer Community steckt das „I“ für intergeschlechtliche Menschen drinnen. Trotzdem wird das Thema bis heute stiefmütterlich behandelt. Warum?
Ich denke, das liegt zum einen daran, dass das Thema auch innerhalb der Community eher unbekannt ist, viele wissen nicht, was es bedeutet, oder haben falsche Infos. Leider habe ich auch selbst erlebt, dass man aus Unwissenheit öfter Sprüche hört, die einem weh tun, zum Beispiel von jungen trans* Personen, die sagen, dass sie sich wünschen, inter* zu sein, weil das ja so viel einfacher wäre. Es redet aber kaum jemand davon, dass an Babys und Kindern weiterhin Operationen durchgeführt werden, die medizinisch nicht notwendig sind und später zu psychischen Problemen führen. Dass man gesundheitliche Probleme bekommen kann, wenn das Thema totgeschwiegen wird, habe ich am eigenen Körper erlebt – ich bin dauerhaft auf Medikamente angewiesen. Der Austausch ist einfach kaum vorhanden, jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen, da geht viel unter, wenn man nicht den gleichen Weg geht. Es braucht mehr Wissen, Austausch und Solidarität, damit Inter* Personen wirklich gesehen werden.
Mit welchen Vorurteilen werden intergeschlechtliche Menschen konfrontiert?
Was ich persönlich ganz schlimm finde, dass es heißt, man hätte beide Genitalien. Das ist biologisch nicht möglich. Aber dass es verschiedene Entwicklungsstadien gibt, will niemand hören. Auch das Vorurteil, dass man, wenn man intergeschlechtlich ist, automatisch trans* sei – Quatsch. Es muss verstanden werden, dass Intergeschlechtlichkeit existiert und wir keine Körper haben, die „zufällig zusammengebaut“ wurden. Alle intergeschlechtlichen Körper sind so verschieden wie bei cis Menschen auch. Außerdem ist es immer abhängig vom Gendefekt oder Syndrom, wie der Körper sich entwickelt hat. Mein Körper ist anders, ja, aber das macht ihn weder falsch noch „besonders“.
Wie ist die Lage für intergeschlechtliche Menschen im Gesundheitsbereich?
Ich durfte mich bisher bei Ärzt*innen immer rechtfertigen, dass ich intergeschlechtlich bin. Meistens darf ich mir anhören, dass es sowas gar nicht gibt oder mein Körper dafür ganz anders sein müsste. Dass ich Hormone nehmen müsste, oder wann ich eine OP machen lasse. Ich habe jedes Mal Angst vor einem ersten Termin, wie darauf reagiert wird, ob man mir zuhört oder nicht. Mittlerweile lasse ich das Thema weg, auch wenn es gesundheitlich relevant ist, damit ich in solche Situationen gar nicht mehr komme. Es braucht dringend mehr Wissen und Sensibilität im Gesundheitsbereich. Das Thema muss in der ärztlichen Ausbildung vorhanden sein, aber auch Eltern, die damit konfrontiert werden, brauchen Hilfe, es soll nicht mehr zu OPs und/oder Hormonen gegriffen werden, erst recht nicht, wenn es sich um eine Person unter 16 Jahren handelt, die selbst noch gar nicht mitreden kann. Es muss verstanden werden, dass Intergeschlechtlichkeit körperlich-biologisch ist, dass es nichts Ausgedachtes ist und nichts, was man irgendwie ändern könnte. Auch in der Politik: Redet mit Inter* Menschen! Es wird angeblich für unsere Rechte gekämpft, aber niemand hört zu, was wir eigentlich wollen.
Seit 2019 haben intergeschlechtliche Menschen die Möglichkeit, die dritte Option „divers“ im Personalausweis eintragen zu lassen. Deine Einschätzung?
Meine ganz persönliche Meinung: unnötig. Die wenigsten intergeschlechtlichen Menschen wollten den Eintrag – viel mehr nicht-binäre, trans* und zum Beispiel genderqueere Menschen haben sich diesen gewünscht, und ich bin froh, dass sie diese Option bekommen haben. Aber für mich hat es nur negativ dazu beigetragen, dass ich mich immer öfter erklären muss. Ich wünsche mir einen Geschlechtseintrag, der „X“ oder „Inter“ lautet, und nur intergeschlechtlichen Menschen zusteht.
Ein paar letzte Worte zum Schluss?
Ich wünsche mir mehr Aufmerksamkeit zu dem Thema und dass man mit uns redet und nicht nur über uns. Dass verstanden wird, dass Inter* Menschen einfach unglaublich viele Lebensrealitäten haben.
Billy, vielen Dank für das Gespräch.
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