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Queer Augsburg

Queer Augsburg Queeres Empowerment seit sechs Jahren

ms - 12.12.2025 - 15:00 Uhr
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In Zeiten vermehrter Angriffe auf die Community und CSDs lobte die Amadeu Antonio Stiftung zuletzt den besonderen Mut von queeren Verbänden jenseits der Großstädte. Ein solches Team, das mit viel Herzblut und Engagement queeres Leben vorantreibt, ist der Verein Queer Augsburg. Das erste Treffen gab es 2019, seit 2023 steht der Verein. SCHWULISSIMO wollte mehr wissen und fragte nach beim Vorstandteam Paul Kunstmann, Aiden Lane Ziegler und Helena Kosch. 

Wo setzt ihr eure Schwerpunkte?

Lane: Seit Beginn an war es für uns wichtig, „zweigleisig“ zu fahren, einerseits einen Safe-Space-Begegnungsraum für Queers aus Augsburg und der Region zu schaffen. Andererseits mit Workshops, Vorträgen und Themenabenden über die Vielfalt der queeren Identitäten und Orientierungen aufzuklären, wobei das Angebot sich schon immer nicht nur an Mitglieder der Community richtete, sondern, getreu unserem Motto „Offen für alle“, auch die Aufklärung von Allies und Interessierten im Fokus hatte. „Leben und Lernen“ ist kurz gesagt dabei unsere Divise.

Ihr bietet ein vielfältiges Angebot vom Queer-Clubbing über ein bisexuelles Get-Together bis hin zu eurem Sommerfest. Was sind eure persönlichen Highlights?

Paul: Ich freue mich immer auf die Treffen für Studierende zum Semesterstart. Die Stimmung des Neuanfangs und der hoffnungsvolle Blick in das neue Semester steckt auch als Alumni noch an. Mein persönliches Highlight ist hingegen die Queermas-Feier jetzt im Dezember. Wir bringen das Jahr in einer gemütlichen Atmosphäre als Gemeinschaft zu Ende. Für viele ist das auch ein Abend, um Kraft zu tanken für die anstehenden Festlichkeiten in der doch oft queerfeindlichen Familie.

Lane: Mein persönliches Highlight sind die Theateraufführungen zum Pride Month unter meiner Regie. Für mich als Dramenautor ist es natürlich praktisch, entsprechend queere Themen und queerpolitische Inhalte für ein Publikum aufzubereiten und einer Gruppe von engagierten und theaterbegeisterten Schauspielenden eine Bühne zu bieten, um sich selbst auszuprobieren und auszudrücken. Die Auseinandersetzung mit einer Rolle stärkt das Selbstbewusstsein und die eigene Identität und bereitet durch spielerisches Probehandeln auf die „Welt da draußen“ vor.

Wie sieht es in Augsburg mit queerer Sichtbarkeit aus?

Paul: Die queere Sichtbarkeit ist nicht so stark wie in anderen Städten Deutschlands. In der Innenstadt sieht man vereinzelt Regenbogenflaggen. Dezidierte queere Cafés, Bars, Clubs oder sonstige Einrichtungen gibt es aber in Augsburg leider nicht. Daher ist der persönliche Kontakt bei vielen in der Stadt nicht vorhanden. Gerade dieser baut aber Vorurteile ab. Bei unseren Angeboten und insbesondere mit „Ask a Queer“ versuchen wir, mit der Stadtgesellschaft ins Gespräch zu kommen. 

Die Hasskriminalität ist in Bayern zuletzt stark angestiegen. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Paul: Es gab dieses Jahr einen schwulenfeindlichen Angriff in der Maxstraße. Das ist eine zentrale Straße der Altstadt und Herz des Nachtlebens. Auch auf den CSDs kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen. Im Verein habe ich immer wieder den Eindruck, dass trans Personen von der Polizei nicht ernst genommen werden. Queerfeindliche Gewalt wird daher oft nicht strafrechtlich verfolgt. Einige unserer Besucher*innen erzählen mir fast schon beiläufig, wie sie letztens Opfer von Hass oder Gewalt geworden sind. Insgesamt ist Augsburg eine sichere Stadt. Queere Personen sind hier aber nicht genauso sicher.

Lane: Zudem mehren sich Berichte und Hilfegesuche von Mitgliedern, die nun immer häufiger Diskriminierungserfahrungen machen. Das reicht von der Tatsache, dass sie an Schule oder Arbeitsplatz die Regenbogenflagge abhängen sollen, zu Angst vor Übergriffen in Unterkünften bei queeren Geflüchteten bis hin zu Beleidigungen, Drohungen, Belästigungen und Angriffen auf der Straße beziehungsweise in Bus und Bahn. Letztere sind Erfahrungen, die ich tatsächlich so auch selbst persönlich gemacht habe.

Wie ist euer Umgang mit queeren Jugendlichen?

Helena: Da wir innerhalb unseres Vereins keine dezidierte Jugendgruppe haben, mischen sich Queers aller Altersstufen bei unseren Angeboten bunt durcheinander. Das lässt eine tolle Vielfalt innerhalb der Community entstehen und schafft Raum für generationales Lernen und das Finden von Vorbildern und Weggefährten. Gerade junge queere Menschen brauchen diese Vorbilder um Orientierung und Sicherheit für sich selbst zu erlangen. 

Was würdet Ihr euch von Stadt und Land wünschen? 

Paul: Vom Freistaat wünschen wir uns eine eindeutige Positionierung für queere Menschen in Bayern. Das sollte untermauert werden mit finanzieller Förderung. Die Polizei, die Verwaltung und Lehrkräfte müssen sensibilisiert werden. Nur so schaffen wir strukturellen Wandel. Zudem braucht es Geld für queere Projekte. Unbürokratisch Kleinstprojekte zu unterstützen würde wenig kosten und viel bringen.

Helena: Von der Stadt Augsburg wünschen wir uns verlässliche Zusammenarbeit und Unterstützung, auch finanziell, für ein queeres Zentrum. Eine mündliche Zusage haben wir schon bekommen, dem müssen jetzt Taten folgen. Wir sind zuversichtlich und gespannt, was sich im kommenden Kommunalwahlkampf ergeben wird. Wir werden uns einbringen und das Gespräch suchen. Für uns ist klar, dass queeres Leben nicht allein dem Ehrenamt überlassen werden darf. Eine gesunde Stadtgesellschaft fördert queere Strukturen proaktiv.

Was macht Augsburg für euch so besonders? 

Lane: Es ist diese Vielfalt inmitten einer relativ übersichtlichen Stadt einer ehemaligen Römersiedlung, die auch irgendwo den Geist der Renaissance ins heutige queere Leben trägt. Augsburg ist einerseits fast verbissen traditionell und gleichzeitig stolz auf seine Weltoffenheit als Friedensstadt. Nicht laut, nicht hektisch – sondern irgendwie gemütlich heimelig, weil man sich irgendwie doch immer kennt; auch über die unterschiedlichen anderen queeren Vereine und queerfeministischen Gruppen. Das schafft den nötigen Zusammenhalt und bietet eine ideale Grundlage für das Ziehen „an einem Strang“ und die notwendige Vernetzung, um etwas zu bewegen.

Paul: Ich mag die Gemeinschaft der Stadtfamilie. In der Nachbarschaft, beim Augsburger Hohen Friedensfest oder eben in der queeren Community kommt man zusammen, kennt und hilft sich. Augsburg hat die ideale Größe. Die Stadt ist groß genug, um alles vor Ort zu haben. Gleichzeitig ist man mit dem Rad innerhalb einer Viertelstunde überall. Das macht Treffen mit Freund*innen, Einkaufen und die Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf einfacher.

Vielen Dank euch drei und alles Gute für die Zukunft! 

Mehr unter: queer-augsburg.de

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