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Mobbing an der Schule

Mobbing an der Schule Zwei Schüler berichten über ihre Erfahrungen

ms - 06.11.2025 - 12:00 Uhr
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Heute wird der Internationale Tag gegen Gewalt und Mobbing in der Schule veranstaltet, ins Leben gerufen von den Vereinten Nation. Ein besonderer Tag, der den Fokus auf Hass und Hetze an unseren Schulen lenken soll. Doch wie sieht es dort aktuell tatsächlich aus? 

Die dritte LGBTIQ+-Studie der EU-Grundrechteagentur zeichnet da ein sehr düsteres Bild: Schulmobbing aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität ist europaweit ein sehr großes Problem quer durch alle Altersstufen, auch in Deutschland. Zwei von drei homosexuellen und queeren Schülern werden gemobbt, obwohl LGBTIQ+-Themen an Schulen heute stärker präsent sind. Rund 20 Prozent der Schulen nehmen sich allerdings überhaupt Community-Themen an, 66 Prozent in Deutschland vermeiden hingegen das Thema komplett. 

Mobbing ist in Deutschland besonders beliebt

Deutschland erreicht beim Thema Schulmobbing sogar Höchstwerte: Während in der Europäischen Union 67 Prozent der LGBTIQ+-Schüler Mobbing, Spott, Hänseleien, Beleidigungen oder Drohungen erleben, sind es in der Bundesrepublik sogar 70 Prozent. Knapp fünf Jahre zuvor lag dieser Wert noch bei 43 Prozent. Kurz gesagt: Innerhalb eines halben Jahrzehnts hat homophobes und queerfeindliches Mobbing an deutschen Schulen um 56 Prozent zugenommen. Die Lage ist sehr besorgniserregend, jeder dritte queere Schüler hat so bereits ernsthaft über Selbstmord nachgedacht, der Wert ist rund drei Mal so hoch wie in der gesamten LGBTIQ+-Community (11%) in Deutschland. 

Dazu kommt: 28 Prozent der queeren Schüler und Schülerinnen in der Bundesrepublik wurden auch bereits einer Form von Konversionstherapie unterzogen, also unseriösen, vermeintlichen „Therapien“, die Homosexualität oder die Geschlechtsidentität „heilen“ sollen. Jeder zweite deutsche LGBTIQ+-Jugendliche (52%) versteckt seine Zugehörigkeit zur Community an der Schule. Auf Hilfe von Seiten der Lehrer oder Vertrauenspersonen an Schulen können die meisten von ihnen auch nicht zählen, gerade einmal 28 Prozent der queeren Schüler erleben in Deutschland überhaupt Unterstützung an der Schule. 

Der Gang zur Toilette wird zum Horror 

SCHWULISSIMO fragte genauer nach: Den Anfang macht Kasper, ein queerer Junge im Alter von neun Jahren, der in Brandenburg nahe Berlin lebt. Er trägt gerne Kleidung, die gesellschaftlich als weiblich eingeordnet wird – das reichte aus, um ihn immer wieder verbal anzugreifen, wie Kasper gegenüber SCHWULISSIMO erzählt: „Ich konnte nicht auf die Toilette gehen. Denn die Jungs haben nämlich gesagt, dass ich ein Mädchen bin. Die Mädchen wussten, dass ich ein Junge bin und haben gesagt, dass ich auf die Jungs-Toilette gehen soll und ich bin ein bisschen sauer, denn ein halbes Jahr später wurde eine Toilette für Alle eingeführt.“ Der neunjährige Junge fand den Mut, mit den Lehrern zu sprechen, doch der Erfolg blieb dabei aus:  „Ich habe es schon erzählt, aber die Lehrer*in*es hatten fast nie Zeit. Deswegen haben sie mir auch oft nicht zugehört.“ Und das Drangsalieren ging immer weiter, Kasper wurde der Zugang zur Toilette immer wieder verwehrt. 

Kaspers Mutter Susanne erklärt dazu: „Ich als Mutter muss sagen, dass die Erfahrungen seit Beginn dessen, dass Kasper sich nicht mehr anzieht, was ihm die Gesellschaft zuschreibt, wirklich schwer ist. Es fing mit blauen Glitzerschuhen in der Kita mit drei Jahren an. „Das sind Mädchenschuhe“, posaunte da seine Erzieherin heraus. Drei Wochen trug er seine geliebten Schuhe nicht. Kinder fragten plötzlich, warum denn Kasper jetzt „Mädchenkleidung“ trägt. Die Elternmeinungen waren hier deutlich erkennbar. Er verlor Freunde.“ An der Schule gingen dann die Probleme wie von Kasper geschildert weiter. Susanne betont dabei weiter: „Wirklich schwer war die Zeit der Einschulung beziehungsweise der Schuleintritt. Schon bei der Anmeldung wurde mehrmals auf den Eintrag ´Geschlecht´ geschaut, als er sagte, er mag Einhörner, Glitzer und rosa. Bei der Einschulung trug er alles in Regenbogenkombi. Die Antwort seiner damaligen Klassenlehrerin war:´Also sowas hatten wir noch nie, einen Jungen, der so ist´. Das war wirklich verletzend. Dann kamen die Beleidigungen durch ältere Schüler und der für mich entscheidende Punkt, als er entweder nichts mehr trank den ganzen Tag, um nicht aufs WC zu müssen, oder auf der Heimfahrt im Bus einpullerte, weil er eben die Toilette nicht nutzen konnte. Kein*e Lehrer*in half ihm, er wurde entweder nicht beachtet oder es kamen laue Sprüche wie ´Na geh doch einfach auf die Toilette´. Es gab keinerlei Verständnis, keinerlei Unterstützung. Der Rat ´Gehen Sie mal zum Psychologen´ im Elterngespräch brachte bei mir dann das Fass zum Überlaufen.“ Die letzte Möglichkeit war schlussendlich ein Schulwechsel, wobei Kasper bedauert, dass die Situation „nicht mit Worten“ geklärt werden konnte. Seine Mutter erzählt weiter: „Ein Schulwechsel in eine alternative Schule war glücklicherweise möglich. Und hier geht es ihm weitestgehend gut. Aber externe Angebote wie der Schwimmunterricht sind immer noch problematisch.“ Kasper selbst sagt rückblickend über die Zeit, in der er immer wieder gemobbt und verbal attackiert wurde: „Umso mehr sie mich gemobbt haben, umso stärker habe ich mich gefühlt.“

Mutiges Outing, danach Isolation 

Auch Lukas aus Süddeutschland hat den Mut gefunden, in der Schule zu seinem „Anderssein“ zu stehen – und wurde deswegen gemobbt. Anfangs definierte er sich als schwul, heute ist der 21-Jährige mit der Bezeichnung „queer“ sehr happy: „Während der Coronazeit, als der Unterricht online stattfand, wurde mir meine Queerness bewusst. Einige Monate später habe ich mich während einer Minecraft-Runde bei meinen engsten Freunden, die zugleich meine Klassenkameraden waren, geoutet. Außerhalb der Schule hatte ich damals kaum soziale Kontakte, deshalb war dieser Schritt für mich sehr bedeutend. Die Reaktionen waren zunächst positiv, was mir Mut gab, mich kurz darauf auch bei meinen Eltern zu outen.“ 

Die positiven Erfahrungen gaben dem jungen Schüler die Kraft, sich weiter zu öffnen. „Als der Präsenzunterricht wieder begann, habe ich mich kurz vor den Osterferien im Rahmen eines Vortrags über vielfältige Beziehungsformen öffentlich als queer geoutet. Von da an veränderte sich jedoch einiges: Die Freunde, die mich zuvor noch unterstützt hatten, begannen, sich nach und nach von mir zu distanzieren. Ich wurde nicht mehr zu Treffen eingeladen, Vorschläge für gemeinsame Unternehmungen wurden kurzfristig abgesagt. Nach und nach verlor ich meinen gesamten sozialen Anschluss und fühlte mich sehr isoliert. Erst einige Zeit später fand ich außerhalb der Schule neue, offene Menschen, bei denen ich mich wohlfühlen konnte.“ Dabei betont Lukas weiter, dass der Gang zum Lehrer nicht automatisch alle Probleme lösen kann: „In einer solchen Situation ist es schwierig, etwas zu unternehmen, Lehrkräfte können schließlich niemanden zwingen, mit jemandem befreundet zu sein. Ich hatte aber immer ein gutes Verhältnis zu meinen Lehrerinnen und Lehrern und wusste, dass sie mir grundsätzlich wohlgesonnen waren.“ 

Froh über das Ende der Schulzeit 

Lukas blieb an seiner Schule und kämpfte sich weiter durch – schön war die Zeit trotzdem bis zum Schluss nicht. Glücklicherweise konnte er aber auf seine Eltern bauen: „Meine Eltern waren in dieser Zeit meine größte Stütze. Ohne ihre Unterstützung hätte ich das alles kaum geschafft. Nachdem ich mich über Monate hinweg zurückgezogen hatte, haben sie mich ermutigt, neue Kontakte zu knüpfen und mir geholfen, einen besseren sozialen Kreis zu finden. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ So richtig gut wurde es für den heute 21-Jährigen aber erst, als er die Schule verlassen konnte: „Ich war ehrlich gesagt einfach erleichtert, als meine Schulzeit vorbei war. Erst danach hatte ich das Gefühl, frei entscheiden zu können, mit wem ich meine Zeit verbringe. Das Ende der Schule bedeutete für mich auch das Ende dieses sozialen Drucks, ständig dazugehören zu müssen.“ 

Lukas startete in die Berufswelt und konnte das erste Mal in seinem Leben frei und offen leben – auch das ist aber leider keine Selbstverständlichkeit, so der junge Mann weiter. Das Mobbing hört nicht zwingend auf, wenn die Schule endet: „Während meiner späteren Berufsschulzeit, ich habe eine Ausbildung im Medienbereich gemacht, hatte ich keine Probleme mehr. Aber das hängt sicher stark von der Ausbildung, der Schule und dem sozialen Umfeld ab. Pauschal lässt sich das schwer sagen. Leider habe ich aber den Eindruck, dass queerfeindliche Einstellungen unter jungen Menschen heute wieder etwas salonfähiger werden, dass sie offener ausgesprochen werden als noch vor einigen Jahren.“ Hänseleien, Beleidigungen, Isolation oder sogar Gewalt – die Frage bleibt offen, warum das auch im Jahr 2025 für so viele queere Schüler noch immer alltägliche Realität sein muss. 

Müssten wir nicht längst gefühlt viel weiter sein? „Ich wünsche mir, dass Schulen mehr Raum für Aufklärung und Gespräche schaffen. Es reicht nicht, Toleranz zu predigen, man muss sie im Schulalltag leben. Lehrkräfte sollten stärker geschult werden, um solche Dynamiken zu erkennen und sensibel zu reagieren. Und Schüler*innen brauchen Orte, an denen sie sich sicher fühlen und ernst genommen werden“, so Lukas abschließend.

Hass in der Schule, Hass im weiteren Leben 

Wie recht der junge Mann hat, belegen ebenso die Daten der EU-Grundrechteagentur, denn Mobbing an der Schule setzt sich vielerorts als Hass und Hetze im Erwachsenenleben weiter fort. Und die Einschüchterung wirkt: Rund 40 Prozent der LGBTIQ+-Menschen in Deutschland vermeiden es, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, also beispielsweise mit dem gleichgeschlechtlichen Partner Händchen zu halten – aus Angst, angegriffen zu werden. Jeder Dritte (29%) meidet inzwischen Orte, die gefährlich werden könnten. Die Sorgen sind offenbar berechtigt, denn mehr als jede dritte queere Personen (38%) in Deutschland wird in ihrem Alltag diskriminiert. 

Am Arbeitsplatz erlebt noch jeder fünfte LGBTIQ+-Mensch (19%) Diskriminierung, im Gesundheitswesen sind es 16 Prozent. Beleidigungen und Bedrohungen sind bittere Lebensrealität für 57 Prozent der LGBTIQ+-Deutschen. Das zeigt sich auch bei der strafrechtsrelevanten Hasskriminalität – die Polizei registrierte zuletzt 2024 fast 3.000 Straftaten, ein Plus binnen eines Jahres um 24 Prozent. 90 Prozent aller Angriffe werden dabei aus Scham und Angst nie angezeigt. Realistisch hochgerechnet kommen wir also auf 30.000 Straftaten gegen LGBTIQ+-Menschen jedes Jahr in der Bundesrepublik, mehr als 82 Übergriffe täglich. Am Ende scheint es ganz klar: Wer dem Hass wirkungsvoll entgegentreten will, muss in den Schulen anfangen. Die Verweigerung von Schülern, einen Mitschüler auf die Toilette zu lassen, ist keine Bagatelle, es ist der Anfang der queerfeindlichen Gewaltspirale.

 

Hier gibt es Hilfe

Ein offenes Ohr für deine Probleme hat das Team vom Coming Out Day Verein für dich. Via Messenger, E-Mail und ganz neu mittels Videochat kannst Du dich mit dem geschulten Team austauschen. Alle Infos dazu gibt es auf www.coming-out-day.de sowie www.comingoutundso.de. Einen einzigartigen Safe Space findest Du auch bei lambda space, dem deutschlandweit ersten digitalen queeren Jugendzentrum, der Prototyp ist bereits am Start. Rund um die Uhr geöffnet und von überall aus besuchbar für junge queere Menschen zwischen 14 und 26 Jahren. Klick dich rein unter www.lambdaspace.de. Weitere Hilfe bekommst Du auch anonym, kostenlos und rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter www.telefonseelsorge.de sowie unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. 

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