„So ein bisschen Same Sex and the City“ Benjamin Gutsche über seine neue Serie „All You Need“
Benjamin Gutsche ist Drehbuchautor und Regisseur der neuen queeren Miniserie „All You Need“. In der Dramedy, die am 7. Mai in der Mediathek der ARD zu sehen sein wird, geht es um die vier queeren Hauptcharaktere Vince, Robbie, Levo und Tom. Themen wie Liebe, Beziehungen, Alltagsrassimus, Familie und Akzeptanz werden unmittelbar, direkt und authentisch aus der Lebensrealität schwuler junger Männer dargestellt.
Im Interview mit SCHWULISSIMO erzählt Benjamin wie es zu dieser Serie kam, wie Corona den Dreh erschwerte und vieles mehr.
Wie kam es zu diesem Projekt und was waren deine Inspirationen?
Ich kannte Christoph Pellander von der ARD Degeto schon etwas länger. Wir hatten 2016 bereits über ein gemeinsames Projekt nachgedacht, weil wir beide aus der Community kommen und wir Charaktere schaffen wollten, die man nicht so häufig im deutschen Fernsehen sieht. Das hat damals nicht geklappt, da ich Greenlight für ein anderes Projekt bekommen habe. Letztes Jahr hat Christoph mich dann nochmal angefunkt und meinte er sei bei der Degeto und wolle eine Miniserie machen über Urbanes in Berlin und er fragte mich ob ich Lust hätte diese zu schreiben. Ich war sofort dabei, allerdings wollte ich, dass die vier Hauptfiguren schwul sind.
Mir war es zusätzlich wichtig meine eigenen Erfahrungen mit einzubringen und damit kommen wir zur Inspiration. Ich lebe seit 13 Jahren in Berlin und habe die Clubs, die Gaysaunen, sowie Dating in der Blüte meines Lebens miterlebt. Mein Anspruch war es nie für die gesamte Community zu sprechen. Die Community ist eine heterogene Gruppe, deshalb war es mir wichtig meine Perspektive, meine Vision und meine Erfahrung mit einzubringen. Und das so authentisch und unaufgeregt wie möglich zu erzählen.
Du hattest die Geschichte noch nicht die ganze Zeit im Kopf, sondern es kam erst die Anfrage und dann hast du deine Erfahrungen genutzt und in den Schreibprozess umgesetzt?
Korrekt. Es war nur diese Anfrage zur Miniserie da und dann habe ich einen Pitch geschrieben. Ich hatte es zu Beginn direkt so gepicht, dass es um die großen universellen Dinge geht wie: Liebe, Freundschaft, Familie, Verlust, persönliche Triumphe und Niederlagen, doch diesmal sind die Charaktere eben schwul. Ich habe den Pitch immer beendet mit den Worten: „So ein bisschen Same Sex and the City“.

Wie ist es an einem kreativen Prozess zu arbeiten in der aktuellen Lage?
Ich merke, dass es deutlich anstrengender geworden ist. Normalerweise habe ich keine Probleme acht oder neun Stunden im Writers-Room zu sitzen, wenn man sich in Person gesehen hat. Aber inzwischen sitzt man fünf Stunden vor dem Computer. Man muss sich immer ausreden lassen, was mir manchmal schwerfällt (lacht) und es kommt zu keinem natürlichen Gesprächsverlauf. Diese fünf Stunden fühlen sich an wie zehn.
Wurde noch viel geschnitten oder diskutiert bei deiner Idee oder war das Endergebnis in etwa so, wie du dir es beim Schreiben vorgestellt hast?
Ich wusste genau welches Budget uns zur Verfügung steht und dachte mir dann „ja super, schauen wir mal was wir daraus zaubern können“ (lacht). Nicht das ich das jetzt klein reden will, aber es war mein Regiedebüt und ich erzähle gerne visuell. Ohne dass es jetzt anmaßend klingen soll, aber das Publikum ist an Netflix-Produktionen gewöhnt und daher war es mir wichtig mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, etwas so Cineastisches wie möglich zu gestalten. Ein Beispiel ist das Farbkonzept, das wir ausgearbeitet haben, welches man in der ARD noch nicht so häufig gesehen hat oder CinemaScope, also der schwarze Balken, um das ganze filmischer wirken zu lassen. Es soll eine moderne Serie sein.
Was hat dich am meisten an dieser Produktion gefreut, bzw. worauf bist du besonders stolz?
Stolz bin ich auf das, was wir unter Corona-Bedienungen geleistet haben. Es war eine große Herausforderung unter diesen Umständen so etwas mit so viel Spaß auf die Beine zu stellen.
Was ich ebenfalls toll fand, war dass unser Team mit Herz und Leidenschaft dabei war. Ich weiß noch als einmal der Kostümbildner zu mir kam und sagte er habe jetzt nichts mehr zum Anziehen und hat dann seinen Kleiderschrank geleert, um die Hauptfiguren zu kleiden und hat sich noch Outfits von Freunden und Bekannten geliehen – das war wirklich großartig.
Schon während des Drehs zu merken, dass wir da gerade etwas produzieren, was die Community und den Zuschauer ansprechen könnte, hat einen wahnsinnig motiviert.

Wie groß war der LGBTI* Anteil in der Produktion? Kannst du das einschätzen?
Wir haben darauf geachtet, dass alle Komparsen am Set aus der LGBTI*- Gemeinschaft kommen, weil ich eine Serie drehen wollte, die von der Community für die Community gemacht ist. Aber wir haben auch viele queere Menschen im Team (Kamera, Make-up usw.). Auch die Locations sind echte Clubs und Saunen usw. aus der Szene und damit super authentisch.
Wenn ich zwei gleich gute Personen beim Casting hatte und der eine ist hetero-, der andere homosexuell, dann habe ich mich immer dafür entschieden, die Community einzubinden.
Also war die Mehrheit LGBTI*?
Wenn man die ganzen Komparsen-Rollen mitzählt, ist die Mehrheit am Set queer.
Die Serie spart nicht am Sex – wie schwer war der Dreh dazu? (auch in Hinblick auf Corona)
Gerade bei den intimeren Szenen war es mir besonders wichtig, dass wir nicht auf die eingestaubte Zimmerpflanze schwenken, sondern das auskosten. Gerade wenn diese Szenen die Geschichte dramaturgisch vorantreiben.
Mir war wichtig das Corona in dieser Serie keine Rolle spielt und dass man keine Einschränkungen vor der Kamera dadurch hat. Ob das die Kuss- oder Sexszenen sind, es sollte auf keinen Fall distanziert wirken. Eine schwule Serie zu drehen, bei der sich in 1,5 Metern Abstand zwei Männer „ich liebe dich“ sagen, kommt ein bisschen lahm rüber. Die größte Herausforderung war deshalb die Planung. Wer muss wo, wann sein und das eben mit einem negativen Test, um die Sicherheit aller zu gewähren. Einmal gab es sogar einen Corona-Fall und es kam zur Drehpause von zwei Tagen, da die Produktion uns erstmal alle testen wollte. Durch solche Aktionen hatte ich immer das Gefühl, dass die Sicherheit vom Team und Cast, der UFA und Degeto an oberster Stelle standen. Das hat mir den Druck genommen.
Die Community ist extrem vielfältig – ist es überhaupt möglich sie abzubilden, ohne dass sich jemand nicht angesprochen fühlt?
Mir war bewusst als ich die Serie geschrieben habe und wir in die Produktion gegangen sind, dass eine tierische Verantwortung auf unseren Schultern liegt. Die Community ist eine heterogene Gruppe, das heißt ich kann es mir nicht mehr herausnehmen mit nur einer Stimme für alle zu sprechen. Es gibt immer unterschiedliche Meinung und ich weiß, dass es Vorwürfe geben kann wie: warum wird denn da kein älterer Schwuler abgebildet und was ist mit dem Bodyshaming? Das ist alles richtig und das nehme ich als Kritik auch immer gerne an. Es kann nur nicht alles auf eine einzige Serie abgewälzt werden. Für mich ist die Serie ein Anfang, womit wir die Tür ein bisschen aufstoßen. Allerdings muss die Tür weiter geöffnet werden, damit all die Perspektiven und Erzählungen, die jetzt noch vermisst werden, in anderen Formaten aufgriffen und abgebildet werden. Es macht auch kein Sinn bei fünf Mal 25 Minuten zu versuchen alles unterzubringen, wie bei so einer Checkliste. Ich hoffe einfach, dass wir nur die erste und nicht die einzige und letzte Serie sind – da bin ich allerdings frohen Mutes.

Die Rassismus-Thematik wurde ebenfalls gut mit eingebunden. Du hast das Drehbuch geschrieben, hat Benito Bause (Vince) persönliche Erfahrungen mit einfließen lassen?
Tatsächlich ist die Idee eines schwarzen Hauptcharakters durch ein Gespräch mit einem Freund von mir entstanden. Er kommt aus Texas und ist nach Berlin gezogen und erzählte mir, dass er noch nie soviel Alltagsrassismus erlebt hat wie in Europa.
Er hat mir auch von dem Rassismus in der Community berichtet, was ich wahnsinnig spannend fand. Auch die Produzentin, Nataly Kudiabor mit der ich bereits zusammengearbeitet hatte, konnte mir bereits im Schreibprozess extrem gut weiterhelfen. Als dann Benito Bause feststand, habe ich mich sofort mit ihm getroffen und mit ihm darüber gesprochen. Benito Bause ist sein eigner internalisierter Rassismus auch erst durch die ganzen Debatten, die jetzt aufgekommen sind, aufgefallen. Beim Schreibprozess war es mir extrem wichtig, die Stimmen zu hören, die sich wirklich damit auskennen. Da war und bin ich auf die Unterstützung von den Menschen angewiesen, die damit Erfahrungen gemacht haben.

Warum kommt die Serie in die Mediathek und nicht ins Fernsehen?
Wir waren kreativ wesentlich freier in der Mediathek. Die Folgenlänge zum Beispiel hat genaue Vorgaben im Fernsehen und so musste ich nicht wichtige Szenen rausschneiden. Auch der CinemaScope wäre weggefallen. Jeder Fernseher hat zudem einen Internetzugang heutzutage und jeder kann somit ohne auf eine bestimmte Uhrzeit zu warten, die Serie dann in der Mediathek schauen. Auch um das Thema Quote müssen wir uns weniger Sorgen machen.
Was sind deine Erwartungen für den Release Tag?
Besonders gespannt bin ich auf die Rückmeldung aus der Community. Ich wünsche mir einfach, dass es die entsprechende Aufmerksamkeit bekommt und die Chance auf eine Fortsetzung, weil es schade wäre, diese aufgebaute Welt mit ihren queeren Charakteren nicht zu Ende zu erzählen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es weiter geht mit der Serie. Es gibt auf jeden Fall noch Material für mindestens 10 weitere Staffeln.
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