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Die Demokratie steht unter Druck Bärbel Bas im Interview mit SCHWULISSIMO

vvg - 03.11.2024 - 13:15 Uhr

Bärbel Bas ist die amtierende Präsidentin des Deutschen Bundestags und seit 1949 erst die dritte Frau in diesem Amt.

Wann haben Sie festgestellt, dass Sie das lieben, was viele Jugendliche überhaupt nicht interessiert: Politik?
Als Auszubildende bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft AG (DVG) habe ich mich als Jugend- und Auszubildendenvertreterin engagiert.

Wie und wo hat es angefangen mit der Politik?
Vor einer Aufsichtsratssitzung haben wir damals für die Übernahme der Azubis protestiert und Oberbürgermeister Josef Krings kam zu uns. Das hat mir imponiert und gezeigt, dass ich in der Politik für die Menschen etwas ändern und gestalten kann. Ich habe mich dann im Betriebsrat und in der SPD eingebracht. Bis ich in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, hat es aber noch viele Jahre gedauert.

Hatten sie zuvor einen Beruf und konnten sie Erfahrungen daraus nutzen? Erachten sie es als erforderlich, dass ein Politiker berufliche Praxis haben sollte?
Wenn man vor dem Vollzeitjob als Politikerin oder Politiker einen anderen Beruf hatte, hat das viele Vorteile. Meistens kennt man sich dadurch mit einem Thema besonders gut aus. In meinem Fall ist das die Gesundheitspolitik. In der Politik braucht man viele Eigenschaften, die man auch in anderen Berufen lernen kann: Hartnäckigkeit, Pragmatismus, Ehrgeiz und ein gutes Händchen dafür, verschiedene Interessen zusammen zu bringen. Ich finde es bereichernd, dass im Bundestag viele Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen zusammenarbeiten. Je vielfältiger der Bundestag ist, desto besser bildet er auch die Gesellschaft ab.

Hatten Sie damals Vorbilder?
Damals war unser Oberbürgermeister Josef Krings ein Vorbild für mich. Später hat mich der Werdegang von Annemarie Renger und Rita Süssmuth tief beeindruckt. Meinen beiden Vorgängerinnen im Amt der Bundestagspräsidentin habe ich viel zu verdanken. Beide sind für mich Vorbilder und Inspirationsquellen. Doch nicht nur sie. Es gibt so viele starke Frauen, die sich beispielsweise nach dem Krieg beim Aufbau unserer demokratischen Strukturen eingebracht haben und die heute leider in Vergessenheit geraten sind. Deshalb haben wir vor einigen Monaten das Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“ über die Parlamentarierinnen im ersten Deutschen Bundestag veröffentlicht. Diese Frauen haben den Krieg durchgestanden und danach mit Kraft und Vision für ein besseres Land gekämpft.

Die AfD vergrößert ihre Wahlerfolge; beobachten Sie eine Veränderung im Verhalten gegenüber Minderheiten auch in anderen Parteien?
Wir müssen als Gesellschaft darauf achten, dass wir miteinander respektvoll umgehen. Wir Abgeordnete haben eine Vorbildfunktion. Was wir in Parlamenten, in den Medien und den Sozialen Medien sagen, das setzt den Ton. Und der ist definitiv rauer geworden. Wir müssen uns bewusstmachen, dass die Achtung der Menschenwürde und der Schutz von Minderheiten die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung sind. Wir Demokratinnen und Demokraten müssen Courage zeigen und für unsere Überzeugungen einstehen. 

War es gut überlegt, das Wahlalter schon für16jährige herab zu setzen?
Demokratie bedeutet für mich, alle einzubeziehen. Die jungen Menschen sollen sich einbringen können und möglichst früh zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern werden. Bisher ist es nur in fünf Bundesländern, bei Kommunalwahlen und bei der Europawahl möglich, ab 16 zu wählen. Im Bund geht das noch nicht. Ich setze mich für eine Einführung des Wahlalters ab 16 ein, denn wir müssen die Politik von morgen heute gemeinsam gestalten. 

In den vergangenen Jahren gab es zum Beispiel rund um Fridays for future und andere Bewegungen viele engagierte junge Menschen.  Zugleich beobachte ich mit Sorge, wie einige junge Menschen bei der Europawahl oder den Landtagswahlen in Ostdeutschland abgestimmt haben. Wir brauchen mehr politische Bildungsarbeit, ein offenes Ohr für die Sorgen der jungen Menschen und sicherlich auch eine Stärkung der Medienkompetenz. Wenn junge Leute mit 16 wählen gehen könnten, wäre das eine große Chance, sie in der Schule darauf vorzubereiten und sachlich über politische Themen zu diskutieren. Auch die Parteien müssten sich dann viel stärker engagieren, um diese Wählergruppe zu erreichen.

Was macht es so schwer, Parteien mit faschistischen Ideen einfach zu verbieten?
Unsere Demokratie ist wehrhaft. Aber es gibt zu Recht hohe Hürden, um Parteien zu verbieten. Ein Verbot ist dann eine Option, wenn eine Partei die Verfassung bekämpft und die Demokratie abschaffen will. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Sicherheitsbehörden bei extremistisch auftretenden Parteien genau hinschauen. Wenn gesichert nachgewiesen werden kann, dass eine Partei die Demokratie angreift, dann ist ein Verbotsverfahren der notwendige nächste Schritt.
 

Bärbel Bas // © vvg

Glauben Sie, dass die Staatsform der Demokratie in unserem Lande gefährdet ist? Haben wir von der Weimarer Republik nichts gelernt?
Die Demokratie in Deutschland steht unter Druck. Nehmen wir zum Beispiel die konstituierende Sitzung des neuen Thüringischen Landtags: Hier wurden demokratische Regeln bewusst ignoriert, um eigene Ziele gegen eine Mehrheit von Abgeordneten durchzubringen. Glücklicherweise haben wir einen starken Rechtsstaat.

Dieses Jahr haben wir 75 Jahre Grundgesetz gefeiert. Es bildet seit einem Dreivierteljahrhundert die feste Basis unserer Demokratie. Diese Werte müssen wir gegenüber den Feinden der Demokratie verteidigen. Wir müssen für die Demokratie einstehen und können sie nicht als für immer gegeben hinnehmen. Deshalb brauchen wir engagierte Demokratinnen und Demokratinnen.  

Wie sieht dies europaweit aus?
Die Demokratie steht in vielen europäischen Ländern unter Druck. Das konnten wir an den hohen Wahlergebnissen für extremistische Parteien zum Beispiel in Österreich oder Frankreich sehen. Auf der anderen Seite haben die Polinnen und Polen gezeigt, dass sich dieser Trend auch wieder drehen und moderaten Parteien die Zukunft gehören kann. 

Ende Juli erhielten sie die Ehrennadel der NRWSPDqueer für ihr langjähriges Engagement und ihren besonderen Einsatz für die Rechte und Sichtbarkeit der queeren Community. Woher kommt ihr Engagement für die queere Szene?
Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Da leben sehr viele unterschiedliche Menschen und es gibt ein meist friedliches Miteinander. Für mich ist Offenheit und Toleranz der Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis. Es ist für unseren Zusammenhalt wichtig, dass sich die Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen. Egal ob hetero, ob L, G, B, T, Q oder I, mein Engagement für die queere Community ist ein Engagement für Gleichberechtigung. Die braucht es.

Für den Deutschen Bundestag habe ich daher die Charta der Vielfalt unterschrieben und möchte diese mit Leben füllen. Wir hissen seit meiner Amtszeit zweimal im Jahr die Regenbogenfahne am Reichstagsgebäude. Ich selbst stehe mit Gesicht und Stimme für die Interessen der queeren Community ein, indem ich zum Beispiel am CSD teilnehme. Voriges Jahr zum ersten Mal mit einer Gruppe des Deutschen Bundestags in Berlin, dieses Jahr in Köln und Duisburg. Das ist nicht nur ein politisches Statement, sondern macht auch immer großen Spaß. 

Sie halten in vielen Städten beim CSD die Fahne hoch, haben sie dadurch Anfeindungen erlebt?
Die Anfeindungen im Netz sind heftiger geworden. Das muss ich leider aushalten - wie alle Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Uns Frauen treffen sie noch häufiger. Was die LSBTIQ-Gemeinschaft erlebt, ist aber viel schlimmer. Das geht bis hin zu Morddrohungen mit der Folge, dass junge Menschen sich seltener outen. Und wir erleben nach wie vor Selbstmorde als Folge der Angriffe und Diskriminierungen. Auf der Straße beim CSD oder bei anderen Demonstrationen, ist die Stimmung aber meistens friedlich. Dort habe ich noch keine negativen Erfahrungen gemacht. 

Extremisten und Verfassungsfeinden wollen aber die Erfolge der Community zurückdrehen, die gemeinsam mit der Politik erreicht wurden. Eine klare Haltung ist wieder wichtiger geworden. Wir müssen uns alle vor queere Menschen stellen und sie schützen. Die LSBTIQ-Gemeinschaft hat viel erreicht. Von der Ehe für alle bis zum Selbstbestimmungsgesetz. Aber wir sind noch längst nicht am Ziel.

Was macht ihnen persönlich Angst?
Ich bin ein zuversichtlicher Mensch und glaube fest daran, dass wir gemeinsam Ängste und Krisen überwinden können. Ich verstehe aber, dass Ängste um die eigene Existenz, vor Krieg, vor Klimawandel oder Diskriminierung viele Menschen lähmen und ihnen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nehmen können. Als Politikerinnen und Politiker müssen wir diese Ängste ernst nehmen und Lösungen für diese großen gesellschaftlichen Herausforderungen finden. Das ist manchmal schwierig. Vor allem, wenn die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen sehr unterschiedlich sind und in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Aber, wir geben unser Bestes. Und ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger: Wir brauchen Menschen mit Ideen und Tatendrang in der Zivilgesellschaft und in der Politik. Wer sich engagiert, kann eine positive Kraft für andere sein.

Wir sagen herzlich Danke für ihre Antworten und bedanken uns auch für Ihr grenzenloses Engagement für die Community, wofür Sie ja kürzlich erneut zu Recht ausgezeichnet wurden. Und wir wünschen uns auch für die nächsten Jahre, dass sie für uns weiterhin die Fahne hochhalten.    

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