Im Interview Chris Kolonko
ist ein Allroundtalent, Meister der Verwandlung, exzellenter Schauspieler, hinreißender Varieté-Künstler und ein wortgewandter Entertainer.
Chris, ihr Name steht seit Jahren für höchste Travestie-Qualität, wie kam es dazu?
Theater und Zirkus waren schon immer meine Welt. Ich habe eine Frisörausbildung gemacht, weil ich Maskenbildner am Theater werden wollte. Nebenbei habe ich eine Musicalschule besucht, um auch das Singen und Tanzen zu erlernen. Bei einer Semesterabschlussvorstellung habe ich als Zaza zwei Lieder aus „La Cage aux folles" gemacht, worauf weitere Auftritte und Engagements folgten. Mein kulanter Chef gab mir die Möglichkeit nur 3 Tage als Frisör zu arbeiten; den Rest der Woche konnte ich für Showauftritte nutzen.
Haben sie schon als kleiner Junge geträumt, in Frauenkleidern auf Bühnen zu stehen?
Ganz und gar nicht. Ich habe eher Zirkus gespielt mit Playmobil und habe die Artisten an Bändern durch die Luft fliegen lassen. Der Zirkus war schon damals meine Welt.
Einer ihrer ersten Fans und Förderer war Roncalli-Chef Bernhard Paul.
Die erste Zusammenarbeit entstand durch den damaligen künstlerischen Leiter bei Roncalli - Thomas Schütte. Ich führte in Augsburg in einer selbstinszenierten Show als „Peter Pan“ durchs Programm, wo er mich ansprach. Er hatte mich davor schon als Marlene Dietrich gesehen und schlug mir vor im Düsseldorfer Apollo-Varieté eine Marlene-Show zu inszenieren. Im Jahr darauf wurde ich für die Show „Panem et Circensis“ in Essen engagiert. Bernhard Paul hat mich ins Varieté geholt und er hat mich auch gleich Regie machen lassen.
Danach hagelte es Show-Angebote, sowohl zu Land als auch zu Wasser.
Ja, ich war viele Jahre lang mit einigen sehr bekannten Kreuzfahrt-Schiffen und Unternehmen auf Hochseereise; was mir großen Spaß gemacht hat. Am Ende habe ich die Show-Produktionen geleitet. Das hat aber organisatorisch so viel Zeit gekostet und meine eigene künstlerische Entwicklung gebremst, dass ich das aufgegeben habe und heute maximal nur noch einmal im Jahr auf dem Schiff bin.
Apropos Wasser: Hatten sie nie Angst „Baden“ zu gehen?
Künstlerisch nicht. Als ich damals auf den Schiffen angefangen habe, war Travestie noch etwas Exotisches und es war die Upperclass der Travestie auf den Schiffen. Jetzt ist es fast to much, was an Travestie geboten wird …
Aber einmal hatte ich schon Angst „Baden“ zu gehen. Wir hatten einen Notfall, wo es gebrannt hat, die Sprinkleranlagen angingen, der Strom ausfiel und wir manövrierunfähig auf dem Meer trieben – kein Land weit und breit in Sicht.
Ab 8. November stehen sie in Bonn mit dem Stück „Big Love“ auf der GOP-Bühne.
Ich bin mit einer der Ideengeber dieser Show und kenne den Regisseur gut, so dass es zu einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit gekommen ist. „Big Love“ ist für mich eine Hommage an das Entertainment. In dieser Show macht jeder das, was er am meisten liebt. Unsere Sängerin Bridget Fogle ist wirklich eine Granate mit ihrer Soulstimme, die Artisten leben mit Leidenschaft ihren Beruf. Der Name der Show ist der Titel von einem Lied von Bridget. Wir haben lang überlegt, wie wir die Show gestalten wollen, da wir auch für alle Generationen da sein wollten. Wir wollen die Massage vermitteln, wenn jeder das tut, was er gern macht, dann kann es auf dieser Welt eigentlich nur Gutes geben.
Gibt es bei ihnen persönlich auch eine „Big Love“?
Bei mir gibt es eine Big Love seit „Corona“. Ich war damals auf Gran Canaria, weil ich nicht arbeiten durfte, habe mir da eine kleine Wohnung gemietet. Ich hatte mir beim Joggen einen Muskelfaserriss zugezogen und musste zum Physiotherapeuten und dieser Physiotherapeut ist heute mein Mann. Wann immer ich frei habe, bin ich auf Gran Canaria bei meinem Mann und unseren zwei Hunden.
Ein Zitat von Ihnen „Ich bin keine Frau, ich bin ein Kunstwerk“.
Zuerst einmal: ich fühle mich auf der Bühne nicht als Frau – ich spiele eine Frau. Die Figuren die ich spiele sind wie in jedem Schauspiel ein Stück Kunstwerk. Mein Gesicht wird bemalt, wie eine Leinwand, die Kostüme sind sehr erlesen, maßgeschneidert und für die Produktionen mit Bedacht entworfen und nicht irgendein Fummel von der Stange. Die Kunst der Travestie wird oft verkannt, so wie auch Drag Kunst ist.
Die Figur, die von mir gespielt wird, sehe ich schon als ein Kunstwerk an.
Sie waren immer sehr selbstbewusst und selbstsicher, Werte die vielen Jugendlichen heute fehlen.
Ich kenne viele selbstbewusste Jugendliche - aber auch ebenso viele unsichere. Die Unsicherheit spiegelt sich meist in einer unberechtigten Arroganz wieder, hat aber oft mit der Kurzlebigkeit zu tun, in der wir heute leben.
Die Medien zeigen dich heute so und morgen bist du schon wieder out. Das erzeugt den Zwang, etwas Perfektes sein zu müssen, was mit KI noch perfekter gemacht wird, aber mit der Realität gar nichts mehr gemein hat. Dieser Druck lässt sich im Handy noch gestalten - aber nicht im normalen Leben.
Wie hat sich die Travestie in den 30 Jahren ihrer Karriere verändert?
Sie hat sich ständig verändert in alle Richtungen. Als ich mit Travestie angefangen habe, waren es die Glanzzeiten von „Mary und Gordy“, sie haben die Bühnen bereitet, aber Travestie schwang immer noch der Hauch des Besonderen, des Verruchten mit. Das gibt es heute nicht mehr. Es ist ganz normal, dass ein Mann wie eine Frau ausschaut. Das hat aber den Vorteil, dass man schauspielerisch und mit Können überzeugen muss. Die jungen Menschen kennen die ursprüngliche Travestie nicht mehr oder gar den Unterschied zwischen Travestie und Drag. Travestie ist die Illusion einer weiblichen Person, Drag ihre Überzeichnung.
Heute gibt es auch ein Überangebot – jede Kleinstadt hat ihre eigene Transe.
Wie kommen sie mit dem Community-Buchstabensalat (LSBTIQA*) zurecht?
Ich habe gerade eine Moderation darübergeschrieben. Mein Figur „Oma Berta“ verirrt sich in den Dünen auf Gran Canaria zwischen diesen ganzen Buchstaben und kann mit den Bezeichnungen, wofür die Buchstaben stehen, wirklich gar nichts anfangen. Auch von den Begriffen, für die die bunten Fähnchen symbolisch stehen, hat sie noch nie gehört. Sie ist halt eben eine ältere Dame …
Persönlich finde ich wichtig, was ich in meinem Herzen fühle und vielleicht finde ich zu diesen Gefühlen den passenden Deckel, da brauche ich keine Definitionen und bunte Farbenspiele auf Fähnchen.
Sie vergöttern Marlene Dietrich - was mochten sie an ihr und wie ähnlich seid ihr euch im Charakter?
Als ich Marlene auf der Bühne gespielt habe, haben mir einige vorgeworfen, ich würde der echten Marlene immer ähnlicher. Mich fasziniert ihre Perfektion und ich habe viele ihrer Tricks probiert und sie haben wirklich funktioniert. Ich wische z.B. vor jeder Vorstellung die Bühne selbst. Wenn ich mit dem großen weißen Mantel à la Marlene auf die Bühne komme, wäre er, hätte ich die Bühne vorher nicht kontrolliert, schwarz. Und ich bewundere ihre Disziplin. Sie hat einmal gesagt: „Ich weiß, ich bin gut, aber viel wichtiger ist es, diszipliniert zu sein.“
Sind sie auch – wie Marlene – von Kopf bis Fuß – auf Liebe eingestellt?
Ich hatte wilde Drangzeiten, in denen war ich von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Heute ist es eher so, dass ich nach der Vorstellung froh bin, wenn ich die Füße hochlegen kann.
Könnten sie wie Marlene alleine leben und nur noch telefonischen Kontakt zur Außenwelt halten?
Ich kann tatsächlich allein sein - ohne einsam zu sein. Ich habe aber viele Hobbies, die mit Menschen zu tun haben und könnte mir nicht vorstellen, nicht mehr ins Theater zu gehen oder mit Freunden essen zu gehen. Der normale menschliche Umgang ist für mich schon etwas sehr Wichtiges.
Sie haben gesagt - was wir gut finden - dass sie für ihr Aussehen auch schon mal was haben machen lassen.
Ich bin da sehr offen, denn ich habe einen Beruf, in dem ich etwas verkörpere, was schminkbar sein muss. Es ist eine Notwendigkeit, um den Menschen eine schöne Illusion zu verkaufen. Ich habe keinen Jugendwahn, und achte bei meinen Schönheitsgestaltungen darauf, dass es nicht peinlich wirkt.
Welchen noch lebenden Star würden sie gerne mal in der ersten Reihe sitzen haben?
Jutta Speidel, die kommt sehr gern zu mir und wir mögen einander sehr, Daniela Ziegler ist eine gute Freundin, die Musical macht und auch beim Tatort mitspielt. Bei wem ich mich sehr geehrt fühlen würde, wäre Ute Lemper.
Wie finden sie das Gezänke um das Gendern?
Da bin ich altmodisch und muss auf der Bühne selber aufpassen, dass ich nicht die „Herrschaften“ begrüße. Ich finde es teilweise berechtigt, die Überempfindlichkeiten sind aber oft übertrieben. Bei mir wissen Leute auch oft nicht, wie sie mich ansprechen sollen, aber das ist mir völlig gleich.
Gibt es noch private Wünsche?
Es gibt so vieles. Die Welt ist so groß und so schön. Da ich zwanzig Jahre in Israel gelebt habe, würde ich gern einmal wieder in ein friedliches Israel reisen und keine Angst um meine Freunde haben müssen, die da leben.
Ich träume davon, eines Tages eine kleine Finca mit vielen Haustieren und meinem Mann zu haben. Und ich möchte nur noch die Jobs machen müssen, die ich wirklich genial finde.
Kris vielen Dank, dass du für uns Zeit hattest und vielen Dank für das Gespräch.