Direkt zum Inhalt
© JackF

Leserumfrage Krasse Outings

vvg - 06.05.2018 - 07:00 Uhr

Geoutet habe ich mich vor 30 Jahren. Ich lebte da noch in München und wollte zusammen mit meinem damaligen Freund meine Mutter besuchen, die in Koblenz wohnte. Ich fuhr zu der Zeit in unregelmäßigen Abständen nach Hause, um den familiären Kontakt zu pflegen; nur dass ich diesmal zum ersten Mal einen Mann an meiner Seite mitbrachte. Mein Freund war ein wenig nervös. Er wusste, dass meine Mutter keine Ahnung hatte; so kaufte er vorsorglich einen großen Blumenstrauß, um den ersten Eindruck verbessern. Vom letzten Parkplatz vor Koblenz rief ich von einer Telefonzelle zu Hause an - damals gab es ja noch kein Handy - und kündigte an, dass ich in gut 20 Minuten da wäre. Meine Mutter war erfreut, da sie beim Kochen war und meinte, dass das Essen dann fertig sei. Ich sagte noch „Leg einen Teller mehr auf, ich bringe noch jemanden mit“ und schon waren die 20 Pfennig durchgelaufen und meine Mutter hatte keine Zeit mehr, irgendwelche Fragen zu stellen. Als wir vor der Tür standen und sie uns öffnete, musterte sie uns kurz, begrüßte uns aber recht freundlich. Dann bat sie meinen Freund, doch schon mal im Wohnzimmer Platz zu nehmen, mich bat sie allerdings in die Küche. Dort fragte sie: „Sag mal, ist es das, was ich glaube, was es ist?“ Ich stellte die Gegenfrage, was sie denn glaube, was es sei? Sie schaute mir in die Augen und fragte „Hast du was mit dem?“, was ich mit einem klaren „Ja, das ist mein Freund!“ antwortete. Worauf sie dann ruhig aber bestimmt nur „Gut, das wollte ich nur wissen, nicht das ich etwas Falsches sage.“ erwiderte. Und damit war das Thema für sie auch erledigt. So gesehen war mein Outing eigentlich recht unspektakulär. Krass war lediglich, dass meine Mutter damals vor 3 Jahrzehnten so cool reagierte; denn eine solche Reaktion war zu der Zeit nicht unbedingt die Regel.
Klaus H. aus Koblenz

Ich hatte schon immer Kontakt zu Schwulen, weil mit ihnen zu feiern, einfach riesigen Spaß machte. Ich hatte damals eine Freundin, denn ich komme aus einem Dorf am Niederrhein, wo es die Norm war, dass zu einem Mann eine Frau, ein Kind, ein Hund und ein Auto gehörte. Mit 21 fuhr ich mit einem schwulen Freund nach Amsterdam. Er lernte dort einen Typen kennen, mit dem er schlafen wollte und bei dem ich auch übernachten konnte. Ich hatte mich nie mit meiner Sexualität und der Ausrichtung meines Privatlebens beschäftigt, aber ich merkte plötzlich: irgendetwas stimmt nicht. Ich wusste mit meinen Gefühlen nicht mehr wohin; irgendetwas ging in mir vor, was ich nicht zuordnen konnte. Im Nachhinein betrachtet, war ich wohl eifersüchtig. Danach musste ich mich neu sortieren, denn meine angestrebte Zukunftsplanung, die mir vorgelebt wurde und die ich weiterführen wollte, fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Ich hatte über dieses Gefühlschaos mit meinen Eltern gesprochen und auch über den Weg, den ich nun gehen wollte. Die hatten sich das nicht so gewünscht und brauchten Zeit, um zu kapieren, dass ihr Sohn jetzt nicht in Rock und Bluse herumlaufen würde. Die Medien berichteten ja meist nur über schrille, auffällige Tunten! Das krasse Dorf-Outing fand dann auf einem runden Geburtstag meiner Mutter statt, bei dem Verwandte, Nachbarn und das gesamte Dorf anwesend waren. Als ich mit meinem damaligen Freund eintrat, richteten sich alle Augen auf uns. Die Stimmung änderte sich schlagartig; man merkte, dass die Leute zu tuscheln anfingen. Da stand meine Mutter auf, ließ die Musik zu stoppen und bat um Gehör. Dann sagte sie nur: „Ja, unser Sohn ist schwul und wir stehen voll hinter ihm. Diejenigen, die damit nicht zurechtkommen und Einwände haben, mögen doch bitte aufstehen und das Fest verlassen, damit alle anderen weiterfeiern können!“ Aufgestanden ist übrigens keiner; die gedrückte Stimmung war entsorgt und ich war unendlich stolz auf meine Mutter.
Klaus J., Köln
 

Mein Outing ist eigentlich nicht sonderlich erwähnenswert: meiner Schwester habe ich offiziell mitgeteilt, dass ich schwul bin; das war kein Problem. Leider bin ich nicht dazu gekommen, dass ich mit meinen Eltern darüber sprechen konnte, weil sie beide vorher verstarben. Ich vermute allerdings, dass sie Bescheid wussten; Eltern merken das doch irgendwie.
Dann habe ich 1993 nach meiner Bundeswehrzeit meinen heutigen Lebenspartner kennen gelernt. Damals war mein Freund noch verheiratet und lebte mit seiner zweiten Frau und einem Sohn zusammen. Irgendwie wusste er zwar, dass er auch Männer gut fand, aber zu der Zeit gab es weder Zeit noch Gelegenheiten, dass er das ausleben konnte; außerdem hatte er immer große Chancen bei den Frauen. Hinzu kam, dass er ein gutbürgerliches, gutgehendes Restaurant betrieb und dadurch so bekannt war, wie ein bunter Hund. Als wir uns dann trafen, war das von beiden Seiten aus wirklich „Liebe auf den ersten Blick“. Wir waren uns beide sehr sicher und mein Freund beschloss, dass ich zu ihm ziehen sollte. Und jetzt folgt das krasse an der Geschichte: Die erste Bombe platzte, als er sich als schwul outete. Die zweite Bombe folgte unmittelbar darauf: nämlich, dass seine Familie musste ausziehen, damit ich einziehen konnte. Er hatte sich offiziell für mich entschieden. Negative Sprüche oder dumme Bemerkungen gab es nicht; lediglich ein Gast sagte mal: „Das hat doch keine Zukunft“ worauf mein Freund antwortete „Aber jetzt ist es schöner!“ Anfangs dachten wir, jetzt kommt keiner mehr zu uns essen - im Gegenteil, alle kamen. (Vielleicht auch, weil sie gucken wollten.) Zu seiner Frau haben wir einen guten Kontakt. Anfangs sagte sie, dass es sie getroffen habe, weil ich ein Mann war, und gegen einen Mann kann sie nicht kämpfen. Auch mit seinen Söhnen gab es Null Probleme, wir haben jedes Wochenende mit vielen schönen Aktivitäten verbracht.
Rüdiger aus Karlsruhe

Ich habe vor 26 Jahren meinen Freund mit nach Hause genommen und meinen Eltern erklärt, dass er jetzt öfters mitkommt. Es war der erste Mann, bei dem ich mir ganz sicher war, dass er der Mensch ist, mit dem ich alt werden möchte. Wir sind heute immer noch zusammen, haben sogar 2012 in Buenos Aires geheiratet – und zwar mit allen Rechten. Meine Mutter hatte im Gegensatz zu meinem Vater an meinem Outing ganz schön zu knabbern, weil in ihr sofort die Angst aufkam, dass ihr Sohn dann im Alter einsam und alleine sei. Wie Mütter halt so denken.
Bei meinem Arbeitgeber habe ich meine Sexualität nicht an die große Glocke gehängt. Wenn es um meine Beziehung ging, habe ich die immer als „meine bessere Hälfte“ umschrieben; lediglich mein engster Mitarbeiterkreis wusste Bescheid. Ich arbeite in einem großen Pharmaunternehmen als SAP-Berater und bin dadurch 6 Jahre lang im Ausland gewesen. Bei einer Besprechung an der auch übergreifende Abteilungen teilnahmen, platze einem meiner Arbeitskollegen die krasse Frage heraus: „Wie geht denn dein Mann damit um, dass du so oft im Jahr dienstlich unterwegs bist?“ Das war der Moment, wo sich alle Augen auf mich richteten und ich in der ersten Schrecksekunde sehr verlegen wurde. Ich habe aber intuitiv das Beste daraus gemacht: mir war sofort klar, dass ich jetzt bloß nicht lügen durfte und antwortete ziemlich sicher: „Der steht voll hinter mir, er sieht das sogar als große berufliche Herausforderung!“ Damit war das Thema in der Besprechung zwar vom Tisch, die Nachricht verbreitete sich allerdings blitzartig in dem Unternehmen und ich wurde tagelang ständig darauf angesprochen. Im Nachhinein war ich froh, weil mir da eine Last abgenommen wurde. Meiner Karriere hat das übrigens nicht geschadet. Im Gegenteil: ich habe 2014 in dem Betrieb die LGBT-Gruppe „Blend“ mitgegründet, um anderen Männern in ähnlicher Situation den ersten Schritt zu erleichtern.
Michael aus Essen
 

Bei meinen Eltern habe ich mich 17-jährig geoutet. Meine Mutter meinte: „das vergeht“; mein Vater wollte nicht, dass ich über so etwas redete. Ich habe es trotzdem zum Thema gemacht; darüber waren sie nicht unbedingt glücklich, letztendlich aber auch nicht dagegen. Krass war allerdings mein berufliches Outing: Das war Anfang der 90er, als ich in Hallein bei Salzburg Sonderschullehrer war. Mit einem Zirkel anderer Kollegen half ich die sogenannte Integration von Behinderten inhaltlich vorbereiten. Wir besprachen, in einem akademisch geprägten Team, unsere eigene Integration im Lehrkörper und bereiteten uns ein Jahr darauf vor, wie wir das Thema im Plenum unter dem Motto „es ist normal, verschieden zu sein“ präsentieren könnten. Dabei haben wir einander Rollen zugeteilt, also der Schwule war nicht ich, sondern ich spielte einen türkischen Mitmenschen. Als wir das Rollenspiel in einer Lehrerkonferenz vorführten, tauchten im Anschluss praktisch nur Fragen zum Thema Homosexualität auf. Der Kollege, der „den Schwulen“ spielte, war in Wirklichkeit heterosexuell. Besonders schlimm war das für die Schulleitung: Die Konrektorin lief aus dem Raum, ganz bleich im Gesicht, in Richtung Toilette, wahrscheinlich als sie mitbekam, dass nicht nur theoretisch jemand schwul sei, sondern ich persönlich. Auch der Schulleiter konnte nicht darüber reden; er holte immer wieder tief Luft, saß mit schräg heruntergezogenem Kopf am Tisch, als hätte er gerade einen Schlaganfall erlitten. Kein Mensch hatte mich für schwul gehalten, einige KollegInnen hatten geglaubt, Schwule seien Männer, die vom Sex mit Frauen so überdrüssig wären, sodass sie zum Ausgleich Sex mit Tieren und anderen Männern haben wollten. Unser Team war der Zeit einfach voraus und hatte die Konservativen kolossal überfordert. Für mich selbst war dieses Outing zwar krass, auf der anderen Seite aber befreiend und wahnsinnig entspannend.
Roman aus Salzburg

Ich hatte mit 14 Jahren beim DLRG meinen ersten Mann, meinen Trainer. Er hatte mich beim Duschen angemacht und mich hat sein Schwanz gereizt. Er ist in die Umkleide gegangen und hat mir mit Kopfzeichen angedeutet, dass ich ihm folgen sollte. Ich bin dann zu ihm in die Kabine, wo er mir orale Freuden bereitete. Ich habe es genossen, bin allerdings sehr schnell gekommen, weil ich total erregt und aufgeregt war. Ich habe mich natürlich bei ihm revanchiert, aber auch das war eine schnelle Nummer, weil ja alles geheim ablief und wir nicht auffallen durften. Für mich war das spannend und ich habe abends immer daran gedacht. Wir haben uns natürlich beim Training öfters wiedergesehen und hatten bestimmt noch ein Dutzend Mal Spaß zusammen; allerdings dann immer bei ihm zu Hause. Er war übrigens doppelt so alt wie ich, und ich wusste, dass er auch mit den anderen Jungs Sex hatte. Es ist aber nie herausgekommen; er hat ja nichts gemacht, was ich nicht wollte. Mit 19 habe ich mich getraut, mich zu Hause zu outen, was zur Folge hatte, dass ich kurz danach auszog. Meine Mutter hatte das zwar geahnt, für meinen Vater war das ein Schock; auf dem Land will man lieber einen „richtigen Mann“ als Sohn. Ich hatte 7 Jahre lang keinen Kontakt zu meinen Eltern. In dieser Zeit ließen sie sich auch scheiden; heute haben sowohl meine Mutter als auch mein Vater neue Lebenspartner. Ich habe von meiner Seite aus den ersten Schritt auf beide zugemacht und mittlerweile wurde mein Leben akzeptiert. Drei Jahre nach meinem Auszug, outete sich übrigens mein vier Jahre jüngerer Bruder auch, was ein Doppelschock für meinen Vater war. Leider war das Thema Homosexualität im Gegensatz zum Leben in der Großstadt auf dem Lande noch ein Skandal. Mein Bruder verstarb vor 12 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion, was den dritten Schock auslöste.
Uli aus Karlsruhe

Auch Interessant

Ausgequetscht

Benni Bauerdick

ist Radio-Moderator, Fernsehreporter, Podcaster und Trauerbegleiter. Als Gesprächs-Partner in Podcasts und auf Bühnen setzt er sich für mehr...
Pärchen September 2024

Dustin und Pascal

Dustin (36) und Pascal (35) haben sich wie so viele Paare online kennengelernt, auf Instagram schrieb man sich und auf Tinder hatten sie ein Match!
Ausgequetscht

Sonja Fuss

gewann im Frauenfußball jeden Titel, den man sich vorstellen kann. Sie spielte von 1992 – 2011 in der Bundesliga und von 1996 – 2010 für Deutschland.
Pärchen August 2024

Martin und Daniel

Liebe ist nur einen Klick entfernt – oder 180 Meter: Dieses Paar musste sich einfach kennenlernen, denn Amors Pfeil hatte es nicht sehr weit ...
Ausgequetscht

Lucas

Lucas war dabei, als erstmals bei Germany Next Top-Model männliche Kandidaten antreten durften.
Pärchen Juli 2024

Marco und Jan

Dass man der Technik nicht blind trauen sollte, beweist dieses Paar – denn blind ist nur die Liebe...
Interview

SEPP OF VIENNA

Mitte März bis 15. April lud er ins Münchner „Sub“ ein, wo man seine Männer „treffen“ konnte. Im Juni erscheint anlässlich des 50-jährigen das Buch.
Pärchen Juni 2024

Philip und René

700 Kilometer Entfernung ist nicht weit, wenn man sich liebt: Wie man Hindernisse überwindet und Harmonie findet, zeigt dieses Traumpaar des Monats...
Im Interview

Nico Alesi

ist Sänger, Songwriter und Musical-Darsteller. Er liebt Theater, Tanz und Takt – wobei Takt für Musik und insbesondere für Schlager steht.