Ausgequetscht Sonja Fuss
gewann im Frauenfußball jeden Titel, den man sich vorstellen kann. Sie spielte von 1992 – 2011 in der Bundesliga und von 1996 – 2010 für Deutschland. Mit ihren Mannschaften wurde sie 1997, 2005 und 2009 Europameisterin – 2003 und 2007 Weltmeisterin – 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen erhielt sie die Bronzemedaille. 1997 wurde sie Deutsche Meisterin - 2005 und 2009 UEFA-Women-Cup-Siegerin - 2011/12 + 2012/13 war sie Schweizer Meisterin sowie 2012 und 2013 Schweizer Cupsiegerin, um nur Einige zu nennen.
Sonja, du warst aktive Fußballspielerin, was waren die Highlights Deiner Laufbahn?
Als Fußballspielerin war es mein Mut, aus einem Dorf in der Voreifel - wo ich mit Jungens gemeinsam Fußball gespielt habe - zu einem Mädchenfußballverein nach Brauweiler bei Köln zu gehen. Zwei Jahre später mit 15 Jahren machte ich mein erstes Bundesligaspiel und da begann, dass ich auch international gespielt habe. Mit 17 fuhr ich zu meiner ersten Europameisterschaft. Nach meinem Abi bin ich zum Collage in die USA gegangen, das war wichtig für meine persönliche Entwicklung und mein sportliches Weiterkommen. In Connecticut im Team der Hardfort Hawks lernte ich den athletischeren Fußball spielen, während wir in Europa den taktischen und technischen Fußball bevorzugen. Nach der Rückkehr bin ich meiner Karriere gefolgt, habe in der Nationalmannschaft und in der Bundesliga beim FSV Frankfurt, beim FFC Turbine Potsdam, beim FCR Duisburg und beim 1. FC Köln gespielt; sowie in der Schweiz beim FC Zürich und in der USA-Profiliga bei den Red Stars in Chicago. Nach über zwanzig Jahren habe ich meine aktive Fußballkarriere 2014 beendet. Und jeder Titelgewinn ist natürlich auch ein Highlight, das würde aber zu lang dauern alle aufzuzählen.
Ein besonderes Highlight war aber noch, gemeinsam mit meiner Mutter den New York Marathon zu laufen.
Was waren die Hoch und Tiefs deiner sportlichen Laufbahn?
Richtige Hochs oder Tiefs gab es eigentlich nicht. Eine lustige Begebenheit war: Als wir mit Duisburg den Pokal gewonnen haben und ich ihn bei der Stadionrunde in die Höhe recken wollte, rutschte er mir aus der Hand und landete im Graben. Und bei einem Finalspiel gegen Frankfurt habe ich als Verteidigerin ein wichtiges Tor geschossen, bei dem ich so richtig ausgerastet bin. Wir haben aber trotzdem nicht gewonnen.
Wie und wo hat es angefangen mit deiner Liebe zum Ball?
Ich habe tatsächlich lieber Fußball gespielt, als mit Puppen. Klar hatten meine Schwester und ich auch ein Puppenhaus. Das habe ich aber eher als „Architektin“ bespielt, was ich auch heute im Baubereich beruflich mache. Bei uns im Dorf haben alle immer draußen gespielt und es war halt so, dass alle - Mädchen und Jungens - miteinander Fußball gespielt haben.
Welle Position hattest du innerhalb deines Teams?
Ich war im Mittelfeld und in der Verteidigung, aber eher hinten.
Was bleibt heute aus deiner aktiven Zeit übrig?
Sehr, sehr viel. Teamfähigkeit prägt dich für dein ganzes Leben. Ich habe gelernt mit Niederlagen und Siegen umzugehen und tatsächlich Disziplin. Egal, ob man im Sport oder im Beruf erfolgreich sein will, du brauchst immer Disziplin.
Wie fühlt und motiviert man sich, wenn man als Verlierer vom Platz geht?
Niederlagen sind immer emotional, da muss man traurig sein, denn es bedeutet, dass man etwas nicht erreicht hat, was man sich vorgenommen hatte. Aber jede Niederlage birgt auch die Chance zu analysieren, was man hätte besser machen können. Und dazu gehört auch, anzuerkennen, dass die andere Mannschaft besser war und das man dem Respekt zollen muss.
In Köln tobt vom 14. Juni – 14. Juli die Fußball-EM, wird sich das Sommermärchen von 2006 wiederholen?
Ich glaube schon, dass es wieder eine tolle Atmosphäre geben wird, auch wenn die politischen Vorzeichen mit einem Krieg in Europa und den Terrorpläner verschiedenster Gruppen nicht mehr so sonnig sind. Es wird ein riesiges Fest, davon bin ich überzeugt.
Nach „#ActOut“ der SchauspielerInnen und dem „Out of Church“ wo sich Betroffene in der Katholischen Kirche geoutet haben, blieb das erwartete Gruppen-Outing „Sports free“ beim Fußball aus? Wollte Marcus Urban zu viel?
Ich habe damit gerechnet, dass sich keiner outen wird. Da braucht es schon eine ganz starke Persönlichkeit, um diesen folgenden Spießrutenlauf durchzustehen. Männerfußball ist eine andere Domäne als Frauenfußball. Es ist ähnlich so wie im Tennis, Hand- oder Volleyball.
Warum steht die weibliche Mannschaft mehr ihren Mann, als die männliche?
Das kann ich nur schwer verstehen. Vielleicht liegt es daran, dass der Männerfußball viel älter ist und über die Zeit hat sich die Qualität der männlichen Spieler weltweit auf einem hohen Niveau eingepegelt.
Bei den Frauen haben wir in Deutschland 1976 mit dem Fußballspielen begonnen. Selbst meine Mutter hat sogar schon in einer Frauenmannschaft bei uns im Dorf gespielt. Da haben wir international gesehen einen zeitlichen Vorsprung; auch Dank der Förderung und Unterstützung durch den DFB.
Was war zuerst da, die Liebe zum Ball oder die Liebe zum gleichen Geschlecht?
Die Liebe zum Fußball war zuerst da. Erst mit siebzehn habe ich gemerkt, dass ich neben Männern auch Frauen liebe, oder besser gesagt: ich liebe zuerst den Menschen, das Geschlecht steht dahinter. Ich würde mich auch eher als BI bezeichnen. Seit fünfzehn Jahren bin ich nunmehr in einer Beziehung mit einer Frau.
Wie war das Outing bei dir persönlich?
Da bin ich verführt worden. Ich hatte einen weiblichen „Fußball-Kumpel“, die mir irgendwann offenbarte, dass sie mehr möchte. Ich war neugierig und habe mich darauf eingelassen. Es hat sich richtig angefühlt. Aber wie schon gesagt, ich liebe den Menschen und nicht sein Geschlecht.
Bist du selbst in der Community unterwegs?
Ehrlich relativ selten. Es hat sich nicht ergeben. In meinem großen Freundeskreis habe ich zwar viele schwule und lesbische Menschen, aber ebenso auch viele heterosexuelle. Ich engagiere mich aber im Fußball für die Community: Beim „Come Together Cup“, bei dem ich sogar Botschafterin bin. Der CTC repräsentiert genau meine Werte, wie Weltoffenheit und Gemeinschaftssinn und ich war mächtig stolz darauf, als ich angefragt wurde.
Warum haben sich im Fußball nur neben Thomas Hitzelsperger, der Amerikaner Robbie Rogers und der Tscheche Jakub Jankto geoutet?
Vielleicht ist es einfacher nach dem Karriereende diesen Schritt zu vollziehen. Man steht nicht mehr auf dem Platz und die Situation ist eine andere. Die Frage ist: Welcher Druck ist der größere, den, wenn man sich versteckt? Oder der, wenn man sein Privatleben öffentlich macht?
Warum sind Fußballerinnen -wie auch Tennisspielerinnen- mutiger und offener mit ihrer Sexualität?
Frauen sind offener und toleranter auf alles bezogen. So empfinde ich es zumeist. Frauen nehmen Homosexualität nicht als Bedrohung ihrer Weiblichkeit wahr, was Männer wohl anderes empfinden. Ich kenne einige Fußballspieler, die das verbergen müssen und ich finde es schlimm. Dabei sind wir doch am stärksten, wenn wir WIR sein können. Wenn einer anfangen würde und andere dazukommen, wird es auch gar kein Thema mehr sein. Spieler die diesen Rucksack mit sich tragen, verlieren dadurch Prozente in ihrer Leistungsfähigkeit. Davon bin ich überzeugt!
Ein Fußball verlangt gute Beinarbeit! Folgst du da deinen Kollegen, Ailton, Giovane Elber, Hans Sarpei, Rurik Gislason, Thomas Haßler und einer Steffi Jones, die sozusagen auf zwei Hochzeiten tanzten?
Das überlasse ich gerne anderen. Ich tanze wahnsinnig gern, habe auch in der Schule einen Tanzkurs gemacht. Aber ich weiß, dass ich kein Rhythmus-Genie bin. Ich bewege mich gern zur Musik, aber Let‘s Dance ist nicht meine Plattform. Da würde ich lieber in Talkrunden gehen, wo ich tatsächlich etwas sagen kann.
Was macht eine Spielerin, wenn die aktive Spielzeit vorbei ist?
Ich arbeite heute in der Baubranche. Das kommt von Seiten meines Vaters. Er ist seit 45 Jahren selbstständiger Architekt und für mich war immer klar, dass ich entweder Geheimagentin oder Architektin werden wollte.
Dein Vater ein Vorbild?
Ja, aber ich habe viele Vorbilder. Meine Mutter zum Beispiel ist mir Vorbild in ihrer sozialen Kompetenz, immer helfen zu wollen oder in ihrer Kreativität. Oder meine Großeltern die nach dem Krieg als Vertriebene aus Vorpommern alles neu aufbauen mussten.
Kannst du weinen?
Definitiv, auf jeden Fall kann ich weinen. Ich habe auf dem Fußballfeld geweint. Habe geweint als meine Oma gestorben ist. Weine, wenn ich traurig bin oder mich streite. Ich finde Weinen superwichtig. Das musste ich aber erst lernen, weil ich, was Emotionen betrifft, dies früher lieber gern mit mir alleine ausgetragen habe. Ich finde es wichtig, das rauszulassen.
Was macht dir Angst?
Meine größte Angst ist Verlustangst, d.h. liebe Menschen zu verlieren. Wenn ich jemand Wichtigen nicht sofort erreichen kann, mache ich mir sofort schlimme Gedanken und telefoniere solange, bis ich weiß, dass es der Person gut geht.
Was steht noch auf deiner Bucket-List?
Ich möchte unbedingt zu den Kaiserpinguinen in die Antarktis; von Argentinien mit einem Forschungsschiff dahinfahren. Und ich würde gerne den Hubschrauberflugschein machen.
Ich engagiere mich gern Sozial, war lange Zeit bei „Plan International“ als Botschafterin für Mädchenfußballprojekte. Ich möchte aber gerne etwas Eigenes machen: Ich stelle mir vor, wenn ich ganz viel Geld zusammen habe, ein Frauenhaus zu gründen, wo Frauen Zuflucht finden.
Zum Schluss: Wer wird gewinn die Fußball-EM?
Hätte sich Julius Nagelsmann nicht getraut, die Mannschaft vom Kader her so umzukrempeln, hätte ich maximal auf das Viertelfinale getippt. Aber mit den neuen jungen Spielern sehe ich auch Möglichkeiten für mehr.
Das Interview führten wir Mitte Juni - kurz vor Beginn der Fußball-EM.