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Aaron Knappstein

Ausgequetscht Aaron Knappstein

vvg - 31.01.2024 - 17:00 Uhr

ist Mitbegründer und derzeitiger Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp vun 2017 e.V.“

 

Aaron - was bedeutet dein Vorname?

Die direkte Bedeutung ist „Stab“ oder „Speer“ auch in der Deutung von „Wächter“. Aaron war der Bruder von Moses, da taucht der Name erstmals überliefert auf.

 

Du hast Judaistik studiert – was ist das?

Ich habe Judaistik, Politikwissenschaften und Geschichte studiert. Judaistik ist die Lehre des Judentums, es umfasst die historische Lehre, die Theologie und Hebräisch als Sprache. Es kam aus innerstem Interesse, da ich nicht sehr jüdisch aufgewachsen bin. So konnte ich mich meinen Wurzeln nähern, meinen Ursprüngen folgen. Das wäre an einem Ort mit großer jüdischen Bevölkerung sicher anders, wo man Judentum aus erster Hand erfährt, aber in einer deutschen Großstadt mit wenigen Juden, ist dies eher schwierig.

 

Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Juden verachtet und denunziert. Diese Gräueltaten kleben an unserer Geschichte. Warum ist es dir wichtig, die Erinnerung an den Holocaust am Leben zu erhalten?

Generell ist dieses Thema der Shoah immer präsent für Jüdinnen und Juden. Es ist Teil unserer Geschichte, Familien Geschichte oder die von Freundinnen und Freunden. Es ist wichtig, dabei nicht über die Schuldigen zu reden, sondern es geht um das Nicht-Vergessen, denn alles, was man vergisst, kann wieder geschehen.

 

Wird der 7. Oktober denselben Stellenwert bekommen?

Nein! Das größte Pogrom seit der Shoah ist nicht mit dieser vergleichbar. Aber es setzt eine Zäsur für die jüdische Gemeinschaft. Und jeder muss verstehen, das Terror keine Probleme löst.

 

Lebst du deinen Glauben aktiv in deiner Gemeinde?

Nein, nicht wirklich. Ich bin nicht sehr religiös; ich hab’s versucht, aber es hat nicht funktioniert. Ich wollte lediglich darüber einen Zugang zum Judentum finden. Ich gehe nur noch an Feiertagen in die Synagoge, selten mehr.

 

Hast du heute mehr Angst die Synagoge zu besuchen?

Nein, das liegt sicher auch daran, dass ich bisher zum Glück noch keine direkte Begegnung mit Antisemitismus hatte.

 

Versteckst du deinen Glauben in der Öffentlichkeit?

Nein. Seit dem jüngsten Terror in Israel bin ich eher noch mehr in die Öffentlichkeit getreten, weil auch das Interesse am Wissen über das Judentum und dem Nah-Ost-Konflikt gewachsen ist- Viele haben Fragen gestellt und ich bin bereit, darüber zu sprechen. Es ist wichtig, die Meinung der Jüdinnen und Juden in die Stadtgesellschaft zu tragen. Mein Mann findet es schon schwieriger, dass ich so offen auftrete und wahrscheinlich als einer der bekanntesten Juden in Köln bei Google zu finden bin.


 

Aaron Knappstein (m.) kurz vor Eröffnung der Veranstaltung „Bei Falafel & Kölsch“ in der Kölner Synagoge Roonstrasse mit Kostümschneider Thomas Wien-Pegelow (l.) und seinem Mann Manfred Wien (r.). © vvg

Wie löst du den Widerspruch zwischen deinem Glauben und deiner Homosexualität auf?

Dass ich offen schwul lebe und keinen Hehl daraus mache, da muss die Gemeinde mit leben, wobei ich nicht in der orthodoxen, sondern in der liberalen Gemeinde bin. Diese liberale Strömung hat keine Probleme mit Homosexualität.
Die orthodoxen Juden beziehen sich aber auf dem gleichen Vers im Alten Testament, bei uns die Thora, wie die Christen und Muslime: „Du sollst nicht bei einem Manne liegen, wie bei einer Frau.“
Wenn da jemand deshalb nicht mit mir umgehen kann, dann soll er es bleiben lassen.

 

Wie gehst du in einer säkularen Gesellschaft mit dem Sabbat um?

Liberale Juden haben überhaupt kein Problem damit. Sie glauben an die zehn Gebote und dass die Ethik- und Moralgesetze gottgegeben sind. Alle anderen Dinge der Thora sind für liberale Juden menschengemacht oder durch Menschen interpretiert.
Und das Einzige, was ich am Sabbat nicht mache, sind Dinge, die ich sowieso nicht gern mache :-).

 

Was würdest du der Regierung empfehlen, wie man mit dem Antisemitismus in Deutschland umgeht?

Wo sind die roten Linien, von denen immer gesprochen wird? Ich will keine verletzen oder toten Polizisten, aber der Staat muss deutlich zeigen, dass diesen Linien nicht überschritten werden dürfen. Da muss man mal in die Geschichte schauen und aus den Fehlern der Weimarer Republik lernen. Demokratie muss sich verteidigen können.
Und es muss die mehrheitlich demokratische eingestellte Bevölkerung aus dem Dornröschenschlaf der schweigenden Mehrheit geweckt werden, um den Menschen, die scheinbar keine Demokratie mehr will, klar zu zeigen, dass sie eine Minderheit sind.

 

Siehst du eine Lösung für den Nahostkonflikt?

Es gibt in Deutschland 80 Millionen Bundestrainer und seit dem 7. Oktober fast ebenso viele Nahost-Experten. Ich persönlich finde, es gibt bei diesem Konflikt kein Gut und Böse, kein Richtig und Falsch, weil in den vergangenen Jahrzehnten so viel geschehen ist, dass es nicht mehr einfach zu lösen ist. Es braucht viele mutige Menschen, die versuchen müssen, diesen Konflikt zu lösen.

© vvg

Ist Antisemitismus wieder ein Problem und macht es Angst?

Es stimmt der Antisemitismus war versteckt immer da und eine neofaschistische deutsche Partei hat es ermöglicht, diesen auch wieder öffentlich auszuleben. Früher gab es auch Briefe und Mail mit Judenhass, die waren aber anonym geschrieben. Heute unterschreibt man diese mit eigenem Namen und ist wahrscheinlich noch stolz darauf und denken, es ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.

 

Hat Gil Ofarim Schaden angerichtet?

Ich habe, dass gar nicht verfolgt, erst als es in der Presse immer größer wurde, habe ich das mitbekommen. Er hat der jüdischen Gemeinschaft einen Bärendienst erwiesen. Es bestätigt die Antisemiten, aber es passiert so etwas in allen Kreisen.

 

Woher nimmst du deinen Mut?

Ich bin Kölner, liebe meine Stadt, gehöre hier hin und will hierbleiben. Wenn es keine Menschen gibt, die den Mut haben, den Mund aufzumachen, dann wird es schwieriger eine tolerante Gesellschaft zu erhalten.
Es gibt Menschen, die das nicht können, dafür müssen die den Mund aufmachen, die es können.

 

Homophobie macht auch nicht vor dem Karneval halt – selbst nicht in Köln, sind die Schwulen die nächsten Opfer?

Viele Menschen verstehen nicht, dass Antisemitismus der Anfang vom Ende der Demokratie und einer freiheitlichen Gesellschaft ist. Mit den Juden fängt es wieder an, aber danach kommen die anderen Minderheiten dran, dazu gehören auch Schwule, Lesben und Trans*Personen.
Was mich aber noch trauriger macht, ist, dass Teile der LGBTIQ-Community sich sehr stark mit der Palästina-Bewegung zusammentun und sehr klar und stark gegen Israel ohne Diskussion positionieren.

 

Du bist aktiv im Karneval nach jüdischer Tradition.

Ich bin zwischen Köln und Bonn aufgewachsen und seit Kindestagen im Karneval dabei. Nach einem Auslandsaufenthalt kam ich zurück und habe von der Kölschen Stattgarde gehört. So begann mein Weg in den organisierten Karneval und ich war dann einige Zeit sogar im Vorstand. Ich bin da immer noch Mitglied.
Dann erhielt ich einen Anruf vom Präsidenten des Kölner Festkomitees, das ist die höchste Stelle im Kölner Karneval, mit der Bitte, mal die Geschichte des jüdischen Karnevalsvereins zu recherchieren und vielleicht über eine Neugründung nachzudenken. Er hat nicht nur mich angesprochen, sondern auch andere und er hat irgendwann so „genervt“, dass ich mich damit beschäftigt habe. So ein Verein muss aber natürlich über die Zeit wachsen und nach ersten Treffen und einem ruhigen Start sind wir seit Januar 2019 in der Öffentlichkeit und ich bin derzeit der Präsident der Kölschen Kippa Köpp e. V.. Die drei „K“ beziehen sich auf den alten Namen „Kleinen Kölner Klub“.

 

Was sind deine eigenen Ängste?

Die größte Angst, die ich gegenwärtig habe, ist die Angst, dass wir in unserer Gesellschaft zulassen, dass man uns immer mehr Freiheiten nimmt. Damit meine ich nicht die Sicht von Corona-Leugnern und Reichsbürgern, sondern von Menschen, die in diesem Land die Demokratie leben möchten.

 

Du hast dich mit 16 Jahren geoutet - Hast du dich zwei Mal outen müssen?

Ich habe 1995 die erste jüdische Schwulen- und Lesbengruppe „Jachad“ gegründet genau aus diesem Grund. Zu der Zeit war es wirklich so, dass sich die Menschen zu einem Coming Out als homosexuelle oder als jüdische Person entscheiden mussten. Es gab nicht beides. Das wollten wir zusammenbringen, vor allem, weil 80% der in Köln lebenden Juden aus der ehemaligen Sowjetunion stammen. Es war ein Schutzraum für homosexuelle mit jüdischem Glauben, so wie auch die „Kölschen Kippa Köpp“ eine Art Safe Spaces für jüdische Menschen sind. Es kann doch nicht nur die Synagoge geben, wo man sich meist nur aus religiösen Gründen trifft …

 

Du warst der Liebe wegen zwei Jahre in Kopenhagen …

Das ist schon zwanzig Jahre her und ich habe sogar dänisch gelernt. Was man nicht alles aus Liebe tut ;-). Wir sind dann aber wieder nach Deutschland gezogen.

 

Wie viele Sprachen sprichst du?

Ich bin nicht sehr sprachbegabt, meist schlage ich mich mit Englisch durch - auch in Israel. Zwar spreche ich Alt-Hebräisch, aber wenn ich nach der Bushaltestelle fragen muss, werde ich diese Wort nicht im Alten Testament finden :-).

 

Du lebst mit einem nicht jüdischen Freund zusammen, spielt Religion bei euch eine Rolle?

Mein Freund war mal Protestant, ist aber völlig areligiös. Das spielt keine Rolle. Er ist interessiert am Judentum, würde aber nie konvertieren. Wir mixen aber die Feste, aus dem Lichterfest Chanukka und Weihnachten machen wir ein „Weihnukka“.

 

Deine Wünsche für 2024?    

Es klingt wahnsinnig abgedroschen: aber FRIEDEN ist ein großer Wunsch. Und dass die Menschen wieder lernen, miteinander zu reden und friedlich zu streiten.

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