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Coming Home for Christmas
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Coming Home for Christmas Alle Jahre wieder ab nach Hause - für manche Jungs beginnt die Tradition bereits auf der Autobahn

ms - 24.12.2024 - 10:00 Uhr

Chris Rea hat es bereits vor einigen Jahrzehnten besungen, viel später leider auch die Kelly Family: Coming Home for Christmas. Und es begab sich in jenen Tagen, da die Homosexuellen erneut ihre Koffer packen und sich aufmachen, ein jeglicher in seine Stadt, allerdings nicht, um sich zählen zu lassen wie einst im Lukas-Evangelium, sondern, um sich mästen zu lassen – von der eigenen Familie. Und sich hinterfragen zu lassen, wie es einem denn so geht im Leben, was der Beruf denn so mache, wo die große Liebe denn bleibe und ob es nicht doch einmal Zeit für Enkelkinder wäre? 

Und während die Hirten dem Stern folgten, folgen die Schwulen der modernen Dreiheiligkeit, dem Tom-Tom, dem Routenplaner und der aktiven Stauumfahrung – selig die Bitten dabei gen Himmel gerichtet, nicht in ein Funkloch zu kommen. Viele tausend schwule Männer machen sich in diesen Tagen kurz vor Weihnachten einmal mehr auf den Weg zum heimatlichen Festbraten im Kreis der Familie – und aus einem heißen, sexpositiven Großstadt-Schwulen wird binnen Sekunden der brave Musterknabe zu Hause. Last oder Lust? SCHWULISSIMO fragte nach bei Christian, Michael, Samuel und Dennis, die sich jedes Jahr von Hamburg aus am Heiligen Abend bis nach Bayern durchschlagen. 

Hallo Jungs, erzählt einmal, wie läuft das jedes Jahr bei euch ab?

Bei uns ist das inzwischen tatsächlich Tradition und wir versuchen jedes Jahr alles zu tun, damit wir es immer wieder schaffen – angefangen hat alles mit mir, Christian. Ich bin mit Mitte 20 nach Hamburg gezogen, die große weite Welt, schwule Weltmetropole, das ganze Programm. Mein bester schwuler Freund, Michael, zog zur gleichen Zeit nach Berlin. Wir beide kommen aus einem verschlafenen kleinen Nest im Chiemgau. Und so war schnell klar, an Weihnachten müssen wir zurück zur Familie, die ersten Jahre noch im kleinen uralten VW Golf von Michael. Alles klapperte und krachte, aber wir schafften es irgendwie immer, auch mehrfach im tiefsten Schneegestöber. Mit den Jahren kamen dann Sam und Dennis dazu, auch sehr gute Freunde von uns. Der eine lebt in Heidelberg, der andere in Frankfurt. 

Da fahrt ihr ja jedes Jahr die ganz große Runde, wenn ihr nacheinander alle einsammelt. Geht das nicht gerade an Weihnachten so richtig auf die Nerven?

Nein, gar nicht. Wir fahren sehr spät, also meistens erst wirklich am 24. Dezember. Da sind die Autobahnen fast alle leer und wir düsen da gemütlich einmal quer durch Deutschland. 

Was ist für euch so besonders an der Fahrt?

Wenn ich ehrlich bin, ist es für uns inzwischen mindestens genauso wichtig wie Weihnachten selbst. Wir kennen das doch alle, man plant ein ganzes Jahr, man sollte sich doch auch viel öfter sehen und all das und immer wieder kommt was dazwischen oder nicht alle haben Zeit oder einer wird krank. Weihnachten ist so ein Fixpunkt, wir vier im Auto, dazu meistens Lebkuchen, Tee, gerne ein Stopp irgendwo bei McDonalds, viel kitschige Weihnachtsmusik inklusive „Last Christmas“, was lautstark mitgegrölt wird, und mittendrin haben wir Zeit, uns einmal in Ruhe alles zu erzählen, was wirklich so das Jahr über in unserem Leben passiert ist. In wen waren wir verknallt, wer hat uns verlassen, was geht gar nicht mehr in der Szene, wer steht auf wen – das volle Programm. Das schweißt uns jedes Jahr extrem zusammen. 

Also im Grunde so ein schwules Kaffeekränzchen auf vier Rädern?

Ja, und in aller Ruhe. Kein Stress. Keine Ablenkung. Keiner hat noch Termine oder muss noch schnell dauernd online gehen – was sowieso gar nicht möglich ist, je näher man an Bayern rankommt.  

Nervt es euch nicht, dann zu euren Familien zurückzukehren? Und was ist, wenn einer von euch in einer festen Beziehung steckt?

Das ist derzeit bei zwei von uns der Fall, das macht unseren Partnern aber nichts, denn die wissen: Diese Fahrt nach Bayern ist Friendzone. Meistens ist man direkt an Weihnachten sowieso getrennt, weil jeder ja irgendwie auch bei seiner Familie sein will. In meinem Fall kommt mein Freund dann am 26. Dezember mit dem Flugzeug nach und wir holen ihn von Salzburg ab. Also alles gut. Und ehrlich gesagt, wir brauchen das auch, so ein Einstimmen auf die Weihnachtsfeiertage. Wir mögen unsere Familien alle, aber anstrengend ist es natürlich trotzdem. Meine Eltern sind wie dicke Hummeln, die dauernd um einen herumschwirren. Passt man nicht auf, hat man schon das nächste Plätzchen im Mund. Lieb, aber anstrengend eben.  

Eine wirklich schöne Tradition von euch vier. Geht´s dann gemeinsam auch zurück? 

Nein, meistens nicht, außer es ergibt sich – das liegt auch daran, weil wir alle zu unterschiedlichen Tagen wieder zurückreisen wollen oder müssen, wenn der Job ruft. Dann gibt´s wie gesagt noch unsere Partner und wir reisen dann zu deren Familien weiter oder treffen uns anderweitig gleich für Silvester wieder ganz woanders. Nach Weihnachten zerstreut sich wieder alles. Umso heiliger ist uns dieser eine Tag im Auto, lachend, singend und im besten Fall fällt Schnee. 

Danke ihr vier – und eine schöne Weihnachtsfahrt euch dieses Jahr! 

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