"Der Fall Malte C." Täter erhält 5 Jahre Haft und Unterbringung in Erziehungsanstalt
Fünf Jahre Haft und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – so lautete das Urteil Ende März gegen den inzwischen 21jährigen Tschetschenen Nuradi A., der im August 2022 den 25-jährigen Trans-Mann Malte C. mit mehreren Faustschlägen lebensgefährlich verletzte, durch dieser zu Boden ging und mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug. Sechs Tage später verstarb der junge Mann nach Angaben des Gerichtsmediziners in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas und einer anschließenden Sepsis an den schweren Verletzungen im Krankenhaus. Ein „mittelbarer Zusammenhang“ von Tod des Opfers und Angriff des Täters und den dadurch entstandenen Verletzungen, war gegeben.
Malte C. wollte am Rande des CSDs 2022 in Münster einen Streit schlichten, nachdem Nuradi A. mehrere lesbische Frauen beleidigt und beschimpft hatte. Als Nuradi A. erkannte, dass es sich bei dem oberkörperfreien Malte um einen Trans-Menschen handelte, schlug der Tschetschene nach einem kurzen Wortgefecht zu. Bereits beim ersten Prozesstag gab Nuradi A. die Tat grundsätzlich zu, weswegen sich der Prozess vor dem Landgericht Münster um einen Monat verkürzt hatte. Die Staatsanwaltschaft war davon überzeugt, dass das vollumfängliche Geständnis „von echter Reue getragen“ gewesen ist. Eine Sachverständige hatte vor den Schlussplädoyers seitens der Rechtsanwälte und der Staatsanwaltschaft empfohlen, dass der Angeklagte nach Jugendstrafrecht verurteilt werden sollte – dem schlossen sich die Staatsanwaltschaft sowie schließlich auch die Richter in ihrer Urteilsbegründung an. Die Entscheidung war maßgeblich für die Höhe des Strafmaßes, demnach Nuradi A. ansonsten eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren erwartet hätte.
Eine wesentliche Frage im Prozess war jene, ob Nuradi A. aufgrund einer unterdrückten Homosexualität heraus gehandelt habe – neben dem eigentlichen Prozess bezüglich der Körperverletzung mit Todesfolge hat Nuradi A. auch gegen eine mögliche Abschiebung in seine Heimat Tschetschenien geklagt, eine Republik der Russischen Föderation. Bis heute werden in Tschetschenien schwule Männer verfolgt, gefoltert und ermordet. Seit 2017 mehrten sich immer wieder die Meldungen, dass die Regierung „Säuberungsaktionen“ im Land veranstaltete; immer wieder verschwanden sowohl schwule Aktivisten wie aber auch anderweitig homosexuelle Menschen spurlos. Nuradi A. hatte erklärt, er sei von der Homophobie seiner Familie und seiner Heimat geprägt worden. Bereits mit 14 Jahren habe er für sich festgestellt, homosexuell zu sein und habe seine Sexualität anschließend stets vor allen verstecken müssen. Er selbst habe zudem auch versucht, seine Gefühle zu verdrängen, dieser innere Kampf habe nach Angaben der hinzugezogenen Psychologin auch dazu beigetragen, dass Nuradi A. zumeist leicht reizbar war und offenbar auch immer wieder zu Alkohol und Cannabis gegriffen habe. Nuradi A. habe so auch deswegen brutal zugeschlagen, um nach außen hin zu demonstrieren, dass er eben nicht schwul sei.
So hatte er der Expertin zudem erklärt, dass die Tat in Wirklichkeit „nicht einmal ansatzweise Ausdruck einer feindseligen Haltung gegenüber Homosexuellen“ gewesen sei, da er selbst schwul ist. Einen gesicherten Beleg für seine Homosexualität fand sich während des Prozesses bis zuletzt allerdings nicht; auf dem Handy des Angeklagten waren nur heterosexuelle Pornoseiten gefunden worden und auch seine Freunde hatten laut Eigenaussage nichts von der vermeintlichen Homosexualität ihres Freundes gewusst. Die Staatsanwaltschaft hatte sich indes der Einschätzung der Psychologin vollumfänglich angeschlossen und erklärte im Plädoyer überdies, dass sie bei Nuradi A. keine homophobe, trans- oder queer-feindliche Grundeinstellung erkennen hatte können. Ferner ging die Anklage klar davon aus, dass der junge Mann tatsächlich schwul ist.
Der Fall Malte ist nur die Spitze des
Eisberges, tagtäglich kommt es in
Deutschland zu Angriffen.
Deutlich wurde während des Prozesses dabei auch, dass Nuradi A. viele Probleme in den vergangenen Jahren durchlebt hatte. Von 2015 bis 2018 war der junge Tschetschene auch Mitglied in einem Boxclub und konnte den Großteil der Kämpfe sogar gewinnen, sodass er schlussendlich Deutscher Junioren-Meister im Boxen geworden war. Der Leiter des Boxclubs beschrieb ihn als sportlich vorbildlich und berichtete zudem allerdings auch von seiner großen Angst, bald nach Russland abgeschoben zu werden. Da Nuradi A. keinen deutschen Pass hat, durfte er schlussendlich auch nicht um den Europameistertitel kämpfen, das habe ihn nach Aussage des Boxclubchefs zusätzlich stark demotiviert, weswegen er schlussendlich gar nicht mehr zum Unterricht gekommen war. Allerdings versicherte der Fachmann auch, dass Nuradi A. sehr wohl bewusst gewesen sein musste, was ein Faustschlag ohne Boxhandschuh anrichten kann, immer wieder hatten sie darüber gesprochen – diese Einschätzung teilte auch die Staatsanwaltschaft; eine alkoholbedingte Enthemmung dürfe nicht als mildernde Umstände herangezogen werden, da Nuradi A. wusste, dass er unter Alkohol- und Drogenkonsum zu Gewalt neige.
Der mediale Blick auf Nuradi A. war vom ersten Prozesstag an ein äußert gespaltener, ebenso differenziert dürften viele jetzt auf das Urteil blicken. Für die einen mag die Strafe noch zu milde sein, für die anderen zu hart. Die Presse war zum Schutz von Nuradi A. nur kurzzeitig zugelassen gewesen, gerade auch dann, wenn es um heikle Themen wie die Frage nach der unterdrückten Homosexualität des jungen Mannes gegangen war. Trotzdem fielen die Bewertungen sehr unterschiedlich aus. Einerseits war der junge Tschetschene als nervös und schüchtern beschrieben worden, andererseits wurde er direkt als „CSD-Killer“ tituliert, der sich „feige“ hinter einer Mappe versteckt und anschließend „überheblich“ seine Freunde angelächelt habe. Die Wahrhaft und damit auch die Einschätzung des Urteils muss wohl jeder für sich selbst festlegen.
Auch international erregte der grausame Fall viel Aufmerksamkeit und führte erneut zu den Debatten um Gewalt und Hass gegenüber LGBTI*-Menschen. Das Anti-Gewaltprojekt Maneo forderte in Zusammenarbeit mit der LGBTI*-Aktivistengruppe All-Out, dass Malte C. posthum das Bundesverdienstkreuz verliehen werden sollte: „Zivilcourage ist selten in Deutschland. Zu oft schauen Menschen weg, wenn LSBTIQ+ oder Personen aufgrund anderer gruppenspezifischer Merkmale wie Herkunft oder Religion beleidigt werden oder ihnen Gewalt angetan wird. Malte C. zahlte für seinen zivilcouragierten Einsatz mit seinem Leben. Wir wollen ihn und seinen Mut nie vergessen, denn sein Handeln ist Vorbild für uns alle. Die posthume Ehrung wäre ein wichtiges Zeichen für Zivilcourage und gegen die Diskriminierung und gegen Anfeindungen von LSBTIQ+ in Deutschland. Mit Maltes Ehrung sollen Menschen ermutigt werden, gegen Hass und Gewalt gegen LSBTIQ+, insgesamt auch gegen vorurteilsmotivieren Hass einzuschreiten.“ In der Regel wird das Bundesverdienstkreuz allerdings nicht posthum verlieren, zudem müssen die geehrten Personen mindestens 40 Jahre alt sein.
Die Idee bleibt trotzdem richtig, denn eines ist klar: Der Fall Malte C. ist nur die Spitze des Eisberges, tagtäglich kommt es in Deutschland zu Angriffen auf Homosexuelle und queere Menschen. In diesem Monat werden seitens des Bundesinnenministeriums wohl wieder die neusten Zahlen rund um Hasskriminalität in Deutschland, dieses Mal für das Jahr 2022, vorgestellt; Experten vermuten, dass die Fälle von Hasskriminalität einmal mehr angestiegen sind. Im Jahr 2021 war bereits ein Anstieg von rund 50 Prozent der Fallzahlen binnen eines Jahres auf offiziell insgesamt 1.051 hassmotivierte Straftaten verzeichnet worden. Das sind im Schnitt drei Übergriffe pro Tag. Dabei sind sich von der Polizei über zahlreiche LGBTI*-Beratungsvereine bis hin zum Lesben- und Schwulenverband Deutschland alle einig darüber, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher sein dürfte. Seriöse Schätzungen beispielsweise von der Europäischen Grundrechteagentur gehen von tatsächlichen Zahlen aus, die um rund 90 Prozent höher liegen dürften – für Deutschland wären das rund 10.000 Fälle von Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen binnen eines Jahres. Doch warum ist das so?
Wir werden der Problematik
nicht begegnen können, indem
wir wegsehen, politisch wie
gesellschaftlich!
Vereine wie der Lesben- und Schwulenverband warnen davor, starr nur auf die reinen Zahlen zu blicken, denn vielleicht steckt in den Ergebnissen auch eine ganz andere Aussage: Trauen sich einfach nur immer mehr homosexuelle und queere Menschen, Anzeige zu erstatten und treten damit sozusagen aus dem Dunkelfeld hinaus in die statistische Öffentlichkeit? Mit hundertprozentiger Sicherheit lässt sich also gar nicht sagen, wie es wirklich genau in puncto Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen in der Bundesrepublik aussieht. Doch die Anzeichen mehren sich, dass steigende Zahlen nicht nur allein auf mehr Anzeigenbereitschaft seitens der Opfer zurückzuführen sind. Vereine wie die bereits erwähnte Anti-Gewaltkampagne Maneo in Berlin oder auch die landesweite Jugendberatungsstelle anyway mit Sitz in Köln verzeichneten zuletzt deutlich mehr Anfragen – ein Plus um mehr als 30 Prozent. Auch die Berliner Initiative für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (IGSV) hielt einen Anstieg von Hass und Gewalt vor allem gegenüber Homosexuellen um rund 21 Prozent binnen eines Jahres fest. Studien sind das eine, die Stimmung im Land ist das andere – und auch diese deutet eindeutig daraufhin, dass die Gewalt und der Hass erneut auf dem Vormarsch sind. So war das Thema Sicherheit gerade in Deutschlands Regenbogenhauptstadt Berlin bei der Wiederholungswahl im Februar dieses Jahres das größte und wichtigste Thema – auch und gerade in der Community. Die Mehrheit der Kieze im schwul-lesbischen Viertel Tempelhof-Schöneberg wählten zur großen Überraschung dieses Mal CDU. Kandidat für das Amt des Bezirksbürgermeisters ist der schwule CDUler Matthias Steuckhardt, der gegenüber SCHWULISSIMO bereits klar skizzierte, was sich im schwul-lesbischen Kiez verbessern müsste: „Eine mobile Polizeiwache an einem Standort in der Nähe vom Nollendorfplatz, um dauerhaft Polizei vor Ort zu haben und dadurch auch das subjektive Sicherheitsgefühl zu verbessern. Der Nollendorfplatz selbst muss endlich zu einem Platz mit Aufenthaltsqualität umgebaut werden. Die Beleuchtung muss in dunklen, unübersichtlichen Ecken verbessert werden.“ Ob Steuckhardt wirklich machen darf, was er will, ist derzeit im Kiez Gegenstand heftiger Debatten rund um mögliche Stimmenvergaben für oder gegen den CDU-Mann.
Allein die Tatsache, dass die CDU – einstmals das „Feindbild“ der schwul-lesbischen Mehrheit – jetzt viele Stimmen in der Community gewinnen konnte, zeugt allerdings davon, dass der Wunsch nach mehr Sicherheit enorm groß ist, denn genau hier sehen viele die Stärke der Partei: Ordnung und Sicherheit. Dieses „Gefühl“ bestätigen nicht nur Szenewirte vor Ort sowie in anderen Großstädten der Bundesrepublik, sondern zudem tragen auch die täglich neuen Fälle von Gewalttaten gegenüber LGBTI*-Menschen zu der Einschätzung wesentlich bei. Stefanie Lünsmann-Schmidt, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, erklärte zu den Fallzahlen: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen in Gewalt ausleben.“ Gewalt gegen Schwule? Alltag eben.
Wir sollten uns also vielleicht doch eingestehen, dass die Gewalt gegenüber Homosexuellen ansteigt – gerade schwule Männer führen auch mit Abstand in praktisch allen Statistiken die Opfergruppen an. Das subjektive Gefühl vieler schwuler Männer, besser nicht mehr in der Öffentlichkeit Händchen zu halten, sich zu küssen oder allein nur durch eine liebevolle Bewegung sich als Paar zu erkennen zu geben, steigt. In Städten von Berlin über Hamburg bis nach Köln und München gibt es inzwischen „No-Go-Areas“, in denen schwule Männer abends besser nicht mehr hingehen sollten. Darüber zu sprechen, ist bis heute vielerorts auch politisch gerne noch ein Tabu-Thema, denn schnell setzt man sich dem Vorurteil aus, rassistisch zu sein, weil jene Bezirke zumeist auch einen hohen Migrationsanteil in der Bevölkerung haben. Dabei gibt es auch positive Beispiele, die zeigen, dass auch Homosexualität, Menschenrechte und auch ein nicht deutscher, kultureller Hintergrund gut miteinander funktionieren können, allerdings wohl nur dann, wenn alle Beteiligten grundsätzliche Werte des Miteinanders anerkennen und wenn entstehende Probleme offen angesprochen werden können. Derzeit scheint man vielerorts aber genau das Gegenteil anzustreben, über allem scheint oftmals ein unausgesprochenes Sprechverbot zu schweben. Spricht man mit schwulen Freunden, hört man immer öfter den Satz, man dürfe dieses oder jenes nicht mehr laut sagen oder benennen, zu groß sei die Gefahr, in die politisch rechte Ecke geschoben zu werden – selbst wenn man sich viele Jahre lang in einer linken oder linksliberalen Partei engagiert hat. Dieses Verschleiern von Problemen, das Verschweigen von Bezirken mit einem hohen Gewaltanteil gegenüber Homosexuellen und das bewusste wie unbewusste Wegsehen von kulturellen, religiösen oder zwischenmenschlichen Spannungen in der Gesellschaft vergrößern die Gefahr von Gewalt dabei für alle Minderheiten nur immer mehr.
In vielen Städten gibt es „No-Go-Areas“,
in denen queere Menschen abends
nicht mehr hingehen.
Hat es wirklich jemals etwas gebracht, einfach nicht mehr hinzusehen? Hat sich dadurch jemals ein Problem in Luft aufgelöst, indem man ihm einen anderen Namen verpasst hat? Die Beratungsstelle Maneo in Berlin erlebt dies ganz aktuell, nach 25 Jahren guter Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei darf die Behörde inzwischen keine anonymisierten Daten mehr zu Hassgewalt gegenüber LGBTI*-Menschen weitergeben. Die offizielle Begründung sind rechtliche Bedenken, wie der Datenschutzbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft erklärte. Maneo kritisierte diese Einschränkung ausdrücklich, blieb damit aber bisher erfolglos. Im August 2022 beschloss der rot-grün-rote Senat in Berlin zudem, dass Polizisten bei Mord, Totschlag, Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder Rohheitsdelikte bei Tatverdächtigen unter 21 Jahren im Polizeicomputer nicht mehr den Migrationshintergrund erfassen dürfen. Die Berliner Polizei hatte ihr bisheriges Vorhaben damit verteidigt, sie wolle damit herausarbeiten, ob die Abstammung eines von vielen Aspekten sein könnte, warum Jugendliche leichter kriminell werden. Es ginge ferner darum, „soziale Fehlentwicklungen wie Armut, ungleiche Bildungschancen oder Diskriminierung zu erkennen und diesen mit präventiven Maßnahmen gegenzusteuern.“ Kurz gesagt, man muss das Problem genau erkennen, bevor man etwas verbessern kann. Der Berliner Senat beschloss trotzdem, die Daten dürften nicht weiter erhoben und gespeichert werden. Gegenüber der Berliner Zeitung hatte Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) daraufhin erklärt: „Eine derart falsch verstandene Toleranz ist Wind auf die Mühlen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern. Ein Migrationshintergrund sagt nicht generell etwas darüber aus, ob eine Person Straftaten begeht. Aber wir reden über Menschen, deren Familien mitunter einen Bezug zu Ländern haben, in denen patriarchalische Strukturen herrschen und in denen ein nostalgisches Frauenbild vorliegt, das dem des demokratischen Rechtsstaates widerspricht.“ Man kann und sollte es nicht pauschalisieren, doch natürlich erwächst Homophobie und Hass auf Homosexuelle auch dort, wo stark geprägte religiöse und patriarchalische Strukturen vorherrschen – ähnlich negativ sozialisiert worden ist wohl auch der jetzt verurteilte Tschetschene Nuradi. A, bevor er zuschlug, um damit zu „beweisen“, dass er nicht schwul sei.Ein anderes Thema bleiben die Angriffe von rechter und rechtsradikaler Seite – sie machen in der Statistik bis heute rund 30 Prozent aller offiziellen Fälle aus. Laut Lünsmann-Schmidt vom LSVD spielt hier oftmals der Hass auf eine ganze Menschengruppe mit hinein: „Hassmotivierte Straftaten zielen nicht nur auf die Menschen als Individuen, sondern zusätzlich auch darauf ab, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern. Es kann auch heute noch gefährlich sein, im öffentlichen Raum als schwul, lesbisch, bisexuell oder trans erkannt oder dafür gehalten zu werden. Allein der Anblick einer Drag-Queen, einer trans-Person oder eines gleichgeschlechtlichen Paares kann Gewalttäter motivieren, brutal zuzuschlagen. Aus solchen Taten spricht Hass. LGBTI* gelten ihnen als minderwertig und vogelfrei.“
Je sichtbarer eine Minderheit ist und
je weniger gleichzeitig über diese
Minderheit aufgeklärt wurde, desto
eher wird eine solche Minderheit auch
Opfer von Gewalt.
Die Politik will grundsätzlich natürlich helfen. Das Thema fand Einzug bei der Innenministerkonferenz im vergangenen Jahr und auch der kürzlich vorgestellte Aktionsplan „Queer leben“ will sich gegen Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen starkmachen. Seit Ende März beraten verschiedene Fachgremien unter Einbeziehung von LGBTI*-Verbänden über mögliche Schritte – Ideen zur Verbesserung sollen allerdings erst 2024 vorgestellt werden. Es tut sich also wahrscheinlich etwas, doch insgesamt gesehen nach wie vor wohl viel zu wenig und viel zu langsam. Derweil entsteht immer mehr in der Community das Bedürfnis, sich wieder verstecken zu müssen. Stefanie Lünsmann-Schmidt gegenüber SCHWULISSIMO: „Je sichtbarer eine Minderheit ist und je weniger gleichzeitig über diese Minderheit aufgeklärt wurde, desto eher wird eine solche Minderheit auch Opfer von Gewalt.“ Also werden wir wieder „unsichtbar“, wie wir das vor einigen Jahrzehnten bereits waren? Das kann selbstverständlich nicht der richtige Weg sein, gleichwohl ist es gut verständlich, wenn immer mehr Schwule, Lesben oder queere Menschen trotzdem dazu neigen. Am Ende steht die Frage im Raum, was mehr schmerzt: Eine gebrochene Nase oder ein verletztes Selbstwertgefühl?
Klar ist, wir werden der Problematik nicht begegnen können, indem wir wegsehen, politisch wie gesellschaftlich. Es ist leicht, der Politik allein die Schuld dafür zu geben, doch am Ende bereiten viele kleine Schritte den Weg hin zu mehr Hass und Anfeindung gegenüber LGBTI*-Menschen. Bis heute ist der Begriff der „schwulen Sau“ an vielen unserer Schulen Alltag. Lehrer, Eltern und andere Mitschüler sehen oftmals bis heute weg oder überhören solche Beschimpfungen geflissentlich. Hier bedürfte es eines strikten Eintretens für homosexuelle Menschen. Auch das Thema Sichtbarkeit kann sich positiv auswirken – je mehr Menschen erkennen, dass in ihrem direkten Umfeld bereits Homosexuelle und queere Menschen existieren, desto schwerer fällt es, das nächste Mal über einen Schwulenwitz mitzulachen. Es sind fürwahr viele kleine Schritte, deswegen sind sie allerdings nicht weniger wichtig. Wollen wir solche Fälle wie die von Malte C. in Zukunft verhindern, müssen wir genauer hinsehen, frei von Scheuklappen, und wir müssen jenen die coolen Sonnenbrillen vom Gesicht ziehen, die uns gar nicht erst sehen wollen.