Öffnet die Herzen Die neue Stiftung von Lilo Wanders
Lilo Wanders – was lässt sich über diesen wunderbaren Menschen nicht alles sagen, dabei hat sie sich selbst bereits mit ihrem, zum Kult gewordenen Leitsatz “Öffnet die Herzen – herzt die Öffnungen“ fest und für immer in unsere Herzen katapultiert. Und wie sehr haben wir doch ihren Wahlspruch gerade als junge Schwule befolgt, öffneten die Öffnungen und herzten die Herzen. Oder wie war das noch gleich? Egal! Sie ist die einzige und die einzig wahre Lilo Wanders und lässt bis heute mit einem einzigen charmanten Killerlächeln all die Möchtegern-Queens in der LGBTI*-Community sehr schnell sehr blass aussehen. Der Wanders, wie Freunde sie auch nennen, war dabei nicht nur ein lockerer, freudig offener Umgang mit Sexualität wichtig, sondern immer auch die Rechte von Schwulen, Lesben und queeren Menschen. So ist es ein logischer Schritt, dass die Wanders nun eine Stiftungsinitiative namens COME OUT! ins Leben gerufen hat, um queere Jugendliche zu unterstützen – und Support können vor allem LGBTI*-Jugendliche und junge Erwachsene nach gefühlt unendlich vielen Jahren Pandemie und Vereinsamung dringend und sehr gut gebrauchen. Was es konkret mit der neuen Stiftung auf sich hat, hat uns Lilo ganz offen und mit viel Herz erzählt.
Lilo, lass uns bitte über dein neues Jugendprojekt COME OUT! reden – wie bist du dazu gekommen?
In den vergangenen Monaten habe ich – vor allem im Ruhrgebiet – immer mal wieder Projekte mit queeren Jugendzentren gemacht. Zuerst war ich einfach nur beeindruckt von dem Engagement der jungen Leute und glücklich, dass es solche Angebote für queere Jugendliche heutzutage gibt. An sowas war ja in meiner Jugendzeit nicht zu denken. Je mehr ich aber gerade auch mit den meist selbst noch jugendlichen Menschen in den Vorständen in Kontakt kam, erlebte ich deren Sorgen. Die wichtigen Angebote sind zum größten Teil völlig unterfinanziert und es fehlt eine zuverlässige Basis an Spendengeldern für die laufenden Kosten. Diese Initiativen haben eben keine großen Organisationen im Nacken, sie bekommen keine Sponsoringverträge und in den meisten Fällen können die jungen Menschen auch nicht einfach so ihre Eltern fragen. Hier möchte ich helfen und gerade auch an den vielen Orten, wo es solche Angebote noch nicht gibt, die Anfänge stärken.
Du sagst, dass du nicht nachvollziehen kannst, warum es vor allem auch jungen Menschen heute so schwer gemacht wird, ihre geschlechtliche Identität oder ihre sexuelle Orientierung anzunehmen. Welche Gründe dafür hast du für dich festgemacht?
Die Probleme sind ja sehr unterschiedlich. Es kommt zum Beispiel sehr drauf an, in welcher Straße jemand lebt, welche Schule besucht wird oder welcher Beruf gewählt wurde. Ich glaube, zur Ablehnung anderer Menschengruppen führen oft eigene Unsicherheiten oder auch mangelnde Bildung. Alles, was irgendwie auffällt, weil es nicht der Standard ist, wird als Störung oder Bedrohung wahrgenommen. Dabei ist es doch gerade das Besondere jedes einzelnen Menschen, was unser Leben so spannend macht.
Wenn wir mit Beratungseinrichtungen wie beispielsweise dem Coming Out Day-Verein sprechen, erleben wir immer wieder, dass Jugendliche vor einem Coming Out auch heute noch vor sehr ähnlichen Fragen und Ängsten wie vor zwanzig Jahren stehen: Wie reagieren die Eltern? Was sagen die Freunde? Warum sind wir deiner Meinung nach hier nicht weiter und wie könnten wir das endlich besser in den Griff bekommen?
Wenn wir das große Ganze betrachten, sind wir ja in Sachen Akzeptanz ein ganzes Stück weiter. Aber ein Coming-Out ist ja immer sehr individuell. Und dass es heutzutage seltener zu ganz furchtbaren Reaktionen von Eltern kommt und immer häufiger Freund:innen gut reagieren, hilft der einzelnen Person erstmal wenig. Denn wie das eigene Umfeld reagiert, weiß man ja immer erst hinterher. Daher müssen wir weiter an der gesellschaftlichen Akzeptanz arbeiten und auch deutlich machen, wie wichtig es ist, jungen Menschen auch schon vor einem möglichen Coming-Out zu vermitteln, dass sie auf jeden Fall unterstützt würden. Wir brauchen einen viel selbstverständlicheren Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in allen Teilen der Bevölkerung.
Ich kann mich noch gut an deine ersten Sendungen im Fernsehen erinnern – und auch daran, wie “verrucht“ und spannend das für mich und andere junge schwule Freunde von mir war. Da sprach endlich jemand über Themen rund um Sex und Liebe. Heute kann jeder mit zwei Klicks im Internet alles erfahren – entwicklungstechnisch wirklich weiter, scheint mir, sind wir in vielen Dingen aber bis heute nicht. Warum ist das so?
Ein Blick zurück in die Familiengeschichte erklärt oft , mit welcher Weltsicht wir aufgewachsen sind. Das hat nicht unbedingt mit absichtlich repressivem Verhalten unserer Eltern zu tun, sondern eher mit Unwissenheit. Sich von alten Mustern zu verabschieden und sie zu überwinden ist extrem wichtig und nicht leicht. In der heutigen digitalen Zeit stehen viele Informationen zur Verfügung, aber es bedeutet eben auch Mühe, sich zu informieren. Und nicht alles, was man frequentieren kann, entspricht der Wahrheit. Deshalb bleibt das vertrauliche Gespräch, der gesprochene Austausch über eigenes Erleben und Fühlen mit „richtigen“ Menschen so wichtig.
Ein wesentlicher Aspekt, der heute wie damals jungen queeren Menschen hilft, ist die Erkenntnis, dass sie nicht allein sind sowie zudem der Kontakt mit Gleichaltrigen aus der Community – wie möchtest du und das Team hinter COME OUT! diese Möglichkeiten weiter verbessern?
Für uns ist klar, dass queere Jugendprojekte der Schlüssel sind. Junge Leute brauchen diese Räume, um in guter und lockerer Atmosphäre andere junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* oder auch nicht-binäre Menschen kennenlernen zu können. Freundschaften bilden sich dann fast von selbst. Daher möchten wir diese Initiativen junger Menschen an ihrer Basis stärken. Damit sie spannende Projekte und Veranstaltungen organisieren können, muss zum Beispiel erstmal die Miete bezahlt sein. Einige Initiativen grad im ländlichen Raum brauchen hier zunächst eine Starthilfe. Andere, die vielleicht schon öffentlich gefördert werden, müssen jährlich größere Summen als Eigenanteil aufbringen, um die öffentliche Förderung überhaupt nutzen zu können. Hier werden wir unterstützen.
Ein wenig erinnert mich der Name COME OUT! auch an Harvey Milk, den ersten offen schwulen US-Stadtrat, der damals seine Freunde aufforderte, sich allesamt zu outen, damit die Gesellschaft sieht, queere Menschen sind überall und sie sind nicht gefährlich. Brauchen wir heute noch immer mehr Outings, mehr Sichtbarkeit für LGBTI*-Menschen?
Ein Coming-Out ist immer eine sehr persönliche Sache. Jede und jeder muss dies für sich ganz allein entscheiden, ob, wann und in welcher Form es passend ist. Auch wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass für die meisten Menschen ein Coming-Out trotz aller Hürden und Verluste eher eine wichtige Erleichterung und ein Wendepunkt im Leben war, können wir dafür nicht werben. Aber: Jedes Coming-Out hat eben auch eine Signalwirkung. Je mehr Vielfalt sichtbar wird, desto mehr Menschen werden damit konfrontiert. Es wird „normaler“, führt zu der eigentlich angebrachten Selbstverständlichkeit und macht mutiger.
Wir brauchen einen viel selbstverständlicheren Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in allen Teilen der Bevölkerung.
Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung will hier auch in der Breite helfen, bis jetzt gibt es allerdings nur erste Stichpunkte, sehr konkret ist das Vorhaben noch nicht. Was erwartest du oder wünscht du dir von der Politik mit Blick auf die LGBTI*-Jugend?
Die Politik oder besser der Staat und damit wir alle sind gefordert, queere Jugendprojekte mehr zu unterstützen. Für die Finanzierung von Jugendarbeit sind dabei grundsätzlich vor allem die Kommunen zuständig und dies erklärt auch den Flickenteppich. Neben eigenen Förderprogrammen könnte der Bund die Kommunen hier deutlicher verpflichten, spezielle Jugendangebote für LSBT*I* zu installieren.
Dein neues Projekt kommt sicher auch deswegen zur richtigen Zeit, weil die Zahl der jungen queeren Menschen mit Depressionen und/oder sogar Suizid-Gedanken in der Corona-Pandemie weiter dramatisch angestiegen sind. Was sind für dich die wichtigsten Aspekte, die man jungen Menschen in Not schnellstmöglich näherbringen muss, um ihnen wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben?
Die psychischen Auswirkungen resultieren ja zu einem sehr großen Teil aus dem Erleben von Einsamkeit und Zukunftsangst. Beides wurde durch die Corona-Pandemie zusätzlich genährt. Die stützenden Gemeinschaften und positiven Beispiele sind hierdurch noch wichtiger geworden. Die teilweise überlebensnotwendige Bedeutung dieser Angebote wurde deutlicher, als sie plötzlich auch in Metropolen nicht mehr so einfach nutzbar waren wie sonst. Es ist vor allem wichtig, hier nachhaltig und flächendeckend Strukturen zu ermöglichen, so dass sie für alle queeren Jugendlichen auch erreichbar sind. Schnellstmöglich müssen wir queere Jugendliche ermutigen, Gemeinschaften zu bilden.
Du bist auch, aber nicht nur, durch das neue Projekt viel in Kontakt mit jungen LGBTI*-Menschen. Was beeindruckt dich an der jungen Generation am meisten, was findest du besonders spannend?
Ich finde es aufregend, dass die Möglichkeit unterschiedlichster Geschlechteridentitäten heute viel bekannter ist als früher und klar wird, dass es auf der Skala des Seins so viele Spielarten gibt. Das wusste man früher auch schon, aber es war eben nicht so sichtbar.
Du forderst zu Spenden auf und sagst, dass es immer gut und wichtig ist, in junge Menschen zu investieren, es sei an der Zeit, auch über das eigene Vermächtnis nachzudenken. Lilo, das klingt nach einer gewissen Alterswehmut, wie geht es dir selbst heute? Und bitte versprich uns, dass wir noch ganz viel von dir erfahren und erleben dürfen. Wir brauchen eine Welt mit Lilo Wanders!
Das ist ein liebes Kompliment, Danke! Im Grunde beschäftigen mich alle Probleme, mit denen die Welt gerade konfrontiert ist, und ich versuche, trotzdem zuversichtlich zu bleiben. Aber ich denke auch an das Vergehen von Zeit, und dass mit dem Älterwerden die Aufgabe verbunden ist, die Jüngeren zu unterstützen, Erfahrungen weiterzugeben, Geschichtsbewusstsein herzustellen und für Freiräume zu sorgen, ohne penetrant zu sein.
Wir müssen weiter an der gesellschaftlichen Akzeptanz arbeiten und auch deutlich machen, wie wichtig es ist, jungen Menschen auch schon vor einem möglichen Coming-Out zu vermitteln, dass sie auf jeden Fall unterstützt würden.
Dein Leitspruch war schon immer “Öffnet die Herzen – herzt die Öffnungen“. Viele in der Community haben deinen Spruch beherzigt und tun das bis heute. Wenn du auf die damalige Zeit zurückblickst und die Entwicklung von dir aber auch der Community im Blick hast, welche Gedanken kommen dir dann in den Kopf?
Ich denke, dass wir viel geschafft haben und wir trotz etlicher, gesetzlicher Restriktionen und der AIDS-Katastrophe, die den schwulen Männern fast eine ganze Generation genommen hat, auch gute, lustvolle, fröhliche Zeiten hatten. Viele Menschen in der queeren Community haben sich engagiert und den Zusammenhalt aufrechterhalten. Man sollte nie vergessen, wie großartig und stärkend trotz der technischen Möglichkeiten und der sozialen Medien ein Zusammentreffen von lebendigen Menschen ist.
Lilo, wenn du heute nicht unterwegs bist, sondern zu Hause, wie blickst du auf die Welt, wie verbringst du gerne deinen Tag?
Ich führe immer noch quasi zwei Leben: mein privater Alltag ist von außen gesehen eher unspektakulär. Ich sitze viel am Schreibtisch und jongliere zurzeit mit Textfragmenten, Notizen und Erinnerungen, um ein Buch zustande zu bringen. Und dann gibt es die eindeutigere berufliche Seite, Auftrittsvorbereitungen, Reiseplanung, Kontakt mit Veranstaltern und eben das Engagement für COME OUT! Ich gönne mir aber auch Freizeit und lese immer noch sehr viel.