Hormonbehandlungen für Kleinkinder? Neue Richtlinien wollen auch Eunuchen als Geschlecht festschreiben
Mit Irritationen und kritischer Verwunderung reagieren in diesen Tagen immer mehr Ärzte und Verbände auf die neuen Richtlinien, die der Weltverband für Transgender-Gesundheit (WPATH) vor wenigen Tagen präsentierte. Ein Aspekt dabei: Im Feld der verschiedenen Geschlechtsidentitäten sollen künftig auch Eunuchen als eigene, neue Kategorie geführt werden – ähnlich wie bisher männlich, weiblich, divers. Zudem hat der Weltverband in seiner achten Version der Richtlinien (SOC8) die bisherigen Altersempfehlungen für eine Behandlung von Kindern und Jugendlichen aus dem Jahr 2012 komplett gestrichen. Kritiker befürchten, dass dies der erste Schritt dahingehend ist, dass künftig Hormonbehandlungen und Operationen bei noch jüngeren Patienten erlaubt werden könnten. Die Empfehlungen und Richtlinien der WPATH, festgehalten in der Publikation “Standards of Care for the Health of Transgender and Gender Diverse People (SOC)“, ist nicht irgendein Schreiben – die Empfehlungen werden von vielen medizinischen Fachverbänden, Ärzten und Psychologen befolgt und das weltweit, wie die New York Times aufzeigte. Des Weiteren orientieren sich oftmals auch Krankenversicherungen auf der ganzen Welt an den Richtlinien des Weltverbandes.
Im Detail: Der WPATH empfiehlt, Eunuchen als neue Kategorie einzuführen und bezieht sich dabei nicht auf Männer, denen aus medizinischen Gründen die Hoden entfernt worden sind, beispielsweise bei der Diagnose Prostatakrebs. Der Weltverband geht offenbar vielmehr davon aus, dass es Menschen gibt, die sich selbst als “Eunuch“ definieren wollen, also ihre Geschlechtsidentität so festlegen wollen, zum Beispiel, weil sie sich wünschen, dass ihre Hoden nicht funktionsfähig seien. Die NZZ fasst dies so zusammen: „Mann-zu-Eunuch soll eine gültige Transgender-Identität sein. Es geht also um Personen, die das Gefühl haben, dass ihr wahres Selbst am besten durch den Begriff Eunuch ausgedrückt wird.“ Der Transgender-Weltverband erklärt weiter, dass es viele solcher Personen gäbe, die bisher eine Stigmatisierung fürchten müssten. Sachliche Fakten kann der WPATH nach NZZ-Recherchen nicht nennen und zeichnet indes nach, dass viele angebliche Online-Selbsthilfegruppen, auf die sich in Teilen auch der Weltverband beruft, eine verdächtige Nähe zu Pädophilen-Ringen hätten. Für besondere Irritation sorgt dann auch ein Passus in den neuen Richtlinien der SOC8, der erklärt, dass sich auch bereits Kinder als Eunuchen definieren können: „Wie andere geschlechtsdiverse Personen auch können sich Eunuchen ihrer Identität in der Kindheit oder Jugend bewusst werden. Aufgrund des Mangels an Forschungsergebnissen über die Behandlung von Kindern, die sich als Eunuchen identifizieren, sehen wir davon ab, spezifische Vorschläge zu machen.“
Für mindestens gleich viel Diskussionsstoff sorgt dann der erwähnte Wegfall einer Altersempfehlung für Kinder und Jugendliche, die eine Transition beginnen wollen. In der siebten Auflage der Richtlinien aus dem Jahr 2012 ist noch festgehalten, dass Hormone nicht vor dem 14. Lebensjahr zu verabreichen sind. Eine Brustentfernung wäre laut WPATH von damals erst ab einem Alter von 15 Jahren sinnvoll. Diese sowie alle weiteren Altersbeschränkungen finden sich in dem neuen Maßnahmen-Katalog nicht mehr. Die NZZ wollte von dem internationalen Verband WPATH konkret wissen, warum sich die Autoren der neuen Richtlinien so unkritisch mit Quellen befassen würden und wie es zu teils fragwürdigen Behauptungen über Kinder und Eunuchen kommen könne. Der Weltverband für Transgender-Gesundheit antwortete darauf bis heute nicht. Der kritische Trans-Autor Till Randolf Amelung erklärte via Twitter dazu: „Warum die WPATH so unkritisch mit Quellen wie den Eunuch Archives umgeht, fragt sich nicht nur die NZZ, sondern auch ich. Befremdlich finde ich, dass Verantwortliche bisher keine Stellung beziehen.“