Gedenktag für Drogentote „Viele der Toten hat eine verfehlte Drogenpolitik das Leben gekostet!“
In mehr als 90 Städten, begleitet von rund 400 queeren Gruppen und weiteren Vereinen wird heute am “Gedenktag für verstorbene Drogennutzer“ an die Verstorbenen und die Drogenpolitik in Deutschland gedacht, die massiv in der Kritik steht. Die Deutsche Aidshilfe bekräftigte ihr Statement, dass nur eine neue Drogenpolitik weitere Todesfälle verhindern kann – das betrifft in besonderem Maße auch die queere Party-und Sexkultur-Szene, in der bis heute gerne zu illegalen Substanzen gegriffen wird. Insgesamt 34.000 Menschen verloren in Deutschland ihr Leben, seit der Gedenktag im Juli 1998 erstmals begangen wurde. In der Bundesrepublik finden nun am 25. Gedenktag unter Schirmherrschaft des Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), mehr als 90 Gedenkveranstaltungen statt. Eine zentrale Botschaft dabei: Viele der Toten könnten noch leben! Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl der Drogentoten auf 1.826 Menschen angestiegen – so viel wie noch nie zuvor.
„Viele der Toten hat eine verfehlte Drogenpolitik das Leben gekostet. Wer das Gedenken an die Verstorbenen ernst nimmt, muss alles dafür tun, dass in Zukunft mehr Menschen überleben. Wir brauchen jetzt endlich den Start in eine neue Drogenpolitik mit einer kontrollierten Abgabe von Substanzen und dem vollen Spektrum der Risikominimierung sowie eine solide finanzierte Drogenhilfe vor Ort“, so Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH). Zu den vielfältigen Gründen für “drogenbedingte“ Todesfälle zählen vor allem verunreinigte Substanzen vom Schwarzmarkt, zu wenige Möglichkeiten, beim Konsum Gesundheit und Leben zu schützen, ständige Strafverfolgung und Inhaftierung sowie nach Angaben der DAH oft ein Leben auf der Straße und am Rande der Gesellschaft. Dabei stellt der Verein zudem fest: „Die Prohibition, also ein Totalverbot des Erwerbs und Besitzes von Substanzen, hat zudem ihr Ziel verfehlt. Noch nie waren so viele verschiedene Drogen von unbekannter Qualität so preiswert und leicht erhältlich wie heute. Und: Noch immer werden wissenschaftlich evaluierte Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit aus ideologischen Gründen zurückgehalten.“
Aktuelle Zahlen in puncto Drogenkonsum gerade innerhalb der queeren Szene gibt es so für Deutschland nicht, allerdings vergleichbare Daten aus Österreich: Rund 20 Prozent der LGBTI*-Menschen haben hier regelmäßig Chemsex. Untermauert wird dieser Wert zudem von der europaweiten EMIS-Studie, die aufzeigt, dass diese Ergebnisse für ganz Europa Gültigkeit haben – jeder fünfte schwule Mann hat gelegentlich Sex unter Drogen, für sieben Prozent sind illegale Substanzen ständige Begleiter beim Sexualverkehr. Die Beweggründe, warum vor allem schwule Männer oftmals Crystal Meth, Mephedron oder GHB und GBL einnehmen, gleichen sich zumeist: Unter Einfluss der Drogen erleben schwule Männer den Sex als intensiver, zudem fallen Hemmschwellen. Dabei gelangen in immer kürzerer Zeit neue und teils lebensgefährliche, gemischte Substanzen auf den Markt. Die Zahl der Vergiftungen durch Überdosierung ist insgesamt um 167 Prozent angestiegen.
„Wenn Konsumierende Drogen kaufen oder besitzen, dürfen sie nicht weiter bestraft werden. Die Kriminalisierung zwingt Menschen förmlich in die oft zitierte Abwärtsspirale, aus der sie sich irgendwann nicht mehr befreien können. Wer glaubt bitte noch ernsthaft, dass Verfolgung und Gefängnisaufenthalte Menschen dazu bringen, sich vom Drogenkonsum zu lösen?“, so DAH-Vorstand Warminsky weiter. Die Bundesregierung hat neue Wege in der Drogenpolitik angekündigt, bisher allerdings noch nicht geliefert. Auch die geplante legale Abgabe von Cannabis an Erwachsene ist noch nicht weiter vorangeschritten. Für die DAH wäre dies ein erster wichtiger Schritt, um dem Schwarzmarkt den Nährboden zu entziehen. Die DAH weiter: „Das Ziel muss schließlich eine kontrollierte Abgabe auch von Heroin, Kokain und Amphetaminen an Erwachsene sein – in jeweils geeigneter Form. Diese Maßnahmen werden den Drogenkonsum nicht sofort beseitigen, aber sie schützen Konsumenten und können der organisierten Kriminalität und dem Schwarzmarkt mit seinen lebensbedrohlichen Folgen wirkungsvoll die Stirn bieten.“ Auch Angebote der Schadensminderung wie das sogenannte Drug Checking (Experten vor Ort prüfen Drogen auf Reinheitsgehalt und Wirkstoffe) müssten sofort ausgeweitet werden. Gerade die Idee der legalen Abgabe auch von harten Drogen ist indes durchaus umstritten – Kritiker bemängeln, dass so die Zahl der Drogenkonsumenten massiv ansteigen könnte.
Ein Problem könnte allerdings ohne Widerstand direkt angegangen werden: Die Drogenhilfen vor Ort sind oft drastisch unterfinanziert. Steigende Konsumentenzahlen und neue psychoaktive Substanzen würden mehr und differenziertere Angebote, auch HIV- und Hepatitis-Testangebote erfordern, so die DAH weiter. Vorstand Sven Warminsky abschließend: „Wir trauern um Zehntausende Menschen, noch viel mehr Familien und Freunde haben ihre Liebsten verloren. Abschreckung und Kriminalisierung sind auf ganzer Linie gescheitert. Es ist Zeit, Schluss mit dieser unnötigen Tragödie zu machen. Wir sind schon lange bereit zum Aufbruch, aber die Politik hat die Schlüsselrolle.“