Spannungsfeld Muslime und LGBTI* Kritik an Berliner Regierung wird laut: Werden die Ergebnisse bewusst unterdrückt?
Es sind schwere Vorwürfe, die die EMMA Redaktion aktuell gegen die rot-rot-grüne Regierung der Landeshauptstadt Berlin erhebt und dabei direkt auch eine Problematik anspricht, die jüngst von Seiten der FDP ebenso thematisiert worden war: Wie viel Gewalt und Ablehnung erfahren LGBTI*-Menschen von Seiten muslimischer Menschen? Wie offensichtlich werden Werte der Demokratie, der Meinungsäußerung oder schlichte Fakten beispielsweise über die Evolution aufgrund der Religion an deutschen Schulen negiert?
Im Auftrag des Bezirksamtes Neukölln machte der DEVI (Demokratie und Vielfalt), ein Verein, der seit zehn Jahren Demokratie-Bildung und Rechtsextremismus-Prävention an Schulen betreibt, eine Umfrage an zehn Neuköllner Schulen. Im Zentrum der Untersuchung standen dabei Fragen nach den sogenannten “konfrontativen Religionsbekundungen“ der Schüler, also zum Beispiel: das offensichtliche Bekunden von Ablehnung von Homosexuellen und LGBTI*, das Verneinen gewisser Unterrichtsinhalte wie Evolution oder Sexualkunde aufgrund der Unvereinbarkeit mit der eigenen Religion oder auch die Ausübung von Druck auf andere muslimische Schülerinnen, wenn diese beispielsweise kein Kopftuch tragen wollen. Die Studie belegte, dass es an neun von zehn Schulen massive Probleme dieser Art gibt.
Die grundsätzliche Tendenz, dass Menschen mit stark religiös geprägtem Hintergrund, LGBTI* deutlich stärker ablehnen, wurde bereits mehrfach durch landesweite Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, wobei die Fallzahlen bei Menschen mit Migrationshintergrund „signifikant negativer“ seien. Die neue Untersuchung der DEVI zeigt nun auf, wie dramatisch die Lage zumindest in bestimmten Ballungs- und Problembezirken anscheinend ist. Die Neuköllner Schulen lassen sich nicht eins zu eins mit allen anderen Schulen in Deutschland vergleichen, teilweise liegt der Migrationsanteil an Neuköllner Schulen bei über 90 Prozent. Dass Gewalt und Anfeindungen gerade gegenüber LGBTI*-Menschen noch immer ein großes Problem an deutschen Schulen ist, belegte erst im Mai eine Studie des NDR. Auf jeden Fall zeigen die Ergebnisse somit aber den Bedarf weiterer, intensiverer Studien zu diesem Thema auf.
Nach Auskunft des Bezirksbürgermeisters von Berlin Neukölln, Martin Hikel sowie nach Recherchen der EMMA Redaktion soll das Gegenteil geschehen sein: Dem Verein DEVI wurden die Fördergelder gestrichen, sodass sich der Verein kurz vor der Auflösung befinde und eine mehrfach geforderte Anlauf- und Dokumentationsstelle für konfrontative Religionsbekundung soll es nicht mehr geben. Zudem soll die Umfrage selbst immer wieder als „antimuslimisch“ und „sehr gefährlich“ verunglimpft sein sollen, so der DEVI-Leiter, Pädagoge und Soziologe Michael Hammerbacher: „Das war eine massive Kampagne bis hin zur Rufschädigung. Woher kommt diese ungeheure Aufregung, die wir mit unserem kleinen Projekt ausgelöst haben? Man hat an uns ein Exempel statuiert.“
Seit längerem wird von Seiten vieler Lehrkräfte immer wieder gefordert, die Probleme aktiv zu benennen und anzugehen. Im November 2020 unterzeichneten über 400 Berliner Pädagogen einen Offenen Brief an die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): „Das Wirken des politischen Islams ist nicht auf Frankreich und Österreich beschränkt. Auch in Deutschland und in Berlin ist der Einfluss des politischen Islams deutlich wahrzunehmen und in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Auch der Deutsche Lehrerverband fordert umfassende Studien. Verbandschef Heinz-Peter Meidinger „Weder die zuständigen Ministerien noch die Schulbehörden wissen, wie groß das Problem ist. Es müssen Experten an die Schulen, um sie beim Kampf gegen islamistische Einflüsse zu unterstützen. Und es muss Ansprechpartner für Lehrer geben, die an ihrer Schule ein Problem mit islamistisch indoktrinierten Schülern haben, und zwar außerhalb des Dienstwegs.“ Zuletzt hatte im Mai 2022 auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, gefordert, dass Muslime in Deutschland ihre Homosexuellen-Feindlichkeit aufarbeiten müssten. Kuhle erklärte dabei, dass Homosexuellen-Feindlichkeit „natürlich kein spezifisch muslimisches Phänomen“ sei. „Es gibt aber bei manchen Muslimen eine Einstellung, die zum Nährboden für homofeindliche Diskriminierung und Gewalt werden kann.“ Junge Männer, die mit überhöhten Erwartungen an eine dominant-heterosexuelle Männlichkeit konfrontiert seien, kompensierten ihre Überforderung mit einer demonstrativen Ablehnung anderer Identitäten. Dieses Spannungsfeld belegte auch die DEVI-Studie in Berlin.
Die stellvertretende Vorsitzende des Berliner Schulleitungsverbandes, Karina Jehniche, erklärte dazu im Gespräch mit EMMA: „Große Teile meiner Schüler leben in einer Parallelgesellschaft, die wir jetzt schon nicht mehr erreichen.“ Warum das Thema nach der jüngsten Studie in der Berliner Regierung anscheinend nicht wahrgenommen werden will, lässt sich nur spekulieren. Der Verein DEVI erlebt diese Entwicklung allerdings nach Aussage des Leiters bereits seit einigen Jahren – seit 2017 bildet DEVI Pädagogen an 30 Berliner Schulen aus und erarbeitete Projekttage zur Problemlösung. DEVI in einer Erklärung dazu: „Allein die Beschäftigung mit dem Thema in Schulen gilt manchen irrtümlich als verdächtig nah an rechtspopulistischer Stimmungsmache. Gibt man diesem Druck aber nach, entsteht ein blinder Fleck in der Präventionsarbeit an Schulen und öffnet Tore für menschenrechts- und demokratiefeindliche religiös begründete Haltungen unter Schülern. Die Schulen werden mit dem Problem allein gelassen.“