Zweiter „Berliner Patient“ Stammzelltherapie im Kampf gegen HIV erneut erfolgreich
Ein neues Kapitel in der HIV-Forschung: Forscher der Berliner Charité berichten jetzt über einen weiteren Patienten, der mithilfe einer speziellen Stammzelltherapie von HIV geheilt wurde. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Fachjournal Nature, könnten das Potenzial der Behandlung deutlich erweitern.
Neuer Ansatz bei Therapie
Nach Schätzungen der Deutschen AIDS-Stiftung leben weltweit rund 40,8 Millionen Menschen mit HIV. In Deutschland sind etwa 97.700 Menschen betroffen. Die Übertragung erfolgt vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder den Konsum von Drogen unter unsicheren Bedingungen, ein Großteil der Infizierten sind bis heute schwule und bisexuelle Männer. Gelangt das Virus in den Körper, befällt es Immunzellen und macht die Betroffenen anfälliger für schwere Krankheiten. Ohne Medikamente kann eine Infektion tödlich verlaufen. Eine Schutzimpfung existiert bislang nicht, und HIV galt lange als nicht heilbar.
Die Berliner Charité hat bereits 2008 mit dem ersten sogenannten „Berliner Patienten“ für Aufsehen gesorgt: Damals konnte ein Patient mit HIV durch eine Stammzelltransplantation geheilt werden. Nun ist es erneut gelungen, einen Menschen von der Infektion zu befreien – allerdings mit einem leicht veränderten Ansatz. Die Therapie kommt in der Regel nur bei Patienten zum Einsatz, die neben HIV an einer schweren Blut- oder Lymphkrebserkrankung leiden und für die Standardtherapien nicht ausreichen. Für jemanden, der nur eine HIV-Infektion habe, sei eine solche Therapieform nicht vertretbar, da die Risiken der Prozedur in keinem Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen würden, betonte Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg.
Zweiter Berliner Patient ohne HIV
Der zweite Berliner Patient war über 60 Jahre alt, HIV-positiv seit 2009 und erhielt 2015 die Diagnose akute myeloische Leukämie – eine aggressive Form von Blutkrebs. Auch er wurde an der Charité transplantiert, allerdings unter anderen Bedingungen als der erste Patient. Bisher ging man davon aus, dass Stammzellspender eine spezielle CCR5-Mutation (Delta-32) besitzen müssen, um Immunzellen gegen HIV resistent zu machen. Rund ein Prozent der Europäer tragen diese Mutation, die das Virus daran hindert, in Immunzellen einzudringen. Für den zweiten Berliner Patienten konnte allerdings kein vollständig HIV-resistenter Spender gefunden werden. Stattdessen wählten die Forscher eine Spenderin aus, deren Zellen sowohl die normale als auch die mutierte Version des CCR5-Rezeptors trugen. „Das ist der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekommt“, erklärte Oberarzt Olaf Penack von der Berliner Charité.
Sechs Jahre nach der Transplantation konnte nun bei dem Patienten kein HIV im Blut oder in Gewebeproben mehr nachgewiesen werden. Christian Gaebler, HIV-Experte an der Charité, erklärte dazu: „Das bedeutet, dass die Heilung wohl nicht auf die genetische CCR5-Ausstattung der Stammzellspenderin zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten beseitigt haben.“ Fachleute sprechen von einer Remission – einer deutlichen Verbesserung des Zustands ohne vollständige Heilung. Neben den beiden Berliner Patienten sind weltweit nur fünf weitere solcher Remissionen durch Stammzelltransplantationen dokumentiert.
Neue Chance für zukünftige Therapien
Die genaue Ursache für den Erfolg ist noch unklar. Gaebler vermutet, dass die Geschwindigkeit, mit der das neue Immunsystem das alte ersetzt hat, eine Rolle spielt. Beim zweiten Berliner Patienten dauerte dies unter 30 Tage, vergleichsweise schnell. Möglicherweise besitzen die Immunzellen der Spenderin auch besondere Eigenschaften, wie hochaktive natürliche Killerzellen, die HIV-infizierte Zellen gezielt erkennen und eliminieren. Unabhängige Experten sehen in dem Fall neue Chancen für zukünftige Therapien, betonen aber die Einzelfall-Natur des Erfolgs. Christoph D. Spinner vom TUM Klinikum München weist darauf hin: „Weitere Untersuchungen müssen jetzt zeigen, ob das Vorgehen auch auf andere Fälle übertragbar ist und zum weiteren Verständnis des Mechanismus beiträgt.“