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Rom: Drag Me Up-Festival präsentiert queere Vielfalt

Bühne für queeres Engagement Rom: Drag Me Up-Festival präsentiert queere Vielfalt

kw - 12.11.2025 - 15:30 Uhr
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Das "Drag Me Up – Queer Art Festival 2025": Rom feiert Vielfalt auf der Bühne mit Theater, Talks, Mode, Musik und Performances.

 

Von der Subkultur zur städtischen Bühne

Mit der sechsten Ausgabe des „Drag Me Up – Queer Art Festival“ hat sich Rom erneut in eine Arena für queere Bühnenkunst verwandelt. Seit dem 3. November 2025 erleben Bewohnerinnen und Bewohner der italienischen Hauptstadt bis zum 15. Dezember einen über einen Monat dauernden Diskurs über Drag, Gender und künstlerische Selbstbehauptung in allen Himmelsrichtungen der Stadt. Zum ersten Mal wird dabei explizit auf multidisziplinäre und partizipative Zugänge gesetzt: Theater, kreative Labore und Talks verbinden sich mit Mode, Musik und Performance. Im Mittelpunkt steht eine radikale Einladung zur Begegnung, zur Befragung von Geschlechterrollen und gesellschaftlicher Normen.

 

Queere Kunst als Labor der Gesellschaft

Das Festival – ein von Roma Capitale gefördertes und von Ondadurto Teatro konzipiertes Kulturprojekt – dehnt sich von den Szenevierteln im Osten bis in die westlichen Randgebiete aus. Dabei verwebt es etablierte Kulturorte wie das OFF/OFF Theatre oder die Accademia Italiana mit neuen, noch unerprobten Räumen. Die Veranstaltungsreihe setzt bewusst auf Inklusion und Sichtbarkeit: Nichtdiskriminierung bezüglich Geschlecht, Herkunft oder Lebensweise ist hier eine Grundhaltung, keine leere Floskel. Gerade in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Spannungen angesichts der Rechte von trans* Menschen und queeren Minderheiten behauptet das Festival seine Relevanz als künstlerisches und politisches Labor.

Das diesjährige Leitmotiv „UMANAMENTE EROƏ“ – „menschlich heroisch“ mit genderneutraler Endung – steht für die Suche nach heldenhaften, verletzlichen und vielfältigen Identitäten jenseits der üblichen Kategorien. Insbesondere die Verbindung von digitaler Avantgarde (aus den Digital Humanities), experimenteller Kunst und sozialen Interventionen macht aus dem Festival ein urbanes Zukunftslabor.

Herausragende Programmpunkte sind dabei die Residenzprojekte wie „Kings Chronicles“, in denen Künstlerinnen und Künstler der queeren Szene experimentieren, forschen und kollaborieren. Labs wie „Drag Me…Lab“ mit Chiara Becchimanzi und Mike Lupone öffnen die Perspektive auf Drag als Methode, sich in die Lebensrealitäten von Anderen einzufühlen – ein kreativer Protest gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Vorurteile. Dabei wird die Ästhetik des Drag nicht nur als künstlerisches Stilmittel, sondern als Werkzeug für Akzeptanz, Empowerment und Community Building verstanden.

 

Kunst und Aktivismus im Dialog

Ein zentrales Element in diesem Jahr sind die zahlreichen Talks und Panels, die der Entwicklung von queerer Kultur und bürgerlichen Freiheitsrechten Raum geben. Im Fokus stehen Fragen nach international zunehmender Trans*feindlichkeit, nach Sichtbarkeit versus Vereinnahmung queerer Künstlerinnen und Künstler sowie nach Qualitätsstandards in der Berichterstattung über queere Themen.

„Drag Me Up will ein sicherer Ort sein, an dem sich alle Menschen wohlfühlen. Dringender denn je müssen wir Räume der Narration und Feier möglicher, realer Identitäten besetzen. Nur so lässt sich eine Welt erdenken, in der Vorurteile und Stereotype im Miteinander überwunden werden.“
– so beschreiben die Festivalleiterinnen Karma B und Margò Paciotti ihre Mission.

Auch andere Stimmen aus der Kunstszene nehmen das Festival zum Anlass, einen Paradigmenwechsel zu fordern: Es geht zunehmend darum, queere Sichtweisen nicht nur zu präsentieren, sondern sie im kulturellen Kanon zu verankern. Zugleich bleibt die Gefahr der Instrumentalisierung bestehen – etwa, wenn queere Performerinnen und Performer als bloßes „buntes Spektakel“ konsumiert werden, statt als eigenständige Kunstschaffende ernst genommen zu werden.

Die (italienische und internationale) Medienlandschaft beschäftigt sich in zunehmendem Maße mit dem Einfluss von Popkultur und Drag auf gesellschaftlichen Wandel. Gerade die Sichtbarkeit von Drag-Performances in sozialen Medien und TV-Formaten wie „Drag Race“ haben neue Räume und größere Akzeptanz eröffnet – aber auch neue Herausforderungen im Umgang mit Stereotypen und der Verflachung politischer Botschaften geschaffen, wie renommierte Queer-Theoretikerinnen und -Theoretiker betonen.

 

Ein Raum queer, mutig und utopisch – was bleibt?

Abseits klassischer Bühnenshows überrascht das Festival mit Formaten wie dem „LAB CREA IL TUO COSTUME DRAG“ – einem Workshop, in dem die Teilnehmenden nicht nur phantasievolle Drag-Kostüme entwerfen, sondern auch persönlich erleben, wie aus Stoff und Fantasie Identitäten geboren werden. Für viele ist dieser kreative Akt ein emanzipativer Schritt, der weit über Mode hinausgeht und gesellschaftliche Masken infrage stellt.

Die Abschlussgala „GALA DRAG ME UP“ hebt das Prinzip der Durchlässigkeit zwischen Bühne und Publikum hervor. Bürgerinnen und Bürger, die zuvor in Workshops ihre Drag-Personas erschaffen haben, treten gemeinsam mit Profis aus der Szene auf. So entsteht ein einzigartiger, generationsübergreifender Raum für queere Präsenz und Selbstinszenierung.

Gleichzeitig ist „Drag Me Up“ eingebettet in den weiten Rahmen der Menschenrechte und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Der intersektionale Kampf gegen Diskriminierung wird verbindlich eingefordert – dabei versteht sich das Festival stets als Impulsgeber für die Stadtgesellschaft.

 

Kontinuität und neue Impulse für Europas Kulturlandschaft

Nach Ansicht von Fachleuten sowie Aktivistinnen und Aktivisten aus dem europäischen Kultursektor ist gerade das italienische Beispiel richtungsweisend für eine fortschrittliche Festivalpolitik. Während rechte Strömungen in vielen Ländern gezielt gegen queere Sichtbarkeit agitieren, zeigt sich in Rom, wie stark Kunst als Motor gesellschaftlicher Transformation wirken kann. Die zunehmende Zahl queerer Festivals in europäischen Großstädten unterstreicht zudem: Die Bühne dient nicht nur der Unterhaltung, sondern ist ein Erprobungsort für alternative Lebensentwürfe.

Die Zukunft von „Drag Me Up“ dürfte davon geprägt sein, wie es gelingt, auch außerhalb des Festivals Synergien zwischen Bildungsarbeit, Sozialpolitik und Kunst zu stiften. Eine Vernetzung mit ähnlichen Initiativen in Deutschland, Frankreich und Spanien ist im Gespräch. Somit entwickelt sich Rom mehr und mehr zu einem Anziehungspunkt kreativer und politisch engagierter Queers aus ganz Europa.

Die bunte Vielfalt auf Bühne, Laufsteg und in den Köpfen der Beteiligten macht Mut in einer von Unsicherheiten geprägten Zeit. Queere Festivals wie dieses liefern die dringend benötigten Utopien für eine Gesellschaft, die ihre Stärke – endlich – in der Unterschiedlichkeit aller Geschlechter, Lebensweisen und Perspektiven entdecken darf.

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