Pfarrerin im Netz attackiert Berlin: Kirche verteidigt Pfarrerin nach "Polyhochzeit"
Die Evangelische Kirche in Berlin sieht sich derzeit mit einer Welle der Empörung in sozialen Medien konfrontiert. Nach der symbolischen Segnung einer Liebesbeziehung zwischen vier Männern durch Pfarrerin Lena Müller auf einem Festival hat ein Sturm der Kritik eingesetzt – insbesondere im Netz, aber auch durch konservative Medien. Die EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) hat sich inzwischen deutlich vor ihre Pfarrerin gestellt. Sie verurteilt die Angriffe gegen Müller und betont, dass es sich bei der Zeremonie nicht um eine offizielle kirchliche Trauung gehandelt habe.
Symbolische Segnung gerät ins mediale Kreuzfeuer
Während eines Festivals, das unter anderem sogenannte „Pop-up-Segenshochzeiten“ anbot, bat ein vierköpfiges Männerpaar Lena Müller um einen Segen für ihre Beziehung. Die Pfarrerin gab an, die Liebe zwischen den Männern habe sie und ihr Team überzeugt, schließlich sei „Liebe“ der zentrale Wert im christlichen Glauben. Jedoch machte sie klar: Eine Eintragung der Trauung ins Kirchenbuch war rechtlich nicht möglich, da nach deutschem Recht Eheschließungen mehrerer Personen nicht vorgesehen sind. In Deutschland sind zwar polyamore Beziehungen grundsätzlich legal, aber die Ehe ist nach geltendem Recht auf zwei Personen begrenzt.
Der Begriff „Polyhochzeit“ – von Medien später aufgegriffen – sorgte vor allem in konservativen Kreisen für heftige Reaktionen. Während progressive Stimmen vor allem Unterstützung signalisierten, versuchten rechte Gruppierungen und einzelne Politiker, den Vorfall politisch auszuschlachten. Diese Polarisierung zeigt sich unter anderem in einer aktuellen Umfrage: Die Mehrheit der Befragten sprach sich entweder für die Öffnung der Ehe oder zumindest für eine rechtliche Anerkennung von Verantwortungsgemeinschaften jenseits der klassischen Zweierbeziehung aus.
Evangelische Kirche zwischen Dialog und Distanzierung
Die Öffentlichkeit forderte von Seiten der Kirche zunächst eine Stellungnahme zum Vorgang. Die EKBO stellte klar, dass die evangelische Kirche „nur Paare segnet, die zuvor standesamtlich geheiratet haben“ und dass die Zeremonie keine kirchliche Trauung im engeren Sinn gewesen sei. Bischof Christian Stäblein und Pröpstin Christina-Maria Bammel betonten ausdrücklich: Evangelische Trauungen gäbe es ausschließlich für Paare – also genau zwei Personen. Die Vorwürfe der Polygamie bezeichnete die Kirchenleitung als gegenstandslos.
Vor diesem Hintergrund führt die Debatte zu einer generellen Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Institution Kirche auf gesellschaftlichen Wandel und Diversität reagieren sollte. Während andere protestantische Kirchen in Europa – beispielsweise in Norwegen – in den vergangenen Jahren deutlich integrativer gegenüber queeren Lebensmodellen geworden sind, bleibt die deutsche Linie bislang konservativer, wie kirchliche Vertreterinnen unterstreichen.
Stimmen zur aktuellen Entwicklung
„Wir sind entsetzt über den Hass, der ihr entgegenschlägt. Wir stehen an ihrer Seite und verurteilen diese Angriffe aufs Schärfste. Wir stehen an der Seite derer, die Anfeindungen erleben.“
— Offizielle Stellungnahme der EKBO
Diese Solidaritätsadresse verdeutlicht, dass die Kirche die gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Kampagnen und öffentlicher Hetze nicht unterschätzt. Ähnliche Solidaritätsbekundungen gab es zuletzt auch aus anderen Landeskirchen, die sich zur Inklusion von queeren Menschen bekennen. Menschenrechtsorganisationen und queere Communitygruppen fordern zugleich, derartigen Angriffen entschieden entgegenzutreten und mehr Aufklärung über polyamore Lebensmodelle und deren soziale Realität zu fördern.
Debatte um Anerkennung neuer Lebensmodelle
Der gesellschaftliche Diskurs zur rechtlichen und sozialen Anerkennung polyamorer Konstellationen gewinnt international an Fahrt. Während in Ländern wie Kanada entsprechende Verantwortungsgemeinschaften bereits rechtlich abgesichert sind, bleibt Deutschland weiterhin restriktiv und beschränkt die Ehe gesetzlich auf zwei Personen. Entsprechende Reformforderungen kommen inzwischen auch aus Teilen der Zivilgesellschaft und von Familienrechtsexperten.
Überraschenderweise zeigt die Eskalation des Streits um die symbolische Segnung auch, wie anschlussfähig das Thema gesellschaftlich ist: Laut aktuellen Studien wächst in der jüngeren Bevölkerung das Verständnis für neue Beziehungsformen stetig. Die Debatte in und um die Kirche fungiert so als Spiegel breiter, gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und könnte den Druck auf Politik und Rechtsprechung verstärken, über neue Formen der Familien- und Partnerschaftsanerkennung nachzudenken.
Ausblick: Konsequenzen für Kirche und Gesellschaft
Die Berliner Kirchenleitung sieht sich in der Pflicht, ihre Mitarbeitenden vor Anfeindungen zu schützen – und zugleich Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit aufzuzeigen. Die Diskussion könnte zum Ausgangspunkt für weiterführende Gespräche werden, etwa über den theologischen Gehalt von Segnungen und über die Rolle der Kirche in einer pluralen Gesellschaft.
Insgesamt verdeutlicht der jüngste Vorfall: Das gesellschaftliche Klima in Bezug auf queere Lebensmodelle ist nach wie vor gespalten. Doch die starke Unterstützung, die Pfarrerin Müller erfährt, zeigt auch eine wachsende Sensibilität für Diskriminierung und die Bedeutung von Solidarität – innerhalb wie außerhalb kirchlicher Räume.
Weiterführende Informationen zu Fragen rund um Diversität, Kirche und Recht bieten Beratungsstellen der EKD und spezialisierte Organisationen im Bereich Antidiskriminierung und Familienrecht.