Ausgequetscht Bonyad
Er stand beim Idahot-Day und beim Cologne Pride auf der Bühne und hielt eine flammende Rede, in der er die Community daran erinnerte, wie wichtig es sei, sichtbar zu sein und für die eigene Sicherheit in dieser schwierigen Zeit zu kämpfen.
Bonyad, du bist ein in Deutschland lebender Aktivist mit iranischen Wurzeln, gib uns einen kurzen Einblick in dein Leben.
Meine Eltern sind 1987 aus dem Iran geflohen. Meine Mutter wollte Medizin studieren - was sie im Iran nicht konnte - und wurde an der Uni in Heidelberg angenommen. Dort wurde ich 1998 geboren. Meine Eltern haben großen Wert daraufgelegt, dass ich multikulturell aufwachse. Nach dem Abi habe ich zuerst Modemarketing und Marketing-Psychologie studiert und danach noch eine Weiterbildung für Bildungsreferenten für Anti-Rassismus und gegen Queerfeindlichkeit gemacht.
Ich war mit 18 Jahren ohne Wissen meiner Eltern im Iran. Dort lernte ich viele queere Menschen und Freunde kennen. 2022 wurde eine junge Frau im Iran ermordet, weil sie ihren Hidjab nicht richtig getragen hat und zwei queere Freunde gingen aus Solidarität mit auf die Straße. Ich war beunruhigt, aber sie sagten „Wenn wir nicht auf die Straße gehen, wie können wir von den Privilegierten erwarten, dass sie dagegen angehen?" Einer von beiden wurde zwei Wochen später als Leiche in einer Mülltonne gefunden!
Da habe ich mir gedacht: Ich bin privilegiert und habe mich entschlossen, all meine Bildungsarbeit komplett in den Iran-Aktivismus zu stecken. Das war dann unser Gründungsbeginn unserer Menschenrechtsinitiative "#Woman Live Freedom Unity", eine Initiative um Menschen zusammenzubringen, um solidarisch zu sein, wenn es um Menschenrechte geht. Eine Mitstreiterin Neda hat mich dann überzeugt nach Köln zu ziehen.
Der IRAN steht im Länderkrieg zwischen dem ganzen Nahen Osten. Bleibt da Hoffnung auf Frieden?
Man muss zwischen islamischer Republik und den Menschen im Iran unterscheiden. Die Menschen wollen diesen Krieg nicht, es ist ein Konflikt zwischen der islamischen Republik und Israel. Die Hoffnung ist, dass dieses Regime geht ohne Einfluss von außen. Dann besteht auch große Hoffnung auf Frieden.
Auch für die LSBTIQ*-Community sind die friedlichen Zeiten vorbei? Kommt es noch schlimmer?
Wir haben eine Bundesregierung, die gerade total versagt, wenn es um die Community geht! Wir haben eine Bundestagspräsidentin, die aus Neutralität keine Regenbogenflagge hissen will! Und wir haben einen Bundeskanzler, der uns „Zirkus“ nennt! Ich glaube da kann man nur eins sagen: Der Bundestag ist im Moment der Zirkus und der größte Clown ist unser Bundeskanzler. Deutschland hat eine Historie, die oft vergessen wird: dass queere Männer ermordet wurden und queere Frauen aus der Geschichte gelöscht wurden. Dass sich ein Bundeskanzler traut, das zu sagen, ist sehr gefährlich, denn wir haben im Bundestag eine Partei mit 151 rechtsradikalen Abgeordneten sitzen. Das ist keine Neutralität.
„Nie wieder leise“ eine Aktion für die du dich engagierst, was verbirgt sich dahinter?
Es ist die Antwort auf dauerhaftes Schweigen und zeitgleich die Widergabe unserer Staatsraison: Nie wieder! Menschenrechte gelten für alle Menschen, und wo jemand ist, der diese angreift, ob rassistisch, frauenfeindlich, antisemitisch, islamo-, homophob oder gegen Behinderungen, dem müssen wir uns laut entgegenstellen. Wenn wir schweigen, dann lassen wir es geschehen. „Nie wieder leise“ erzählt die Geschichte von Protagonisten, die angegriffen wurden und negative Erfahrungen mit ihrer Art zu leben, gemacht haben. Es ist eine Antwort auf rechtsradikale und faschistische Ideologien. Dafür haben wir vor einer Woche in Berlin den Ricardo-Simonetti-Preis bekommen.
Wann hast du angefangen, dich für Männer zu interessieren?
Sehr früh, ich stand im Kindergarten auf meinen Kindergärtner Sven. Ich habe total an dem gehangen und wollte nur mit ihm spielen. Mit ca. 12 wurde mir das richtig bewusst, war allerdings über ein Jahr mit einem Mädchen zusammen. Dann habe ich mich in ihren Bruder verliebt und er sich in mich. Sie war nicht begeistert, denn er hat es ihr erzählt, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen. Somit wurde ich von ihr in der Schule zwangsgeoutet. Einige Schülerinnen haben toll zu mir gestanden, andere haben sich distanziert. Einige Lehrerinnen haben mich mies behandelt, die beste war meine Geschichtslehrerin, die heute Diversitätsbeauftragte der Schulen in Baden-Württemberg ist. Ich habe ihr erst kürzlich noch einmal Dank ausgesprochen.
Ist dein Männertyp heute der frühere Sven?
Ich habe den Sven leider nie wiedergesehen und nein, ich habe keinen bestimmten Typen Mann. Ich stehe auf Ausstrahlung und er darf nicht - wie ich - Aktivist sein.
Du duldest keine Götter neben dir?
So ungefähr. (lacht) Ich möchte abends mit meinem Partner nicht immer nur über die gleiche Arbeit reden.
Wie war dein Outing in der Familie und wie waren die Reaktionen darauf?
Meine Mutter hatte viele schwule Freunde. Sie gab mit Aufklärungsbücher und die PREP-Broschüre. Sie will, dass ich glücklich bin, aber ihr ist meine Gesundheit sehr wichtig. Mein Vater war anfangs nicht amüsiert, er wollte zuerst, dass ich die Wohnung verlassen sollte. Darauf meinte meine Mutter: „Wenn hier jemand die Wohnung verlässt, dann ist es das Wasser und nicht das Blut!“
Wie würde dein Leben aussehen, wenn du als schwuler Mann im Iran leben müsstest?
Wenn ich so laut wäre wie hier in Deutschland, wäre ich nicht mehr am Leben; da hinge ich schon längst am Galgen. Wenn ich ein leiser Queerer wäre, würde ich mit ganz vielen tollen unsichtbaren queeren Menschen im Untergrund feiern und kämpfen. Ich darf heute nicht mehr in den Iran, obwohl die Verwandtschaft meines Vaters dort lebt. Das wäre mein Ende; ich habe mich ja sogar im europäischen Parlament über islamische oder iranische Politik geäußert.
Hast du hier in Deutschland als schwuler Mann Anfeindungen erlebt?
Ich habe auf dem 1. Queerfestival in Heidelberg - einer Stadt, die von Grünen regiert wird - eine Rede gehalten und wurde danach von vier Nazis angegriffen, die mir einen Backenzahn ausschlugen. Ich habe den nicht richten lassen, denn ich will immer in Erinnerung behalten, das die Gewalt nicht vorbei ist. Wenn mir so etwas passiert – und ich werde im Allgemeinen nicht als queer gelesen - was müssen dann Menschen erleiden, die man als queer wahrnimmt? Sie sind im Endeffekt viel mutiger als ich, weil sie täglich als queer gelesen werden.
Was macht dir Angst?
Unsere Demokratie ist in Gefahr und weltweite steigt die Queerfeindlichkeit. Was mir Sorgen bereitet, dass wir uns viel zu sehr als Community auf Konzerne und Unternehmen verlassen haben. Wir sind zu sehr von unseren Forderungen weggekommen. Viele von meiner Generation haben sich zu sehr auf die Arbeit der Älteren ausgeruht. Das hat zu einem gewissen Rückschritt geführt; denn die Community vor 15 Jahren war stark, dominierend und klar und deutlich in ihren Forderungen. Was mir auch Angst macht: dass dieses Konservative, das die Demokratie gefährdet auch innerhalb der Community ist. Wir haben queere Menschen, die selbst trans- und lesbenfeindlich sind. Das beweist mir, dass sie sich mit der queeren Geschichte nicht auskennen. Der erste Stein wurde von Transpersonen geworfen und während der Aidskrise waren es die Lesben, die an unserer Seite standen. Wir müssen unbedingt unsere Geschichte aufarbeiten.
In einigen Städten – besonders im Osten Deutschlands - werden CSDs abgesagt. Schwule und Lesben werden mit Steinen und Gülle beworfen und verbal angegriffen. Das durchzustehen erfordert Mut. Woher nimmst du deinen?
Ich komme langsam an die Grenzen meiner Kraft, was meinen Einsatz für Menschenrechte angeht. Aber wenn ich das tolle Motte des Pride lese „Viele, gemeinsam, stark!“, dann ist es das, was mir immer wieder Kraft gibt – zu wissen, dass ich nicht alleine dastehe.
Was stört dich an der Community?
Wir müssen untereinander zu einem besseren Umgang finden, zwischen schwul, lesbisch, trans. Derzeit gehen wir nicht immer sehr nett miteinander um. Und wir gehen durch gesellschaftliche Vorurteile oft ungewollt rücksichtslos und rassistisch mit migrantischen, queeren Menschen um. Ich selbst wurde schon von einem Security wegen meines Aussehens vor einer schwulen Bar gefragt: „Bist du dir sicher, dass du eine Schwuchtel bist?“ Ich konnte darauf reagieren, auch auf die Gefahr hin, nicht eingelassen zu werden. Jeder kann das nicht und kommt nicht mehr dahin.
Da sollten wir auf unsere Worte achten, denn Worte können verletzen - sie können aber auch heilen.
Hast du neben deinem Engagement noch Zeit für eine Beziehung?
Ich date natürlich, aber es ist nicht einfach mich zu daten. Ich bin ein emotionaler Beziehungstyp, aber dauernd unterwegs. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen einer Beziehung und meinem Engagement, bei dem ich mehr Menschen glücklich machen könnte, würde ich mich gegen die Beziehung entscheiden.
Ist dein Glas eher halbvoll oder halbleer?
Mein Glas ist immer halbvoll. Allein, wenn ich sehe wie viele Menschen sich für unsere Initiative interessieren und sich dafür engagieren, sehe ich optimistisch in die Zukunft.
Deine Ziele - Deine Wünsche - Deine Zukunft?
Ein Ziel ist, dass ich eines Tages sehe, dass sich mein Engagement lohnt. Ich möchte, dass im Artikel 3 Grundgesetz das Thema Queernes, also sexuelle Identität und Sexualität zu sehen. Ich wünsche mir die Schaffung eines Ministeriums für Minderheiten.
Meine Zukunft sehe ich dominierend im Aktivismus, ein großer Wunsch wäre eines Tages für die Vereinten Nationen unterwegs zu sein. Privat habe ich den Wunsch mit 30-40 Jahren eine Weltreise zu machen.