Schwule Liebe vor 100 Jahren Der weltweit erste Schwulenverein wurde 1924 in Chicago gegründet - von einem deutschen Auswanderer
In dieser Woche vor 100 Jahren im Jahr 1924 wurde die weltweit erste Schwulenrechtsorganisation gegründet, die Society for Human Rights mit Sitz in Chicago. Gründer Henry Gerber ging damit in die Gay-Geschichte ein, auch wenn viele Schwule seinen Namen heute gar nicht mehr kennen.
Flucht aus Deutschland
Gerber war ein deutscher Einwanderer und Postbeamter. In seiner Heimat Deutschland war er zuvor von der Schule gewiesen worden und hatte mehrere Jobs verloren, stets aufgrund seiner Homosexualität. Mit 21 Jahren wagte er die große Überfahrt und kam 1913 mit seiner Familie in die USA, wo er anfangs in der Armee diente.
Die homophoben Probleme und Angriffe hatte Gerber dabei leider nicht gänzlich in Europa zurückgelassen: Nachdem er anfing, sich in der Schwulenszene Chicagos zu engagieren, wurde er erst in eine Anstalt eingewiesen, später auch verhaftet und interniert – man ging davon aus, er sei wegen seiner Homosexualität ein „feindlicher und gefährlicher Ausländer“. Schlussendlich stellten ihn die Behörden vor die Wahl: Haft oder erneut Armee. Er wählte Letzteres und der Dienst für die USA führte ihn wieder zurück nach Deutschland.
Kampf für Freundschaft und Frieden
Hier knüpfte er Kontakte zu dem Pionier der deutschen Schwulenbewegung, Magnus Hirschfeld. Beeindruckt von den schwulenfreundlichen Entwicklungen in Deutschland, gründete er nach seiner Rückkehr in die USA die weltweit erste Schwulenorganisation. Gerade einmal ein knappes Jahr lang brachten er und seine schwulen Freunde gedruckte Newsletter mit dem Titel „Friendship and Freedom“ heraus, bevor die Familie eines ehrenamtlichen Mitarbeiters im Jahr 1925 die Polizei alarmierte.
Gerber wurde verhaftet, alle Dokumente und Unterlagen konfisziert. Nach drei Prozessen kam der Pionier der Gay-Bewegung wieder frei, allerdings nur aufgrund eines Formfehlers, denn er war ohne gültigen Haftbefehl verhaftet worden. Trotzdem verlor Gerber erneut seinen Job als Post-Angestellter.
Lebenslanger Einsatz für Homosexuelle
Er zog daraufhin nach New York City und trat für weitere 17 Jahre in den Militärdienst ein. In gesetzterem Alter arbeitete er weiter in der Schwulenbewegung, gründete einen Korrespondenzclub für schwule Männer und schrieb unter einem Pseudonym Artikel und Leserbriefe. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog er in ein Heim für Militärrentner in Washington, D.C., und trat dort schließlich der örtlichen Schwulenrechtsgruppe, der Mattachine Society, bei.
Der Gründer der Organisation war einst selbst von Gerbers erstem Schwulenverein inspiriert worden. Er schrieb bis zu seinem Lebensende weiter Kommentare, Leserbriefe und anderweitig Texte und starb 1972 im Alter von 80 Jahren – drei Jahre nach den Stonewall-Unruhen in New York City.
Posthum wurde Gerber 1992 bereits in die Chicago LGBT Hall of Fame aufgenommen, 2015 wurde sein Wohnhaus in Chicago außerdem zum National-Historischen Denkmal erklärt. Es war erst das zweite Mal, dass die Auszeichnung an eine homosexuelle Stätte ging – die allererste dieser Art ging an die Bar Stonewall Inn, die Geburtsstätte aller heutiger CSDs.