Bigger than life Mercurys Vermächtnis oder die Frage: Wie sexuell freizügig sind wir heute?
Bis heute fasziniert der verstorbene Leadsänger und Mastermind der britischen Band „Queen“ Freddie Mercury – zahlreiche Dokumentationen, ein Kinofilm und nun auch ein Kinderbuch widmen sich dem Frontmann, der im November 1991 an einer Lungenentzündung infolge seiner HIV-Infektion im Alter von 45 Jahren verstarb. Eines ist den meisten Publikationen allerdings zu Eigen – sie werden dem Musiker nicht vollends gerecht.
Sexueller Freigeist
Das liegt vor allem auch an einem Aspekt, dem Sex. Mercury liebte Sex und er kokettierte nicht nur vor jeder Kamera und auf jeder Bühne lustvoll damit, er zeigte auch ganz offen, wie wunderbar schwuler Sex sein kann und darf – und das zu einer Zeit, als die Mehrheit der Briten, die Mehrheit der Welt, Homosexualität noch für Teufelszeug hielt und Aids für eine gerechte Strafe Gottes.
Im neuen Kinderbuch „Ella & Ben und Queen – Von verrückten Radios, schrillen Outfits und absoluten Champions“ erzählt ein Vater seinen Kindern von Mercurys Vita, kindgerecht natürlich. Das ist verständlich, doch für echte Fans auch ein wenig traurig – wahrscheinlich hätte es Mercury selbst aber extrem amüsiert, vom schwulen Enfant terrible zum Held einer Kindergeschichte zu werden.
Koksen, Musik und Sex
Doch auch wenn wie im Kinofilm „Bohemian Rhapsody“ mit dem glänzend aufspielenden Oscargewinner Rami Malek Mercury für ein Erwachsenenpublikum von neuem zum Leben erweckt wird, bleibt vieles seiner exzessiven Welt weiter im Dunkeln. Vielleicht wollte man ein heterosexuelles Publikum doch nicht zu sehr verschrecken, indem man gezeigt hätte, wie gerne Mercury Sex liebte und wie sehr seine ganze Welt sich in zuallererst darum und um die Musik drehte.
Die Frage nach seinem üblichen Tagesablauf beantwortete er dementsprechend einmal so: „Am Morgen kokse ich eine Linie und überlege mir dann, wen ich heute alles ficken könnte.“ Ungewollt fragt man sich, ob so offen gelebte pralle Homosexualität heute in der Social-Media-Prüderie nicht noch viel mehr ein Problem wäre als damals, wenn heutzutage bereits das Wort Sex digital nicht mehr problemlos genannt werden darf. Welche Bilder von seinen damals extraordinären Gangbang-Partys in München und London würden es heute überhaupt an der Zensur vorbei in die Öffentlichkeit schaffen?
Bigger Than Life
Mercury war ganz klar einer der größten Sänger seiner Zeit, mindestens, wenn nicht eines ganzen Jahrhunderts, seine Stimme umfasste drei Oktaven, mit der perfekt spielen konnte. Und bis heute sind ihm viele Schwule und Millionen von Fans verfallen. Vor kurzem wurden erst diverse Sammlerstücke wie Schmuck, Kleider oder ein Klavierflügel von ihm für mehr als 15 Millionen Euro versteigert. Das Verkaufsangebot seiner Londoner Villa für fast 35 Millionen Euro löste unter seinen Fans vor einigen Wochen Schnappatmung aus.
Er war und ist „Bigger Than Life“, wie die Amerikaner das gerne sagen und heute leider immer inflationärer verwenden. Er selbst schien sich selbst dabei nicht so wichtig zu nehmen und verglich die Queen-Songs gerne als „klingende Kleenex-Tücher“. Was er wohl heute über die einsilbigen Texte und uninspirierten Retorten-Songs der meisten Popstars sagen würde? An seine Verkaufszahlen kommen bis heute die Wenigsten heran – aktuell sind bereits mehr als 210 Millionen Queen-Alben weltweit verkauft worden, Tendenz weiter steigend.
21 Minuten Ewigkeit
Selbst wer bis heute nichts von Queen mitbekommen hat, wird sofort von der Kraft, der Wucht, dieser unfassbaren Magie eines Freddie Mercury vereinnahmt werden – dazu reichen genau 21 Minuten aus. Jene unfassbaren 21 Minuten, für die Ewigkeit auf Video gebannt, in denen Queen 1985 beim Live-Aid-Konzert von Bob Geldof auftraten. Bis zu diesem Zeitpunkt lief der gigantische Benefiz-Spenden-Musikmarathon für Afrika eher schleppend, trotz anderer Superstars wie Madonna, Tina Turner oder David Bowie.
Dann kam Freddie Mercury auf die Bühne und nicht nur das Stadium gehörte ihm von einer Sekunde auf die andere, sondern die ganze Welt. Er wurde eins mit dem Publikum, mehr noch, die 75.000 Menschen im Londoner Wembley-Stadion folgten ihm bedingungslos, sangen mit ihm und wie in einem einzigen Rausch präsentierte die Band sechs Songs, darunter „Bohemian Rhapsody“, „We Will Rock You“ und „We Are the Champions“. Knapp zwei Milliarden Menschen in 150 Ländern schauten zu. Kein anderer lebender Musiker wird das so jemals wieder erreichen.
Mercury selbst sagte später auf der letzten gemeinsamen Queen-Tournee im zweimal restlos ausverkauften Wembley-Stadion: „Nicht schlecht für einen Haufen alter Schwuchteln, oder?“ Die Liebe zur Musik und die Liebe zum Sex begleiteten ihn bis zu seinem letzten Atemzug. Gefragt nach seinem Vermächtnis, hatte Mercury einmal augenzwinkernd geantwortet: „Es ist mir wirklich scheißegal, denn dann bin ich längst tot.“