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AfD fordert Entlassung nach polyamoröser Segnung

Kirche verteidigt Pfarrerin AfD fordert Entlassung nach polyamoröser Segnung

mr - 12.11.2025 - 17:30 Uhr
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Eine Debatte um Vielfalt und kirchliche Verantwortung hat die evangelische Kirche erneut in den Mittelpunkt gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen gerückt. Anlass ist die Forderung der AfD-Bundestagsfraktion, die Berliner Pfarrerin Lena Müller aus dem Dienst zu entlassen, nachdem sie vier Männer in einer polyamoren Beziehung im Zuge sogenannter Pop-up-Segenshochzeiten gesegnet hatte.

 

Druck auf Pfarrerin nach Segnung einer Polybeziehung

Die Segnung von vier Männern durch Pfarrerin Lena Müller im Rahmen der Berliner Pride-Saison hat eine hitzige politische und gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Die Fraktion der Alternative für Deutschland im Bundestag forderte öffentlich eine Abberufung der Geistlichen und sprach in einer Mitteilung von „Queerextremismus“, der keinen Platz in der Kinder- und Jugendarbeit der Evangelischen Kirche haben dürfe. Insbesondere verwies Martin Reichardt, familienpolitischer Sprecher der AfD, auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung und warf Müller die Instrumentalisierung des Pfarramts für politische und gesellschaftliche Agitation vor. Die Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit durch staatliche Mittel müsse, so Reichardt, stärker gegen „woke Propaganda“ abgegrenzt werden.

 

Evangelische Kirche verteidigt ihre Mitarbeiterin

Die Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz stellte sich umgehend hinter ihre Mitarbeiterin. In einer Stellungnahme distanzierte sich Bischof Christian Stäblein davon, dass es sich bei der Segnung um eine kirchlich anerkannte Eheschließung gehandelt habe. Vielmehr sei der Akt als Ausdruck von Wertschätzung und Segen innerhalb der Vielfalt menschlicher Beziehungsformen zu verstehen, nicht jedoch als ein offizielles Trauungsritual. Die Kirche zeigte sich „entsetzt über den Hass“, der Müller entgegenschlägt, und lehnte die Kritik der AfD sowie die massive Hetze gegen die Pfarrerin mit deutlichen Worten ab. Zugleich betont die EKBO, dass jeder Mensch unter dem Schutz der Menschenwürde steht und Ausgrenzung, die sich gegen Minderheiten richtet, nicht mit dem Auftrag der Kirche vereinbar sei.

Die Diskussion darüber, wie die evangelische Kirche mit queeren Lebensformen, Segnungen und gesellschaftlichem Wandel umgeht, ist nicht neu. Bereits vor mehreren Jahren öffnete sich ein wachsender Teil der evangelischen Landeskirchen für Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare, was damals schon Widerspruch von konservativen und rechtspopulistischen Kräften auslöste. Neuerdings richtet sich der Fokus verstärkt auf die Sichtbarkeit und Anerkennung von Polybeziehungen sowie auf eine gendergerechte Sprache und die Berücksichtigung von trans* Personen im kirchlichen Kontext.

 

Kirchliche und gesellschaftliche Reaktionen

Die Vorwürfe der AfD stehen nicht isoliert. Vielmehr spiegeln sie die jüngste Zuspitzung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen über Vielfalt, antidiskriminierende Haltungen und den Einfluss rechtspopulistischer Akteure wider. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, griff dieses Thema auf der Synode der EKD ebenfalls auf und warnte explizit vor der Gefährdung der Demokratie durch Parteien, die sich gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde stellen. Fehrs betonte dabei:

„Wir sehen uns einer Partei gegenüber, die die Würde bestimmter menschlicher Gruppen längst schon für antastbar erklärt und sich damit außerhalb der Grundlagen unseres Grundgesetzes stellt, insbesondere seines ersten Artikels.“

In zahlreichen Stellungnahmen aus Politik, Zivilgesellschaft und innerhalb der Kirchen wird gegen eine pauschale Stigmatisierung queerer Menschen und ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer protestiert. Nach aktuellen Erhebungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist die Diskriminierung von Menschen mit verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten weiter verbreitet, als vielfach angenommen – entgegen einer zum Teil steigenden Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung.

Der Fall Lena Müller reiht sich ein in eine Serie öffentlicher Debatten, bei denen Fragen nach liberaler Kirche, gesellschaftlicher Teilhabe und Menschenrechten neu verhandelt werden. Zugleich gibt es Hinweise, dass konkrete Schutzmaßnahmen nötig sind: Nach massiven Anfeindungen, besonders in sozialen Netzwerken, fordern kirchliche und gesellschaftliche Gruppen eine bessere Unterstützung von Betroffenen.

 

Wie geht es weiter? – Mögliche Folgen und Perspektiven

Die evangelische Kirche bleibt, so die wiederholte Zusicherung ihrer leitenden Persönlichkeiten, bei einem klaren Kurs gegen Diskriminierung und für die Wahrung der Menschenwürde. Die Entscheidung über eine etwaige Abberufung oder dienstrechtliche Konsequenzen gegen Pfarrerin Lena Müller wird nach eigener Aussage nicht von politischen Forderungen beeinflusst, sondern folgt den Prinzipien der Verfassung und der kirchlichen Grundordnung.

Es ist absehbar, dass sich die öffentlichen Diskussionen um Vielfalt, Familienmodelle und kirchlich-gesellschaftliche Werte in Deutschland weiter zuspitzen werden. Rechtlich gibt es aktuell keinen Spielraum für parteipolitisch motivierte Personalentscheidungen in öffentlichen Amtsträgerpositionen der Kirchen, solange keine Dienstverfehlung vorliegt. Die Debatte dürfte damit zum Prüfstein für die Unabhängigkeit der Kirchen und ihren gesellschaftlichen Auftrag werden.

Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die auf einen konstruktiven Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt und eine stärkere Resilienz gegen Hass und Hetze drängen – auch, um die Integrität demokratischer und religiöser Institutionen zu wahren. Für viele ist klar: Die Frage, wie offen und inklusiv Kirche künftig sein will, wird zu einem Lackmustest für ihre gesellschaftliche Relevanz und Glaubwürdigkeit.

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