Verhaftungen in Tunesien Die Welle an willkürlichen Inhaftierungen reißt nicht ab – im Fokus stehen homosexuelle Männer
Seit Beginn des Jahres macht Tunesien verstärkt Negativ-Schlagzeilen mit einer Verhaftungswelle und Misshandlungen von LGBTIQ+-Menschen. Die Menschenrechtsorganisation Damj Association for Justice and Equality, kurz Damj, berichtet nun von erneuten Festnahmen: 14 schwule Männer sollen letzte Woche verhaftet worden sein. Nebst der Beschlagnahmung ihrer Wertgegenstände und Handys wurde an allen Männern offenbar auch brutale Leibesvisitationen inklusive Genital- und Analuntersuchungen durchgeführt.
Willkürliche Verhaftungen und Gewalt
Hintergrund der jüngsten Zwischenfälle ist einmal mehr der Artikel 230 des tunesischen Strafgesetzbuchs, der gleichgeschlechtliche Handlungen und einvernehmlichen Sex bei Homosexuellen verbietet und mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren ahndet. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1913 und wurde zuletzt minimal 1964 überarbeitet. Bestrebungen, Homosexualität im Land zu entkriminalisieren, gibt es seit Jahren, bisher allerdings durchwegs erfolglos.
Auch Demonstrationen von LGBTIQ+-Gruppen im Land brachten nicht mehr rechtliche Anerkennung. Vor allem schwule Männer sind im nordafrikanischen Land bis heute Diskriminierung, Gewalt, Selbstjustiz und polizeilicher Willkür ausgesetzt. Seit Beginn des Jahres wurden laut Damj mindestens 84 Homosexuelle und queere Personen erneut willkürlich verhaftet.
Die Organisation dokumentiert nebst den jüngsten Verurteilungen von aktuell zwei Jahren für sechs Inhaftierte auch die Berichte von sexuellen Misshandlungen, die viele schwule Männer im Gefängnis immer wieder erleiden müssen – sowohl von anderen Mithäftlingen wie auch vom Wachpersonal.
Amnesty fordert sofortige Freilassung
„Die jüngste Zunahme der Festnahmen von LGBTQIA+ Personen ist ein alarmierender Rückschritt für die Menschenrechte in Tunesien. Niemand sollte aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität festgenommen, strafrechtlich verfolgt oder inhaftiert werden. Anstatt Personen aufgrund von Geschlechterstereotypen und tief verwurzelten homofeindlichen Einstellungen zu schikanieren, müssen die tunesischen Behörden alle Personen, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität inhaftiert sind, unverzüglich und bedingungslos freilassen und Maßnahmen zum Schutz der Rechte von LGBTQIA+ Personen einführen“, erklärte in diesem Jahr Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
In diesem Zusammenhang kritisierten zuletzt im Juli dieses Jahres queere Verbände wie der LSVD+ mehrfach, dass die schwarz-rote Bundesregierung plant, Tunesien zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären, was in der Folge in den meisten Fällen zu abgelehnten Asylanträgen führen wird, auch für LGBTIQ+-Menschen. Bundesinnenminister Dobrindt (CDU) indes betonte, dass die Einzelfallentscheidung erhalten bleibe, die bei einer schweren Bedrohungslage greifen könne.