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Soldat oder Knast?
Rubrik

Soldat oder Knast? Die Situation für Homosexuelle in Russland wird immer dramatischer

ms - 03.11.2022 - 15:00 Uhr

Seit der Ankündigung und der ersten, verabschiedeten Gesetzesvorlage zur Ausweitung des Anti-Homosexuellen-Propaganda-Gesetzes hat sich die Lage von schwulen, lesbischen wie aber auch queeren Menschen in Russland noch einmal dramatisch zugespitzt, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in einer Hintergrund-Recherche berichtet. Tritt das neue Gesetz wie geplant noch im November in Kraft, wird Homosexualität und LGBTI* gänzlich im russischen Leben verboten, bisher gilt “nur“ ein “Werbeverbot“ für Homosexualität für Minderjährige. Die finale Verabschiedung des Gesetzes ist indes nur noch eine reine Formsache, sodass bereits jetzt der Druck auf schwule Russen weiter anwächst. Dabei versucht Russland offenbar auch, homosexuelle und queere Menschen direkt zu erpressen: Entweder melden sie sich als Soldat “freiwillig“ oder sie landen im Gefängnis.

Russland verheizt Homosexuelle als Kanonenfutter

Ein Grund für diese Vorgehensweise ist mit Sicherheit auch die aktuelle Situation in der Ukraine – der Krieg entwickelt sich nicht so, wie von Machthaber Wladimir Putin gewünscht. Nachdem bis heute nach Geheimdienstinformationen rund 90.000 Soldaten aus Russland in den Kriegswirren seit Februar dieses Jahres umgekommen sein sollen, scheint dem Präsidenten inzwischen jedes Mittel recht, um die eigenen Reihen wieder zu schließen. Gegenüber RND erklärt die LGBTI*-Aktivistin Valentina Likhoshva dazu: „Ich habe große Angst, obwohl es für uns längst Normalität ist, in Angst zu leben. Wer homosexuell ist, hat ein hohes Risiko, entweder in die Armee oder ins Gefängnis gesteckt zu werden. Trans-Menschen werden bei der Mobilisierung für den Krieg auch eingezogen und haben gar keine Chance, in der russischen Armee zu überleben. Sie werden getötet, noch bevor sie in die Ukraine geschickt werden.“

Die Grenzen sind für alle dicht

Für schwule Russen ist es spätestens seit dem Propaganda-Gesetz von 2013 bittere Realität, dass sie als Sündenböcke für diverse Missstände in der russischen Gesellschaft herhalten müssen, von Armut bis zum Währungsverfall. Die homophobe Agenda verfehlt ihre Wirkung nicht, immer mehr Russen vor allem aus ländlichen und bildungsfernen Regionen sprechen sich gegen Homosexuelle und queere Menschen aus. Neu ist jetzt nur, dass sie direkt auch als Kanonenfutter dienen sollen. Gleichzeitig wird das Leben für LGBTI*-Menschen von Tag zu Tag schlimmer; was ist das auch für eine grausame Wahl, als Soldat in der Ukraine oder als Homosexueller in Russland erschossen zu werden?

Nach der Mobilisierung von Wehrpflichtigen und der darauf panisch eingesetzten Flucht tausender junger Russen in ein Nachbarland, hat Putin inzwischen zudem alle Grenzübergänge schließen lassen – auch für LGBTI*-Menschen gibt es hier keinen Durchlass mehr. Aktivistin Likhoshva dazu: „Wenn die Grenzen geschlossen sind, ist es für queere Menschen unmöglich, einen sicheren Ort in einem anderen Land zu finden.“ Vor Ort droht ihnen immer mehr Hass, Anfeindung und nun noch der erzwungene Militärdienst oder das Gefängnis. „Wir kämpfen weiter, aber wie viele Opfer muss es noch geben, bevor sich in Russland etwas ändert?“, so die Aktivistin weiter gegenüber RND.

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