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Schwul am Arbeitsplatz
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Schwul am Arbeitsplatz Je nach Studie sind zwischen 30 und 40 % weiterhin nicht im Job geoutet

ms - 02.09.2022 - 17:00 Uhr

Der Pride-Sommer liegt in den letzten Zügen – mit dabei waren in diesem Jahr einmal mehr große Unternehmen, die sich in den Farben des Regenbogens präsentierten. Einige Firmen liegt die LGBTI*-Community tatsächlich am Herzen, andere betreiben schlichtes Pink-Washing. Nicht immer ist der Unterschied auf den ersten Blick zu erkennen. Wie die Situation in einem Unternehmen tatsächlich aussieht, erfährt man meistens erst, wenn man Mitarbeiter direkt befragt.

Auch wenn sich die Situation in den letzten Jahren scheinbar immer mehr verbessert hat, zeigt ein Blick in die Realität, dass der Arbeitsalltag für viele homosexuelle und queere Menschen bei weitem noch nicht zufriedenstellend ist. Unternehmerische Bekenntnisse zur Vielfalt und gesetzliche Benachteiligungsverbote sind das eine, gelebte Firmenstrukturen das andere. Gerade hier fehlt es oftmals auch unter Kollegen an der Einsicht, warum Diversität ein ganzjährig wichtiger Aspekt für alle Unternehmen sein sollte. “Reicht es denn nicht, wenn wir den Pride-Monat feiern, braucht es jetzt das ganze Jahr über LGBTI*?“ Ja, braucht es, dringend sogar. Das Standardargument gegen “zu viel Vielfalt“ am Arbeitsplatz lässt sich immer mit dem Aspekt Privatsphäre zusammenfassen, immerhin ist die sexuelle Orientierung etwas, das nicht Gegenstand des beruflichen Alltags sein sollte oder muss. Das ist zwar grundsätzlich korrekt, in der Realität aber schlicht falsch. Jedes Mal, wenn die Frage nach dem verlebten Wochenende aufkommt, man untereinander Urlaubsbilder austauscht oder einfach nur von einem alltäglichen Erleben berichtet, werden ungeoutete Mitarbeiter dazu gezwungen, zu lügen. Aus dem Ehemann Martin, der zu Hause wartet, wird so Martina. Das klingt von außen betrachtet banal, macht aber in der Regel sehr viel mit den betroffenen Personen. Übereinstimmende Studien der letzten Jahre belegten immer wieder und sehr eindeutig, dass das Engagement und die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern zwischen 20 und 30 Prozent ansteigen, wenn sie auch am Arbeitsplatz geoutet sind.

Handwerksbetriebe sowie Unternehmen, die noch immer stark von Geschlechterstereotypen geprägt sind, haben eher Probleme mit schwulen Mitarbeitern. © iStock / Robert Daly

Trotzdem bleibt die Entscheidung, ob man sich am Arbeitsplatz offen zu seiner Sexualität bekennen will, bis heute eine sehr schwierige, weswegen rund jeder dritte Homosexuelle (je nach Studie zwischen 30 und 40 %) nach wie vor nicht im Job geoutet ist. Die Gründe dafür sind durchaus verständlich, denn nach wie vor kann das Outing sowohl einen Karriereknick wie auch eine schlechtere Bezahlung mit sich bringen. Zuletzt belegte eine Meta-Studie 2021, dass vor allem schwule Männer bis heute schlechter bezahlt werden, lesbische Frauen schneiden hingegen sogar besser ab als ihre heterosexuellen Kolleginnen. Zu gleichen Ergebnissen kommen Studien der letzten Jahre aus anderen Ländern – je nach Datenlage haben schwule Männer im Schnitt bis zu 20 Prozent weniger Gehalt auf dem Bankkonto. Die Gründe dafür sind komplex und vielfältig, speisen sich aber zumeist stets aus Unverständnis und Diskriminierung. Schwulen Männern wird weniger Durchsetzungskraft zugemutet. Je strukturell eingefahrener die oberste Leistungsetage gerade in puncto Wertevorstellungen ist, desto stärker wirkt sich das auch auf die Karriere und die Bezahlung eines schwulen Mitarbeiters aus.

Die Toleranz eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter hängt oftmals bis heute davon ab, in welcher Branche die Firma tätig ist.

Die Ablehnung wird dabei immer subtiler – wenn man so will, haben die jüngsten Diskussionen um Diversität innerhalb von Unternehmen nicht automatisch zu einer Verbesserung geführt, sie haben lediglich die Diskriminierung weniger offensichtlich erscheinen lassen. Von Gesetzes wegen ist jeder Arbeitgeber in Deutschland dazu verpflichtet, Mitarbeiter nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gleichwertig zu behandeln, da macht die sexuelle Orientierung keine Ausnahme. Die Realität ist noch immer eine andere, denn Arbeitgeber können aus diversen Gründen den Aufstieg innerhalb eines Unternehmens bremsen und sei es nur, weil die Leistungsziele eines Mitarbeiters offiziell nicht erbracht worden seien. Und ein direkter Gehaltsvergleich ist zumeist gar nicht möglich und liegt zudem im Ermessensspielraum des Vorgesetzten. 

Doch wie lässt sich das System durchbrechen? Es bleibt schwierig, auch wenn auf Jobmessen LGBTI* in den letzten Jahren zu einem wichtigen neuen Aspekt geworden ist und es inzwischen zahlreiche Rankings gibt, die die queer-freundlichsten Arbeitgeber in Deutschland aufzählen. Das mögen für einzelne Jobsuchende Anhaltspunkte sein, für die allermeisten LGBTI*-Menschen laufen diese Hitlisten trotzdem ins Leere, denn der örtliche Bäcker oder der regionale Handwerksbetrieb nehmen erst gar nicht daran teil. Es gibt auch Aktionen wie die Verleihung des Max-Spohr-Preises, ein Projekt des schwulen Berufsverbandes Völkinger Kreis, der auch kleinere vorbildliche Unternehmen auszeichnet, wenn sie sich für LGBTI* stark machen. In diesem Jahr gehört ein Finanzunternehmen aus Baden-Baden, die Polizeiakademie Niedersachen und die Queere Haushaltshilfe aus Berlin zu den Preisträgern. Schirmherr und Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärte: „Wir arbeiten alle miteinander für eine Gesellschaft, in der Menschen verschieden sein können, aber gleich an Rechten, gleich an Würde und frei von Diskriminierung. Und da, wo das nicht der Fall ist, müssen wir weitermachen und weiter kämpfen.“

Das klingt gut, aber wie kann das für den Einzelnen wirklich gelingen? Wer beruflich in einem großen Unternehmen tätig ist, hat zumeist schon einmal gute Karten, denn immer mehr Big Player in der Branche können es sich gar nicht mehr leisten, nicht divers zu sein – und sei es nur aus Angst vor einem medialen Shitstorm. Doch selbst die “erzwungene“ Vielfalt ist eine, die mit der Zeit positive Veränderungen bringt, beispielsweise beim Aufbau von LGBTI*-Netzwerken innerhalb des Unternehmens. Diese können auch als erste digitale Anlaufstelle genutzt werden, um so abklären zu können, wie offen Kollegen und Vorgesetze wirklich sind. Weitere Anhaltspunkte sind auch interne, freiwillige LGBTI*-Förderprogramme der Firmen. Ein anderer Indikator ist ein Klischee, das leider mehrheitlich stimmt: Die Toleranz eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter hängt oftmals davon ab, in welcher Branche die Firma tätig ist. Handwerks- oder landwirtschaftliche Betriebe sowie Unternehmen, die noch immer stark von Geschlechterstereotypen geprägt sind, haben eher Probleme mit schwulen Mitarbeitern als Firmen mit einem Schwerpunkt im Gesundheits- oder Sozialwesen sowie im Bereich Medien, Kultur oder Unterhaltung. Kurzum: Der schwule Theaterschauspieler hat zumeist weniger Probleme beim Outing als der homosexuelle Kfz-Lehrling in der Autowerkstatt einer Kleinstadt.

Der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter rät direkt, mit dem Outing zu warten, bis man in seiner Dienststelle einen festen Platz eingenommen habe. © iStock / Pradeep Thomas Thundiyil

Natürlich lassen sich nicht pauschal ganze Branchen als homophob abstempeln, denn es gibt immer wieder auch kleine Betriebe, die sehr offen mit Vielfalt und Mitarbeitern jenseits der Heterosexualität umgehen, doch im Zweifelsfall müssen Jobinteressierte hier direkt beim Einstellungsgespräch nachfragen. Gerade dieser Aspekt kann aber in mehrfacher Hinsicht erneut problematisch sein: Zum einen entsteht auf Seiten des Arbeitgebers so vielleicht der Eindruck, der potenzielle neue Mitarbeiter erwarte eine “Sonderbehandlung“, zum anderen hat die sexuelle Orientierung eigentlich in einem Einstellungsgespräch rechtlich nichts zu suchen. Und für jeden Homosexuellen stellt sich in direkter Konsequenz die Frage: Was ist, wenn das Unternehmen nicht positiv gegenüber Schwulen eingestellt ist? Oder wenn nur der Chef, nicht aber die Belegschaft offen für LGBTI* sind? Wie wichtig ist mir der Job wirklich? Wo setze ich meine Prioritäten?

Für Politiker, die sich schwerpunktmäßig auf LGBTI*-Themen konzentrieren, scheint es manchmal nur an ein wenig Mut und Tatenkraft zu mangeln, um die berufliche Realität aller LGBTI*-Menschen sofort zu verbessern. Die Realität abseits der queer-freundlichen Big Player zeigt, dass sich gerade schwule Männer immer wieder in ihrem Lebensalltag die Frage stellen müssen, ob finanzielle Absicherung oder ein offenes Leben wichtiger ist. Beides zu verwirklichen ist in Deutschland noch immer für mehr als zwei Millionen Homosexuelle undenkbar. Ein weiterer Aspekt dabei ist die eigene Psyche, denn wenn sich schwule Männer statt des Outings für die Karriere entscheiden, bleibt oftmals eine innere Verletzung zurück. Es macht etwas gerade mit einem erwachsenen Homosexuellen, der vor Freunden und der Familie geoutet lebt, dann aber im Beruf wieder mental zurück in jene Zeit gehen muss, als er im Teenageralter noch nicht den Mut gefunden hatte, offen zu sich zu stehen.

Das unterdrückte Outing sorgt so nicht nur für im Schnitt schlechtere Leistungen am Arbeitsplatz, sondern belastet die Psyche massiv – im Schnitt werden bei LGBTI*-Arbeitnehmern dreimal häufiger Depressionen und Burnout diagnostiziert (DIW Studie 2021). Dazu kommen auch durchschnittlich doppelt so viele Herzerkrankungen, chronische Rückenschmerzen und stressbedingte Leiden. Der Grund ist zumeist ganz klar ein ablehnendes Arbeitsumfeld, sprich Mobbing – genau diese Fakten festigen dann das Klischee abermals: Der Homosexuelle könne einfach nicht die gleiche Leistung erbringen wie ein heterosexueller Mitarbeiter. Und selbst einige queer-freundliche Unternehmen erklären ihren homosexuellen Angestellten, sich den Schritt des Outings gut zu überlegen – der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter etwa rät direkt, mit dem Outing zu warten, bis man in seiner Dienststelle einen festen Platz eingenommen habe und in seiner Persönlichkeit akzeptiert sei. Ähnliches spielt sich in vielen Kindergärten ab – schwule Erzieher treffen hier zwar oft auf verständnisvolle Vorgesetzte, dann aber unter den Eltern immer wieder auch auf argwöhnische und zutiefst diskriminierende Werteeinstellungen: “Ein schwuler Erzieher – der muss ja pädophil sein.“

Der Völkinger Kreis erklärte, dass die tatsächlichen Reaktionen nach einem Outing zumeist weniger schlimm als befürchtet sind, allerdings zeigt sich auch, dass je nach Studie bis zu 50 Prozent der Homosexuellen nach ihrem Coming Out am Arbeitsplatz Diskriminierung erlebten – jeder Fünfte nahm auch berufliche Nachteile wahr. Im Vergleich mit anderen Ländern schneidet Deutschland durchschnittlich ab (Studie Boston CG), am wenigsten Probleme bereitet das berufliche Outing zumeist in Kanada, Island oder Norwegen. Generell zeigt der Blick ins europäische Ausland aber auch, wer sich nicht binnen des ersten Jahres outet, tut es oftmals gar nicht mehr. Grundsätzlich besteht natürlich immer die Möglichkeit, sich bei Problemen im Job an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, an das Regenbogenportal der Bundesregierung, die Organisation Proud at Work oder an den Lesben- und Schwulenverband Deutschland zu wenden. Ebenso hilfreich kann es sein, sich sogenannte Straight Allies zu suchen, also heterosexuelle Kollegen, die sich für LGBTI*-Menschen im Betrieb einsetzen. Diese Schritte gehen allerdings nur die wenigsten schwulen Männer, zum einen schlägt abermals das Klischee zu (“Der Typ kann sich nicht alleine behaupten“), zum anderen ist eine Diskriminierung oftmals schwer nachzuweisen und selbst bei einer Rüge für das Unternehmen wird es danach zumeist noch schwieriger, weiter in der Firma zu arbeiten. So bleibt das Outing am Arbeitsplatz auch 2022 nicht nur eine Sache, die gut überlegt sein will, sondern auch eine Entscheidung, die man sich mit Blick auf die möglichen negativen Konsequenzen auch leisten können muss. Gerade deswegen fordert die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, eine Grundsicherung für LGBTI*-Menschen: „Eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung gerade für queere Menschen ist eine humanistische Notwendigkeit. Niemand darf als Schwuler, Lesbe oder Transgender unter Androhung von Leistungskürzungen gezwungen werden, eine Arbeitsstelle anzutreten oder zu behalten, auf der sie täglichen Diskriminierungen ausgesetzt sind oder ihre sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Orientierung geheim halten müssen.“

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