Pride-Verbot in Ungarn Scharfe Kritik am Kuschelkurs der EU-Kommission von Seiten queerer Vereine
Mitte März beschloss das Parlament in Ungarn unter Federführung von Ministerpräsident Victor Orbán, dass Pride-Demonstrationen im ganzen Land als Erweiterung des Anti-Homosexuellen-Gesetzes von 2021 verboten werden – die Organisation oder Teilnahme an einem solchen Marsch wird nun mit Geldstrafen, Überwachung oder sogar Gefängnis bestraft. Seitdem regt sich im Land massiver Widerstand, tausende Menschen sind Woche für Woche zu Demonstrationen auf die Straße gegangen. Die Empörung am System Orbán nimmt auch international an Lautstärke zu, nur die EU scheint bisher eher auf Kuschelkurs zu bleiben.
Botschaften weltweit üben Kritik
Bis heute haben bereits 22 Botschaften ihre große Besorgnis über das Pride-Verbot erklärt und betonten die Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, darunter auch Deutschland, Österreich, Polen, Frankreich, Großbritannien, Slowenien und Tschechien. Die Botschaften verweisen dabei überdies auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die Europäische Menschenrechtskonvention. „Wir verpflichten uns zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen – unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder geschlechtlichen Merkmalen“, so die gemeinsame Erklärung. Nicht unterschrieben haben unter anderem die USA.
Scharfe Kritik an der EU-Kommission
Die internationale LGBTIQ+-Organisation Forbidden Colours bekräftigte jetzt überdies, dass bereits das Gesetz von 2021 verfassungswidrig gewesen sei – weswegen dagegen aktuell auch eine EU-Klage läuft. Nun müsse Europa endlich schnell reagieren, so Direktor Rémy Bonny: „Forbidden Colours fordert von der Europäischen Kommission sofortige rechtliche Schritte gegen das Gesetz zum Verbot von Pride-Märschen in Ungarn. Und wie hat die Europäische Kommission bisher darauf reagiert? Mit einem Tweet. Bundespräsidentin Ursula von der Leyen gab keine eigene Erklärung ab. Sie retweetete es. Das ist nicht genug. Nicht einmal annähernd. In einer Zeit, in der LGBTIQ+-Menschen in Ungarn zum Schweigen gebracht, überwacht und kriminalisiert werden, nur weil sie sich friedlich versammeln, ist es nicht die Aufgabe der Kommission, zuzuschauen – sie muss handeln. Gemäß den Verträgen ist sie rechtlich verpflichtet, die Werte der EU zu wahren und die Grundrechte zu verteidigen. Mit Tweets lässt sich der Pride nicht schützen.“
Rechte aller Menschen in akuter Gefahr
Dabei betont die Organisation sowie ihre Partner-Verbände weiter, dass es hierbei nicht „nur“ um die Community geht, sondern um grundsätzliche Rechte aller Menschen. So erlaubt das neue Verbot nicht nur Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr, sondern auch den Einsatz von Gesichtserkennung zur Identifizierung von Teilnehmern – erneut ein Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta und gegen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. „Hier geht es nicht nur um Ungarn. Es geht um die Integrität der Rechtsordnung der Europäischen Union. Es geht darum, ob die EU-Bürger das Recht haben, sich in einem EU-Mitgliedstaat friedlich zu versammeln.“ Und weiter: „Die EU-Kommission hat die Instrumente. Sie hat das Mandat. Was ihr im Moment fehlt, ist der politische Wille. Wenn die Kommission nicht reagiert, signalisiert sie Ungarn – und allen Mitgliedstaaten –, dass die Unterdrückung von Minderheiten in der heutigen EU politisch akzeptabel ist“, betont Bonny.
Wendepunkt für die EU-Kommission
Ähnlich sieht das auch Esther Martinez, Geschäftsführerin von RECLAIM: „Es ist beunruhigend, dass so viel Aufmerksamkeit auf die Konfrontation mit Putin verwendet wird, aber kaum etwas unternommen wird, wenn sich die EU-Mitgliedstaaten genauso verhalten wie er. Das Verbot von Prides ist ein Weckruf. Wenn so etwas Extremes unwidersprochen bleibt, schafft das einen gefährlichen Präzedenzfall – wenn so etwas passieren kann, kann alles passieren. Wenn die Pride in einem EU-Mitgliedstaat ohne Konsequenzen verboten werden kann, ist der Präzedenzfall für andere geschaffen. Dies ist ein Wendepunkt. Und die Kommission ist nirgendwo zu finden.“
Und der juristische Leiter von Forbidden Colours, Vincent Reillon, fragt direkt: „Sind wir eine Union, die das Recht verteidigt, so zu sein, wie wir sind – oder eine, die sich hinter Social-Media-Posts versteckt, wenn es politisch unbequem wird? Dies ist ein entscheidender Moment für die Europäische Union!“
Die bisherige Antwort Ungarns zur massiven Kritik der queeren Verbände wie auch der Botschaften weltweit fällt indes eher dürftig aus: „Wir sind ein souveräner Staat. Wir haben es nie akzeptiert und werden es auch künftig nicht akzeptieren, dass uns jemand von außen vorschreibt, wie wir zu leben haben“, so Ungarns Außenminister Péter Szijjártó. Einmal mehr betonte der Politiker, dass das neue Gesetz zum Schutz der Kinder verabschiedet worden sei.