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Landflucht in den USA

Landflucht in den USA Die Angst geht um bei Lehrern und Universitätsprofessoren

ms - 07.05.2024 - 15:00 Uhr
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Eine neue Studie des amerikanischen Williams-Instituts an der UCLA School of Law zeigt nun auf, dass Amerika in puncto Bildung auf die nächste Krise zusteuern könnte – immer mehr homosexuelle und queere Lehrkräfte überlegen derzeit, innerhalb der Vereinigten Staaten umzuziehen. Der Grund: Im eigenen Bundesstaat machen Anti-LGBTI*-Gesetze die Arbeit und das Leben für viele nicht-heterosexuelle Lehrer und Professoren immer mehr unerträglich. 

Flucht vor LGBTI*-Hass

Fast die Hälfte der Befragten (48%) erwägt so aktuell, aufgrund von Gesetzen gegen Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration die bisherige Heimat zu verlassen. In neun US-Bundesstaaten sind derartige restriktive Richtlinien bereits in Kraft, über ein Dutzend weiterer Bundesstaaten arbeitet derzeit an ähnlichen Gesetzesvorlagen. Insbesondere Florida, Mississippi, Oklahoma, North Carolina, North Dakota, South Dakota, Tennessee, Texas und Utah haben bereits radikale Hass-Gesetze verabschiedet, die viele Lehrkräfte nicht mehr hinnehmen wollen. 

Die Restriktionen sind vielfältig, in einigen Bundesstaaten werden LGBTI*-Themen unter Strafandrohung aus den Lehrplänen verbannt, in anderen ist bereits das Reden in Klassenräumen darüber verboten. Je nach Bundesstaat haben Eltern zudem die Macht, Lehrkräfte und die jeweilige Schulleitung bei Zuwiderhandlung anzuzeigen – es drohen hohe Geldstrafen und ein mögliches Berufsverbot. 

Totalausfallen an immer mehr Schulen?

Für 48 Prozent der zumeist homosexuellen Lehrer ist das zu viel, 20 Prozent planen bereits sehr konkret einen Umzug in diesem oder dem kommenden Jahr. Noch dramatischer: 36 Prozent der Lehrkräfte denkt sogar darüber nach, die akademische Welt komplett zu verlassen und einen anderen Beruf zu ergreifen – eine Hiobsbotschaft angesichts der Tatsache, dass in den USA schon jetzt immer weniger Menschen überhaupt noch bereit dazu sind, den zumeist schlecht bezahlten Beruf eines Lehrers zu ergreifen. 

Eine Situation, die nebst der offensichtlichen Problematik noch eine tiefergehende Krise schafft: Leere Lehrstellen werden dann zur Not auch gerne von Vertretern aus den regionalen Glaubensgemeinschaften besetzt – ein erneuter Nährboden für Homophobie und Hass jenseits von Wissenschaft und Fakten. Die generelle Überforderung der Situation der meisten Schulleitungen tut hier sein Übriges dazu.  

Drohungen und Maßregelungen

An der Untersuchung des Williams-Instituts nahmen überwiegend homosexuelle Lehrkräfte von öffentlichen Universitäten teil, wenngleich die Lage auch an privaten Bildungseinrichtungen nur geringfügig besser sein dürfte. Die Ängste der Lehrer und Professoren sind dabei nicht unbegründet, viele haben bereits negative Erfahrungen gemacht: 14 Prozent wurden gemaßregelt, weil sie LGBTI*-integrative Maßnahmen angeboten hatten, 12 Prozent der Lehrkräfte wurden Kurse deswegen ganz gestrichen und jeder zehnte Lehrer (10%) erlebte bereits Drohungen von Studenten aufgrund von LGBTI*-Themen. 

Jenseits der Wissenschaft

Außerdem, so das Williams Institute weiter: „Die Gesetze haben zu einer verstärkten Überprüfung und Einschränkung der akademischen Freiheit geführt und beeinflussen, was gelehrt und geforscht werden kann. Der emotionale und physische Tribut, den LGBTI*-Lehrkräfte zahlen müssen, ist bemerkenswert: Eine beträchtliche Anzahl von ihnen berichtet über negative Auswirkungen auf ihre psychische und physische Gesundheit aufgrund des vorherrschenden akademischen Klimas.“ 

Weitreichende Folgen für ganz Amerika

Besonders betrüblich: Die Anti-LGBTI*-Gesetze wirken sich nicht nur auf jene Bundesstaaten aus, die sie verabschiedet haben, sondern greifen weiter: In immer mehr anderen US-Bundesstaaten ohne Restriktionen ist ebenso bereits ein akademischer Wandel und ein Wechsel im politischen Klima zu beobachten – vereinfacht gesagt, wird in immer mehr Universitäten LGBTI* thematisch bereits jetzt vorauseilend ausgeklammert, um sich erst gar nicht in der Zukunft möglicherweise in Probleme zu verwickeln. 

Die einzig gute Nachricht: Nicht alle Lehrer wollen flüchten oder die Einschränkungen einfach wortlos hinnehmen. Rund ein Drittel von ihnen setzt sich jetzt erst recht verstärkt sowohl innerhalb wie außerhalb des Campus für LGBTI*-Themen ein. Sie bieten außerdem für Studenten verstärkt Diskussionen und Lesungen an.  

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